Theater, solange die Luft reicht

■ Ein Gespräch mit Henry Hübchen, dessen »Menschenfeind«-Inszenierung morgen in der Volksbühne Premiere hat

Henry Hübchen, 1947 in Charlottenburg geboren und »mit zwei Jahren in die Ostzone ausgewandert«, war Kinderdarsteller im DDR-Fernsehen, studierte ein Jahr Physik (»um die Welt besser zu verstehen«), wurde Schauspieler, »weil ihm nüscht Bessres einfiel« und weil er »irjntwat mit Kunst« machen wollte.

Erstes Engagement 1971 in Magdeburg, wo er in der DDR-Erstaufführung von Majakowskis »Schwitzbad« und in Volker Brauns »Kipper« mitspielte; als 1974 der Magdeburger Intendant wegen einer geplanten Aufführung von Heiner Müllers »Mauser« abgesetzt wurde und das Ensemble auseinanderfiel, ging Hübchen an die Berliner Volksbühne, damals das spannendste Theater Ost-Berlins. Brechtschüler Benno Besson war Intendant, Fritz Marquardt und Karge/ Langhoff gehörten zum Regieteam. Von 1978 bis 1990, unter der eher flauen Intendanz von Fritz Rödel, war Hübchen häufiger im Fernsehen als auf der Bühne zu sehen; mit Horvaths »Glaube, Liebe Hoffnung« und Goethes »Clavigo« versuchte er sich selbst als Regisseur. Die Begegnung mit Frank Castorf (in dessen Berliner Antrittsinszenierung »Das trunkene Schiff« er immer noch im dritten Stock der Volksbühne zu sehen ist) hat ihm wieder Lust zum Theater gemacht. Molières »Menschenfeind« ist seine erste Inszenierung im großen Haus der Volksbühne.

taz: »Die schönen Ideale der Vergangenheit sind längst passé / und passen nicht in unsre Zeit. / Vernünftig ist es, sich den Zeiten anzupassen / anstatt die ganze Welt zu hassen.« Molière kann ziemlich aktuell sein...

Henry Hübchen: Gerade für die ehemalige DDR, die ja nicht vorsätzlich als kriminelles Unternehmen gestartet ist, sondern von den meisten Leuten hier und auch von bestimmten Führungskadern als ernsthafter Versuch gemeint war, was Neues zu machen...

Wenn sie die heutigen Anpassungszwänge mit den früheren vergleichen —

Sind dieselben! Es sind bloß andere Druckmittel. Ob ich aus ideologischen Gründen einen Film nicht machen kann oder weil das Geld nicht da ist, ist doch letztendlich dasselbe. Wenn ich im Nachhinein sehe, was die DEFA in der DDR produziert hat — solche Filme wären im Westen nicht gemacht worden, weil niemand Geld dafür gegeben hätte. Und mit Förderungsgeldern allein wär's auch nicht gegangen. Ich finde die Repression fast noch schlimmer — aber ich kann darüber kein richtig begründetes Urteil abgeben, weil ich nicht im Westen gelebt habe.

Der radikale Moralist wie Molières Menschenfeind Alceste wird sicher in keiner Gesellschaft glücklich sein. Würden Sie sagen, daß er es vor oder nach dem Ende der DDR leichter hatte oder ist da kein Unterschied?

Er hätte in jedem Fall keine Chance; ich glaube aber auch nicht, daß Alceste in die Wüste geht. Er redet viel davon; aber ich glaube, daß er immer wiederkommt. Ich habe zuerst vorgehabt, den Anfang wieder spielen zu lassen — Vorhang zu, Applaus beginnt, es geht wieder von vorn los. Wenn man nicht den Theaterkonventionen folgen müßte, würde man das einfach wieder von vorn spielen, wie Zeitkino. Mal sehen, wie oft man das spielen muß, bis der Saal leer ist. Die Geschichte wiederholt sich immer wieder; eins verändert sich nur: Das Ozonloch wird größer, und die Blätter werden welker; und irgendwann haben wir keine Luft mehr zum Text, dann bleibt das stehen. So lange müssen wir im Theater aushalten.

Warum gerade der »Menschenfeind«?

Der Anlaß ist ganz simpel: Molière (»Der Geizige«) wurde hier abgespielt; ich hab' die Möglichkeit gehabt, was zu machen auf der großen Bühne. Und dann stellt man sich ja auch Fragen, die mit den Bedingungen des Hauses zu tun haben: Welche Schauspieler sind gerade frei, wie teuer darf das Bühnenbild werden usw. Wenn man diese Zwänge hat, ergibt sich schon ein gewisses Korsett. Ich hab' so'ne Fernsehsendung gesehen: Ein Koch geht mit einem Kameramann Prominente besuchen, guckt bei denen in den Kühlschrank und macht aus dem, was da ist, ein Menü. So ungefähr entsteht im Grunde auch jeder Theaterabend. Aber mich hat natürlich auch interessiert, mal Molière zu machen, weil das ein Autor ist, der seine Figuren ganz authentisch für seine Schauspieler geschrieben hat. Und dann hat mich einfach der Titel interessiert.

Wollen Sie weiter inszenieren oder doch wieder mehr spielen — oder stellt sich die Frage so gar nicht?

Das ist nur 'ne Frage der Gelegenheit. Aber ich will am liebsten beides machen. Ich weiß gar nicht, warum das nicht mehr stattfindet bei den Regisseuren, also warum zum Beispiel Alexander Lang nicht mehr spielt oder Jürgen Gosch.

Zur aktuellen Situation der Volksbühne: Frank Castorf wird ja wohl nur dann neuer Intendant, wenn er seine Etatvorstellungen durchsetzen kann. Wie erleben Sie, angesichts dieser Unsicherheit, zur Zeit die Stimmung im Haus?

Das ist wirklich kompliziert, weil jetzt anderthalb Jahre ohne Intendant gearbeitet wurde, nur mit kommissarischer Besetzung des Postens. Das wirkt sich natürlich auf die Arbeitsmoral aus, durch alle Bereiche. Damit habe ich jetzt zu tun; wir haben uns darauf eingelassen, Theater zu machen mit komplettem Bühnenbild, mit Drehbühne — also hängen da ganz viele Leute dran; und daß so ein Betrieb wirklich sich mit Elan bewegt, ist zur Zeit ganz schwierig. Es fehlt wirklich oben ein Kopf. Es braucht einfach 'ne neue Mannschaft — vom Intendanten angefangen über den Chefdramaturgen bis zu den Hausregisseuren —, die wieder Druck macht. Das Schlimme ist, daß es keine Alternative zu Castorf gibt. Wenn Frank nicht kommt, hat's keinen Zweck mehr hier. Die neue Truppe tritt ja sowieso erst 92/93 an; bis dahin muß es noch so weitergehen. Andreas Kriegenburg, der ja zur neuen Regiemannschaft gehören soll, wird demnächst eine Inszenierung machen. Dann war ja Schleef im Gespräch, da hört man, daß es wieder auseinandergedriftet ist. Aber ich kann da gar nichts Genaues sagen; es hat mich auch nicht so interessiert, weil ich in den letzten Jahren immer von Inszenierungsinsel zu Inszenierungsinsel gearbeitet habe. Aber das geht für dieses Haus nicht mehr, es braucht wieder Konturen. Daß Frank keine Lust zu Kompromissen hat, versteh' ich gut. Er hat genug Arbeitsmöglichkeiten und muß sich so ein Haus nicht ans Bein binden, wenn die Bedingungen nicht stimmen.

Die Fragen stellte

Klaus Nothnagel