: Höhenangst vor dem EG-Gipfel
■ Eine Woche vor dem EG-Gipfel in Maastricht zeichnet sich ab, daß Teile der politischen Reform verschoben werden/ Großbritannien will nichts von einem „föderativen Bundesstaat“ Europa wissen
Den Haag/Brüssel (afp/dpa/taz) — Der britische Premierminister John Major ist gestern nachmittag in Den Haag mit seinem niederländischen Kollegen, dem amtierenden EG- Ratspräsidenten Ruud Lubbers, zusammengetroffen. Dieses außerplanmäßige Treffen beider Politiker sollte dazu dienen, eine Woche vor dem EG-Gipfel in Maastricht noch einmal Fragen zu besprechen, die von britischer Seite als Problem angesehen werden.
So wehrt sich Großbritannien dagegen, daß in den Verträgen eine „föderale“ Zielsetzung der Gemeinschaft festgeschrieben wird. Während Lubbers und Major ihr Gespräch in Den Haag führten, kamen in Scheveningen nahe dem niederländischen Regierungssitz die Finanzminister der EG zusammen, die zahlreiche technische Fragen klären wollten, die vor allem die Stabilität der künftigen gemeinsamen EG- Währung betreffen. Heute und morgen wollten sie dann mit den EG-Außenministern in Brüssel die Vorbereitungen für das Gipfeltreffen in Maastricht abschließen.
Im Vorfeld des EG-Gipfeltreffens von Maastricht wird jedoch immer deutlicher, daß wichtige Teile der politischen Reform der Europäischen Gemeinschaft um mindestens fünf Jahre verschoben werden sollen. Die vor allem von Bonn geforderte Parallelität der Währungsunion und der Politischen Union wird damit immer fraglicher. Nach Angaben von Diplomaten wird es vermutlich nicht wie bei der Wirtschafts- und Währungsunion einen festen Zeitplan mit einer genau definierten Endstufe geben. Es bestehe keine einheitliche Auffassung darüber, wie die Endstufe einer Politischen Union aussehen solle, erklärte ein hochrangiger Diplomat in Brüssel.
Wie aus Diplomatenkreisen weiter verlautete, dürfte die Revisionsklausel in den neuen Verträgen ganz allgemein ausfallen und keine konkreten Verpflichtungen für die Mitgliedsstaaten enthalten. Damit würden wichtige Teile der geplanten Reform, darunter auch zusätzliche Rechte für das Europaparlament, um mindestens fünf Jahre verschoben.
Der Bonner Regierungssprecher Dieter Vogel hatte am Freitag Berichte aus Brüssel über einen angeblichen Kompromißvorschlag Bundeskanzler Helmut Kohls für die Gipfelkonferenz als „falsch und irreführend“ zurückgewiesen.
Kohl soll nach Angaben aus belgischen Regierungskreisen vorgeschlagen haben, daß in dem Vertrag über die Politische Union der ausdrückliche Hinweis auf das künftige Zusammenwachsen der EG zu einem föderativen Bundesstaat ganz entfallen solle.
Statt dessen sollten diejenigen EG-Staaten eine getrennte Erklärung herausgeben, die sich dennoch zu einer bundesstaatlichen Zielsetzung bekennen wollen. Sie sollten darin bestätigen, da sie die für 1996 geplante Revision der jetzt ausgehandelten Verträge als ein Stärkung der Gemeinschaft ansehen.
Die Außenminister der Gemeinschaft wollen am Montag in Brüssel die umstrittenen Fragen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik weiter abstimmen. Hochrangige Diplomaten erwarten jedoch keinen Durchbruch und gehen davon aus, daß die Staats- und Regierungschefs die Hauptfragen auf dem Gipfeltreffen am 9. und 10. Dezember selbst lösen müssen. Dies sind vor allem Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie Fragen der Mitbestimmung des Europaparlaments und das Endziel der Reform.
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