Draußen vor der Tür

■ Uraufführung von Ulrich Zaums „Tür und Tor“ in Hamburg

Der Kritiker tobt: Nur ein paar Minuten hat er sich verspätet, die Aufführung aber hat schon begonnen, und ein Zerberus hindert ihn am Betreten des Theatersaals: „Kein Einlaß nach Beginn der Vorstellung.“ Der Kritiker brüllt „Zensur!“, und die Autorität der fünften Gewalt ist ihm Rammbock, um die Tür zu sprengen. Sein Widersacher aber federt den Stoß dreist ab, und schon ist klar: dem Mann, der da in hellem Trench und gelben Socken so ungestüm den Kulturrichter gibt, mangelt es an Durchsetzungskraft. Der Türsteher ist beileibe kein Höllenhund, vielmehr ebenfalls ein Statist seines Metiers, der schlitzohrig seine eigene kleine Inszenierung einleitet.

Wir befinden uns nicht im Theater; ein golden-protziger Saal der Heinrich-Heine-Villa, dem Verlagshaus von Hoffmann und Campe im feinen Hamburg-Pöseldorf, ist Spielfläche und Zuschauerraum. Das Thalia-Theater ist hier zu Gast. Vierzig Thonet-Stühle bieten sich Zuschauern an; bei der Uraufführung von Tür und Tor des Wuppertaler Dramatikers Ulrich Zaum (Blattgold, Liebfrauenmilch) kamen die Sitzgelegenheiten vor allem mit dem feinen Zwirn der Oberbekleidung von Verlagsleuten in Berührung.

Die beiden Darsteller — der Journalist: Jörg Holm, der Türsteher: Justus von Dohnányi — aber entwickeln unberührt vom Ambiente und vom schwarzen Block der zahlenden Voyeure das Drama der Zuspätgekommenen, die das Leben längst bestraft hat. Die Situation ist banal, die Worte sind groß. Der Schreiber — er kommt ja eigentlich vom Sport — hat die Deutsche Presse-Agentur mit vierzig Zeilen über das, was hinter der Tür passiert und er nicht sehen kann und darf, zu bedienen: „Das muß um 10.30 Uhr über den Ticker von Aachen bis nach Zwiesel, das geht raus in die ganze Republik. Und wenn da nichts kommt, ist da ein Loch, und durch das Loch flieg' ich!“ Aus seinem Gegenpart schält sich ein Student im soundsovielten Semester, der mit seiner Doktorarbeit nicht zu Rande kommmt und als Regieassistent den altklugen Existentialisten mimt, der sich umgeben sieht von „furchtbar zielbewußten Zwanzigjährigen“, die an der Uni „rausflutschen mit ihren Dünnpfiff- Elaboraten, die kommen dir auf dem Flur entgegen und sind Assistenten, die ersten robben schon vor in Richtung Mittelbau“.

Beide Protagonisten sind Ausgeschlossene, sie warten auf etwas, das nie kommt, und haben keineswegs die Würde eines Wladimir, eines Estragon. Wir erkennen vor der Tür zwei Toren, sie geben den Stoff ab für eine Tragödie, die den Zuschauern als Komödie erscheint. Zaums Text gibt ihnen ungelenke Sätze, sprunghaft erzeugt einer aus den anderen.

Die Regie von Thilo Voggenreiter läßt dem Stück den Charakter der Miniatur, nur eine Stunde währt das Drama, das sich selbst aufhebt. Mit der Pointe: Zaum führt einen händeringenden Spielleiter ein, dem der Autor weggelaufen ist. Zum Schlußapplaus im Saale jenseits der Tür zerrt dieser den unglücklichen Reporter auf die Bühne, der damit ein weiteres Mal Statist ist — ein Regisseur braucht eben einen Textgeber.

Der Schlußapplaus der Besserverdienenden diesseits der Tür für die Arbeit des Thalia-Ensembles entsprach dem Amüsement über die Niederungen des Lebens, das im protzigen Verlagshaus nur Gaststatus hat. Michael Berger

Thalia-Theater Hamburg: Tür und Tor von Ulrich Zaum.

Regie: Thilo Voggenreiter. Mit Jörg Holm. Justus von Dohnányi, Klaus Rodewald.

Weitere Vorstellungen am 11., 12., 14., 17., 21. und 28. Dezember im Harvestehuder Weg 41, Hamburg 13.