: Endlich nach Hause
■ Terry Anderson auf dem Weg in die Freiheit/ Freilassung wurde gestern abend angekünigt
„Verwenden Sie das Wort – Terrorist – nicht. Es ist hier vorurteilsbeladen.“ Ob Terry Anderson heute nach sechseinhalbjähriger Geiselhaft noch zu dieser Empfehlung steht, die er seinen Mitarbeitern kurz vor seiner Entführung gab, ist nicht bekannt. Der damalige Leiter des Büros der Nachrichtenagentur 'ap‘ in Beirut gehörte, wie so viele seiner Leidensgenossen, zu denjenigen, die ungeachtet von Bürgerkrieg und Kidnappings im Libanon blieben, sich gegen vereinfachende und irreführende Schablonen wandten, dort ihre Freunde hatten, kurz, die sich dort auch zu Hause fühlten.
Anderson wurde am 16.3.1985 von der Gruppe „Islamischer Heiliger Krieg“ verschleppt. Seine Frau Madelaine war damals mit ihrem zweiten Kind schwanger. Die inzwischen sechsjährige Salome hat ihren Vater noch nie gesehen. In die Zeit von Andersons Geiselhaft fielen der Tod seines Vaters und seines Bruders Glenn, die beide an Krebs starben. Alle Appelle an die Kidnapper, Anderson vorher freizulassen oder wenigstens einen Besuch zu gestatten, stießen auf taube Ohren.
Wie die Geiseln, von denen viele Trost in der Religion suchten, es geschafft haben, mit einer selbstaufgelegten täglichen Routine gegen Hoffnungslosigkeit und das Gefühl des Verlassenseins anzukämpfen, können wir nicht nachvollziehen. „Beschäftigt zu bleiben ist unser Hauptproblem“, schrieb Anderson im November 1985 in einem Brief, den sein Kollege und Freund Robert Fisk in einem Buch veröffentlichte. In der Einsamkeit der Haft gab der Gedanke an die engen Angehörigen den Geiseln einen besonderen emotionalen Rückhalt. „Ich stelle jetzt fest, wie sehr ich mich über Jahre hinweg von euch abgeschnitten habe und wieviel ich dadurch verloren habe“, schrieb Anderson. Mit der gestern abend angekündigten Freilassung steht einem Wiedersehen mit seiner Familie nun endlich nichts mehr im Wege.
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