: Die guten Katholiken von „Little Haiti“
Während Tausende Flüchtlinge verzweifelt versuchen, aus Haiti nach Florida zu kommen, leben in Miami bereits 60.000 haitianische Einwanderer/ Katholisch, aufstiegswillig und familientreu, lassen sie sich amerikanisieren ■ Aus Miami Rolf Paasch
Der Himmel über „Little Haiti“ hat sich blau-schwarz zugezogen, und bald geht ein tropischer Regenguß auf die weißgetünchten Flachbauten und bunten Holzhütten nieder. Für einen Augenblick scheint das rege Treiben auf der 54. Straße im Norden Miamis zum Stillstand gekommen. Die Männer, die eben noch draußen auf leeren Bierkästen hockten, haben sich rasch in „Marie Immaarla's Waschsalon“ verzogen, die karibischen Klänge aus dem danebenliegenden Plattenladen werden vorübergehend vom Regen übertönt. Autos gleiten langsam mit vollem Licht durch die waschküchenartige Szene. Und gegenüber flüchtet sich ein Kamerateam des spanischsprechenden Kanals „Univision“ in das „Haitian Refugee Center“.
Drinnen, ob im Waschsalon oder im Flüchtlingszentrum, geht die Diskussion um jene bangen Fragen weiter, die die 60.000 Haitianer von Miami seit Wochen beschäftigen: Wird der von den Militärs seines Landes vertriebene haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide bald wieder nach Port-au-Prince zurückkehren können? Und was soll man vom Umgang der USA mit den Tausenden Flüchtlingen halten?
Schon immer, so erzählt Rolande Dunancy im „Haitian Refugee Center“, hätten die US-Behörden Flüchtlinge aus Haiti mit einer besonders strikten Einwanderungspolitik vom Betreten US-amerikanischen Bodens abgehalten. 1981 schloß die Reagan-Administration mit der damals in Haiti herrschenden Duvalier-Dynastie ein einzigartiges Repatriierungsabkommen ab. Kubaner, die ebenfalls auf Flößen und Booten nach Florida flüchten, werden dagegen in Miami ohne große Verzögerungen in die einflußreiche kubanische Exil-Gemeinde entlassen. Schließlich sind sie vor einer kommunistischen Diktatur geflohen — und, so vermutet Rolande Dunancy, sie sind eben nicht schwarz. „Solange sie arm und schwarz sind, muß es sich um Wirtschaftsflüchtlinge handeln“, beschreibt die Sprecherin für 400.000 Haitianer in Miami und New York die Haltung der US-Regierung.
Als erstes haitianisches Flüchtlingsboot landete die „Pampano“ 1973 an den Gestaden Floridas. Die größte Anzahl der Flüchtlinge kam jedoch erst zwischen 1978 und 1982 und machte sich zunächst in der Landwirtschaft Floridas nützlich. Danach „wurden aus den boat people Boeing people“, beschreibt Pastor Wenski von der katholischen Gemeinde „Notre Dame“ die sich anschließende Phase des Familiennachzuges.
Der ursprünglich aus Polen stammende Father Wenski ist der gute Hirte der Exilgemeinde zwischen der 54. und 62. Straße. Aristide-Bilder mit dem Hahn-Motiv schmücken seine kleine Pfarrei. Darunter hängen Photos: Wenski mit Lech Walesa, Wenski mit dem Papst. Zufällig war es seine Gemeinde, die sich in den letzten 15 Jahren in Miamis „Klein-Haiti“ verwandelt hat. Wenski ist stolz auf die Errungenschaften seiner zunächst unwillkommenen Immigranten: Die Hälfte von ihnen ist heute legal in den USA, jeder vierte hat eine temporäre Aufenthaltserlaubnis, die restlichen 25 Prozent müssen immer noch die Abschiebung befürchten.
Die Haitianer haben sich rasch in die floridianische Wirtschaft integrieren lassen: als Tellerwäscher, Liftboys und Zimmermädchen. Schon ist jeder dritte Angestellte im „Biscayne-Marriott“-Hotel von Miami Haitianer. Wer länger als fünf Jahre in Miami oder New York lebt, weiß Wenski aus seiner Gemeindearbeit, wird nicht mehr nach Haiti zurückgehen. „Selbst dann nicht, wenn Aristide wieder auf den Sitz des Präsidenten zurückkehren sollte.“
Doch Aufstiegsmöglichkeiten stehen ihnen, anders als den europäischen Einwanderergruppen oder den Kubanern, bisher kaum offen. Für die weiße Bevölkerung Miamis sind die haitianischen Einwohner einfach nur Schwarze. Für die Afro-Amerikaner dagegen gelten sie als separate Einwanderergruppe, die oft überheblich auf die alteingesessenen Schwarzen niederblickt.
Die Exil-Haitianer sind zu rund 80 Prozent katholisch und haben eine weitaus intaktere Familienstruktur in die USA herübergerettet, als sie unter den Afro-Amerikanern in den Slums der Innenstädte zu finden ist. In den gleich neben „Little Haiti“ liegenden schwarzen Vierteln „Overtown“ und „Liberty City“ ist die Drogenkriminalität eines der größten Probleme. Die jungen haitianischen Männer dagegen sind bisher noch wenig in das Drogengeschäft verwickelt, Alkoholismus ist unter ihnen kaum verbreitet. Wie lange es ihnen allerdings gelingen wird, ihr aus dem ländlichen Haiti mitgebrachtes Wertesystem — in dem die Beschmutzung des Familiennamens noch als Sakrileg gilt — auch unter den Bedingungen des urbanen Miami zu bewahren, das vermag auch Vater Wenski nicht zu sagen.
Die kleine Kirche von „Notre Dame“ ist ebenso besucht wie das türkisfarbene Schulgebäude der „Lecol Angle“ (Englischschule), das mit seinem gekachelten Boden und den geweißten Wänden auch mitten in Port-au-Prince stehen könnte. „Tout vizite dwe rapote ian direksyon. Mesi“, wird hier der Besucher in französischem Kreolisch angewiesen; gelernt wird hier jedoch ausschließlich in Englisch, erklärt die stolze Schuldirektorin Nicole. Mühsam noch, denn die meisten ihrer 500 erwachsenen Schüler landeten in Miami als Analphabeten. Doch in vielerlei Hinsicht, so Nicole, „sind die Haitianer von Miami schon eine Erfolgsgeschichte“. Eine amerikanische natürlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen