: Wirtschafts- und Währungsunion: mindestens zwei Geschwindigkeiten
Mitgliedsstaaten und EG-Kommission haben einen langen Weg zur Konkurrenz mit Dollar und Yen vor sich ■ Von Dietmar Bartz
Auch Mega-Vorhaben können scheitern. Als sich im letzten Jahr die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen Gatt durch den Herbst quälten, mochte sich kaum jemand vorstellen, daß die offizielle Dezember- Deadline verfehlt werden könnte. Und doch konnten sich damals EG und USA nicht auf Kompromisse bei den Agrar-Subventionen einigen; die Verhandlungen platzten. Die Folge: noch heute ist jene „Uruguay- Runde“, auf der 104 Nationen die Zukunft des Welthandels festlegen wollten, nicht abgeschlossen.
Mit den Gatt-Verhandlungen hat der Streit um die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) allerdings kaum mehr gemeinsam als die Wonne, mit der sich die Experten auf die Spezialprobleme stürzen. Dabei geht es im Prinzip nur um eines: Wie können Währungen so gegeneinander stabilisiert werden, daß keine Umtauschkosten mehr entstehen, Kosten und Erlöse im grenzüberschreitenden Handel exakt kalkulierbar sind und Pufferfunktionen der Wechselkurse ersetzt werden?
Die wirtschaftliche Stärke von zwei Ökonomien spiegelt sich im Wechselkurs ihrer Währungen wider, und damit fangen die Probleme an: Jede Veränderung der Wirtschaftskraft verändert den Wechselkurs und stimuliert Ex- oder Importe, was sich wiederum auf die Wirtschaftskraft niederschlägt. Wirft eine Zentralbank die Notenpresse an, steigt die Inflationsrate, und der Geldwert sinkt; auch dies beeinflußt den Wechselkurs. Werden die Zinsen erhöht, um die Inflation zu bekämpfen, wird die Währung für das Ausland attraktiver — ihr Kurs steigt, Importe werden billiger. Wenn dann wegen teurerer Kredite das Wirtschaftswachstum abnimmt, die Warenproduktion nachläßt und das Anlagekapital im produktiveren Ausland investiert wird, sinkt der Kurs wieder und kurbelt den Export an. Diese Beispiele zeigen schon, wie sehr die miteinander verflochtenen Ökonomien vom Wechselkurs abhängig sind, wie sehr der Wechselkurs auch die Differenzen in ihren Entwicklungen abpuffert.
Feste Beziehungen zwischen Währungen machen nur Sinn, wenn sich die „hinter ihnen“ stehenden Ökonomien in einem ebenso festen Gleichschritt entwickeln. Das geht nur, wenn die beiden Ökonomien identisch sind. Wenn aber der Wechselkurs bei ungleichen Verhältnissen immer gleich bleiben soll (oder eine gemeinsame Währung eingeführt ist), muß anderswo ein Puffer installiert werden. Aber wo? Und wer legt etwa fest, wieviel Geld in Umlauf kommt, wieviel Staatsverschuldung erträglich ist, welcher Wechselkurs gegenüber dritten Währungen für beide Teile der günstigste ist?
EG-Finanzausgleich ist offen
Diese Probleme nicht nur in zwei, sondern in zwölf Ländern mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Krisenanfälligkeit, politischer Tradition, Größe und Lage in den Griff zu bekommen, vor dieser Aufgabe stehen die EG-Regierungen. Wegen der vielen Konfliktlinien, Streitpunkte und Kompromißmöglichkeiten sind die Ergebnisse des EG-Gipfels von Maastricht so wenig vorhersagbar. Hinzu kommt, daß die 13 Verhandlungsparteien (zwölf Regierungschefs und die EG-Kommission) wesentliche Probleme ebenfalls ausklammern und vertagen können.
So ist etwa die künftige Ausstattung des EG-Strukturfonds und ähnlicher Töpfe für die ärmeren EG- Länder von extrem großer Bedeutung. Denn mit den Transferleistungen der EG nach Spanien, Portugal, Griechenland und Irland muß das Kapital ersetzt werden, das sich aus diesen Ländern mit der WWU auf den Weg in produktivere Regionen der EG machen wird. Doch die jetzigen Systeme für den Finanzausgleich stehen erst Ende 1992 zur Reform an; kein Wunder also, daß die schwächeren Länder von den stärkeren bereits jetzt verbindliche Zusagen fordern, um nicht später im Regen zu stehen.
Ohnehin besteht, von einer Ausnahme abgesehen, keine „technische“ Notwendigkeit, nach dem Binnenmarkt-Programm jetzt partout WWU und Europäische Politische Union (EPU) auf den Weg zu bringen. Der Binnenmarkt kommt ohne die WWU aus, die WWU ohne die EPU. Zwar ist das für den Binnenmarkt geforderte Ende der Kapitalverkehrskontrollen auch eine Voraussetzung für die WWU, weil das Kapital auf seiner grenzüberschreitenden Suche nach Profit ungehindert durch Europa schwappen soll. Deswegen müssen aber die Währungsbarrieren nicht gleich fallen.
Schlicht unerläßlich ist nur eine Reform: die Aufwertung des Europa-Parlamentes zu einem Organ, das diesen Namen auch verdient. Die WWU kann das Haushaltsrecht eines Länderparlaments einschränken — wenn es etwa zum Ausgaben-Exzeß neigt, können Strafmaßnahmen verhängt werden. Noch ist nicht klar, wie weit die Ermessensspielräume der Euro-Zentralbank (EZB) dabei gehen sollen. Möglich ist, daß Budgetdefizite mit der EZB wirtschaftspolitisch diskutiert werden müssen, weil die Bank vor der Verhängung von Strafmaßnahmen auch die allgemeinen Stabilitäts-Fortschritte eines Landes berücksichtigen soll. Dann aber kann etwa ein Subventionsabbau, als Sparmaßnahme begriffen, schnell zur EZB-Bedingung für ein Okay zum nationalen Haushalt werden — selbst wenn die Zentralbanker dies nicht offen aussprechen. Der Bundestag könnte, so unrealistisch dies auch ist, zur Not das Bundesbankgesetz ändern und dem Finanzminister ein Weisungsrecht gegenüber den Bankern einräumen. Die WWU-Verfassung ist jedoch unumstößlich. Kein Wunder, daß die britische Regierung so nervös ist.
Ganz zu schweigen von den Souveränitätsrechten, die mit der Politischen Union an die EG abgetreten werden sollen. Zwar ist an der Unabhängigkeit der Euro-Zentralbank, so sie tatsächlich zustandekommt, nicht mehr zu rütteln — auch nicht durch ein aufgewertetes Europa-Parlament. Doch ohne den politischen Konsens mit Straßburg kann die EZB ihre Geldpolitik nicht betreiben. Oder umgekehrt: wenn sie gegen den Widerstand des Europaparlaments operiert, ist die Konstruktion undemokratisch und auf Dauer nicht haltbar. Es ist müßig, über dann eintretende „sowjetische Verhältnisse“ zu spekulieren. Sie werden wohl am ehesten dadurch vermieden, daß Zentralbanker und Parlamentarier gleichberechtigt miteinander verkehren. Kommt es aber bei der Kompetenzerweiterung des Europa-Parlamentes zu keinem Ergebnis, wird der Verlust an Demokratie um so größer sein, je mehr sonstige integrationspolitische Schritte in Maastricht beschlossen werden.
Was bedeutet nun die Wirtschafts- und Währungsunion für die EG- Staaten, die später ihre Landeswährungen gegen die Einheits-Ecu auswechseln sollen? In den letzten vier Jahren, seit die WWU wieder ernsthaft diskutiert wird, haben Regierungen, EG-Kommission und Zentralbank-Chefs fast pausenlos mit wechselnden Koalitionen gearbeitet — je nach Diskussionsstand um Ziele und Fahrplan. Warum ist das Konzept gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben so stark abgespeckt? Und welche WWU-Streitpunkte sind für den Maastricht-Gipfel übriggeblieben?
Zunächst: so neu ist die Idee einer Wirtschafts- und Währungsunion in der EG nicht. Um 1970 — die Zollunion der sechs EWG-Länder war gerade vollendet und die neue gemeinsame Agrarpolitik noch ein Anlaß zur Freude — gab es bereits einen ersten Anlauf. Doch halbwegs stabile Verhältnisse kehrten erst ein, als auf dem Bremer EG-Gipfel 1978 das Europäische Währungssystem (EWS) beschlossen wurde. Es trat 1979 in Kraft und ist seither fast unbestrittene Grundlage aller WWU- Anstrengungen. Ziel des EWS ist, die Schwankungen der Teilnehmerwährungen untereinander innerhalb einer Bandbreite von 2,25 Prozent zu halten; bei stärkeren Abweichungen müssen die Zentralbanken mit Devisenkäufen und -verkäufen den Kurs regulieren. Schwächeren Währungen wurde eine Schwankungsbreite von sechs Prozent eingeräumt.
Schnell wurde die Bundesbank wegen ihrer rigorosen Anti-Inflationspolitik zur dominierenden Kraft im EWS; die D-Mark entwickelte sich zur „EWS-Ankerwährung“. Hier steckt bereits einer der Grundkonflikte in der EG: „Ordnungs-“ gegen „Industriepolitik“. In vielen Ländern ist die Zentralbank nicht unabhängig, sondern den Regierungen unterstellt. Zumeist Staaten, die über umfangreichen Industriebesitz verfügen, benutzen Notenpresse, Zinssätze und Haushaltsdefizite als Mittel, um ihren Einfluß in der Wirtschaft zu wahren — sei es ganz simpel aus Prestigegründen, sei es, um mit Subventionen Arbeitsplätze zu erhalten.
Zwar haben es Bundesbank und Bundesregierung in den letzten Jahren verstanden, in der EG einen weitgehenden Konsens über das „Stabilitätsgebot“ für eine Euro-Zentralbank herzustellen. Aber wie weit dieses Einverständnis im Einzelfall reicht, wenn es die Höhe von Zinssätzen und Wirtschaftswachstum gegeneinander abzuwägen gilt, mag in Bonn und vor allem in Frankfurt niemand sagen.
WWU-Fahrplan ist umstritten
Ein weiteres Problem entstand mit dem WWU-Fahrplan, den ein Komitee unter der Leitung des EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors Anfang 1989 ausgearbeitet hatte. Ein Drei-Stufen-Modell sollte einen reibungslosen Übergang zur Einheitswährung sicherstellen. Vor allem die Bundesbank forderte, die Euro-Zentralbank erst am Ende des wirtschaftlichen Zusammenwachsens der Länder zu gründen und mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten. Die Konvergenz, also die Annäherung der wichtigsten Wirtschaftsdaten wie Zins- und Inflationsraten, müsse bis dahin weit fortgeschritten sein. Hier liegt die Ursache für mindestens zwei Geschwindigkeiten in der EG: Die Annäherungstendenzen Ende der 80er Jahre haben sich ins Gegenteil verkehrt, die Entwicklungen laufen wieder auseinander. Derzeit dürfte wegen der hohen Verschuldung nicht einmal die BRD der Einheitswährung beitreten.
Das Drei-Stufen-Modell wurde nach und nach konkretisiert. Die erste Stufe trat am 1.Juli 1990 in Kraft. Die Koordination zwischen den Zentralbanken wurde verstärkt; nach dem Beitritt der spanischen Pesete und des britischen Pfundes zum EWS-Wechselkursmechanismus sind jetzt nur noch die griechische Drachme und der portugiesische Escudo, beides Schwachwährungen mit starken Kursschwankungen, draußen. In der zweiten Stufe, sozusagen einer Übungsphase, soll das neue Zentralbanksystem aufgebaut werden, Entscheidungen aber weiterhin in den Mitgliedsländern gefällt werden. Der Mogelbegriff Euro-Zentralbank wurde für diese Stufe vermieden; der EZB-Vorläufer heißt jetzt Europäisches Währungsinstitut (EWI). Das EWI, dessen genaue Zuständigkeiten immer noch nicht klar sind, soll mit der zweiten Stufe am 1.1. 1994 seine Arbeit aufnehmen. Mit der dritten Stufe, mit deren Erreichen jetzt zwischen 1997 und 1999 zu rechnen sein soll (siehe oben Du-und-Du-Kasten), wird dann die Euro-Zentralbank errichtet — und die EG oder eine Reihe von Mitgliedsländern können die Währungskonkurrenz gegenüber den USA und Japan aufnehmen.
Den damit verbundenen Souveränitätsverlust will die britische Regierung allerdings nicht mitmachen. Sie hat bereits die Zusage bekommen, nach der Unterzeichnung des WWU- Vertrages gleich wieder ihren Ausstieg verkünden zu dürfen. Zusätzlich kompliziert wird es, da nicht mehr klar ist, ob noch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zustimmung zur WWU und der zur Politischen Union besteht. Bundeskanzler Kohl, der dies bislang vertreten hatte, ist in den letzten Wochen deutlich stiller geworden. Erst Maastricht wird zeigen, welche Punkte zur Verhandlungsmasse gehören und welche unverzichtbar sind.
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