Es kommt der Tag, da will die Säge sägen

Jack Cardiff, Regisseur des britischen Abenteuerfilms Katanga, ließ sich für einen dramatischen Zweikampf seiner Darsteller Rod Taylor und Peter Carsten etwas Außergewöhnliches einfallen. Nicht mit Knüppel, Messer oder Faust ging der Angreifer Carsten auf sein Gegenüber los, sondern mit einer schier unüberwindlichen Waffe: einer laufenden Kettensäge. Das war 1967.

Seither hat das Holzfällerwerkzeug eine beachtliche kulturgeschichtliche Karriere gemacht. Zum Kultgegenstand wurde es durch den 1974 gedrehten Horrorfilm The Texas Chainsaw Massacre. Dessen Regisseur Tobe Hooper richtete seine ohne die geringste Nuancierung auf Schocks abgestellte Dramaturgie ganz auf das Gerät aus und machte es zum integralen Bestandteil einer Geschichte, die den wahren Fall des Massenmörders Ed Gein, Vorbild bereits für Hitchcocks Psycho, zu einem fraglos sehr unappetitlichen Comic strip mit apokalyptischem Finale travestierte:

„Die Situation ist hoffnungslos, das letzte Bild zeigt Leatherface, wie er den Sonnenuntergang der Menschheit mit hocherhobener Kettensäge begrüßt.“ (Norbert Stresau) Mit dem Nachfolger der Schnetzeljagd, Texas Chainsaw MassacreII, machte sich Hooper bereits über den selbstgeschaffenen Mythos lustig, indem er ihn etwa parodistisch mit den Konventionen anderer Genres verquickte. So stiefelt ein rachlüsterner Dennis Hopper in ein Fachgeschäft für Kettensägen, wählt kundig das Geeignete aus und marschiert wieder hinaus — mit zwei überdimensionalen Lederholstern am Gürtel, in denen zwei kleine Kettensägen stecken. Eine weitere, übergroße Säge trägt er in der Hand — eine unmißverständliche Anspielung auf den Waffenfetischismus vieler Western- und Kriegsepen.

Die Filmographie der benzinbetriebenen Holzschneidemaschine erreicht mittlerweile Katalogstärke. In Stirb langsam II etwa durchtrennen Terroristen mit einer gewaltigen Motorsäge die technischen Leitungen und damit den Lebensnerv eines Flughafens. „Ich liebe diese Säge“, belfert Buzzsaw seinem Widersacher Arnold Schwarzenegger in Running Man entgegen, „sie ist ein Teil von mir. Und ich werde dich damit zerlegen.“ In Brian de Palmas Scarface wird genüßlich ein Dealer zerteilt und in Russ Meyers Up ein Vergewaltiger durch eine McCulloch ein für allemal besänftigt. Beide sind damit würdige Nachfahren des Apostels Simon Kananäus, des Schutzheiligen der Holzfäller, der während einer Missionsreise von aufgebrachten persischen Priestern mit einer — damals noch handbetriebenen — Säge zerstückelt wurde. In der Verfilmung von Tom Sharpes Puppenmord träumt der jämmerliche Held Henry Wilt davon, seine nervenzehrende Gattin mit einer Kettensäge zu tranchieren, und durch die Komödie Supergrass stolpert ein Muskelprotz mit einem Cellokoffer, dem er bei passender Gelegenheit — was sonst — eine Kettensäge entnimmt, um eine komplette Motoryacht zu Kleinholz zu verarbeiten. Die Plakate zu Adolf Winkelmanns Jede Menge Kohle kündeten schließlich klipp und klar: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“.

Diese Vorliebe der Action- und Thrillerregisseure für die mörderische Maschine persifliert trefflich das obskure C-Picture Hollywood Chainsaw Hookers. Darin stößt ein schmieriger Detektiv auf eine Sekte, deren leichtbekleidete Tempeldienerinnen „Hilti, den Gott aller Kettensägen“ anbeten, „Black&Decker- Choräle“ singen und rituelle Tänze mit laufenden Kettensägen aufführen. Nach den Glaubensgrundsätzen dieser Gemeinde reinigen die Klingen das Fleisch und stimmen die Götter gnädig.

Daß die Säge, deren Kettenumlauf sinnigerweise „Schwert“ genannt wird (die unübersehbare Phallussymbolik ist wieder ein eigenes Thema), als handliches Mordinstrument Karriere machen konnte, verdankt sie dem in Amerika heuer als „Father of the Chainsaw“ populären Maschinenbauer Andreas Stihl. Die Idee einer motorbetriebenen Säge war nicht neu, als Stihl Mitte der zwanziger Jahre mit seinen Experimenten begann. Manuell, das heißt durch Handkurbeln betriebene Sägen gab es bereits um 1850. 1860 schloß der Engländer A.Ransome Sägeblätter an eine fahrbare Dampfmaschine an. Einen großen Fortschritt brachte die Erfindung der Sägekette durch den New Yorker Harvey Brown im Jahr 1858. Die erste den täglichen Anforderungen genügende Motorsäge wird den Mitarbeitern der in Idaho, USA, ansässigen Potlatch Lumber Company zugeschrieben. Da sie nirgendwo ein Gerät bekommen konnten, das ihren Wünschen entsprach, bauten sie es kurzerhand selbst — und erfanden die tragbare Elektrokettensäge. Ihre Entwicklung ließen sie niemals patentrechtlich schützen, und so verwundert es nicht, daß sie bald von anderen nachgeahmt wurde. Einer davon war der Universaltüftler Charles Wolf, der ab 1908 mit einem nur leicht abgewandelten Modell in Serie ging. Derweil arbeitete in Europa, genauer in Schweden, der Ingenieur von Westfelt ebenfalls an einer Motorsäge. Seine „Sector“, die immer wieder modifiziert und verbessert wurde, blieb bis in die zwanziger Jahre hinein in Gebrauch. Bei all diesen Sägen waren Antriebsaggregat und Schneidgarnitur voneinander getrennt. Der Abstand mußte mittels Kardan- oder elastischer Wellen überbrückt werden. Das machte die Motorsägen schwergewichtig, sehr unhandlich und noch dazu störanfällig.

Der Stuttgarter Maschinenbauer Andreas Stihl stieß als 28jähriger auf die Probleme der Forstarbeiter und nahm sich vor, sie zu lösen. Er verarbeitete neuartige Metallegierungen, um das Gewicht der Motoren zu verringern. 1929 brachte Stihl, der bis dahin sein Geld mit Vorfeuerungen für Dampfkessel und anderen Produkten verdient hatte, seine erste 7,5 PS starke Benzinsäge auf den Markt. Es dauerte indes noch bis 1950, ehe die erste Einmannsäge zur Marktreife gebracht werden konnte. Die heute gebräuchlichen Kompaktsägen wiegen nur noch halb soviel wie die Stihl-BLK aus dem Jahre 1954. Beträchtliche Arbeitserleichterungen brachten zudem der Vibrationsschutz und die Kettenbremse, die Unfällen mit abspringenden Sägeketten vorbeugt.

Wurden einst die Forstarbeiter noch gewissenhaft ausgebildet für den Umgang mit der Säge, so findet sie sich heute in manch einem Hobbykeller. Die Folge sind Zeitungsmeldungen wie die vom 5. November letzten Jahres, derzufolge im Dieburger Polizeirevier zwei aufgeregte Kinder vorsprachen und um Beistand baten gegen den rabiaten Vater, der sich gerade anschickte, mit einer Motorsäge das elterliche Schlafzimmer zweizuteilen. Wörtlich hieß es im Polizeibericht: „Der 46jährige, der die Säge bereits einsatzbereit gemacht hatte, wollte nach Streitigkeiten mit seiner Gattin für klare Verhältnisse im Schlafgemach sorgen.“ Da möchte man wiederum an Norbert Stresau denken, der über Texas Chainsaw Massacre und vergleichbare Filme schrieb: „Die Antihelden dieser Filme sind die Helden der unterdrückten Klassen, der Farbigen, des Proletariats, weil sie ihnen allen explizit die Zerstörung des alten und implizit eines neuen, möglicherweise ,gerechten‘ Systems versprechen.“ Klassenkampf mit Sti(h)l — wenn „The Father of the Chainsaw“ das geahnt hätte... Harald Keller