piwik no script img

Auf den Spuren der Brombergers

■ Bremer Lehrer rekonstruiert das Leben zweier Frauen, die am 28. Juli 1942 von den Nazis ermordet wurden

„In Minsk-Stadt sind am 28. und 29. Juli 1942 rund 10.000 Juden liquidiert worden, davon 6.500 russische Juden — überwiegend Alte, Frauen und Kinder. Der Rest bestand aus nicht einsatzfähigen Juden, die überwiegend aus Wien, Brünn, Bremen und Berlin im November vorigen Jahres nach Minsk auf Befehl des Führers geschickt worden sind.“

Diese knappe Meldung stammt von Wilhelm Kube, Hitlers „Generalkommissar für Weißruthenien“, Unter den Opfern der Massenermordung waren Henriette und Dora Bromberger, zwei Künstlerinnen aus Bremen. Der Lehrer Rolf Rübsam hat die letzten Spuren der beiden wie ein Puzzle zu einem Lebensbild zusammengesetzt: „Die Brombergers — Schicksal einer Künstlerfamilie“ dokumentiert das tragische Leben zweier Frauen, die sich in der Gegenwart des Nationalsozialismus immer weiter isolieren und isoliert werden, bis sie ihr zum Opfer fallen.

Der Vater David Bromberger war ein stadtbekannter Musiker. Als er 1876 in die Hansestadt kam, brachte er die „neuen“ Komponisten mit: Schumann, Schubert und Brahms. Bremen hängt an dem Mann, seine öffentlichen — und Hauskonzerte sind die Treffpunkte der bürgerlichen Gesellschaft. 1905 ehrt ihn der Senat mit dem Titel eines Professors.

Drei Kinder haben die Brombergers, alle drei werden in einer gemeinsamen Feier im Jahr 1888 im Bremer Dom getauft. Der älteste Sohn Siegfried wird Kaufmann, und verläßt später Bremen. Die beiden Töchter, Hen

David Bromberger und Frau, Sohn Siegfried, Tochter Dora und eine Freundin der Familie (vor 1905)

riette (Henny) und Dora, bleiben nach dem Tod ihrer Mutter 1905 im Hause des Vaters: Henny wird Pianistin, Dora Malerin.

Die zwanziger Jahre sind die Zeit der Hausmusik. Vater und Tochter Henny Bromberger sind beliebte Klavierinterpreten, beide gelten als geduldige Lehrer und bringen den Söhnen und Töchtern der ersten Bremer Häuser das Klavierspielen bei. Die Senatoren mit ihren Gattinnen gehen im Hause Bromberger in der Contrescarpe ein und aus, Auguste Kirchhoff gehört zum Frauenchor des David Bromberger. Den Vater verbindet eine weitläufige Freundschaft mit Johannes Brahms. Die jüngste Tochter Dora ist Malerin. Ihre Aquarelle, die weichen Landschaften, Naturbilder und Stilleben, sind begehrte Kunstobjekte. Oft verkehrt sie mit Otto Modersohn und den Malern der Künsterkolonie Worpswede, ohne ihr freilich anzugehören, ihre Ausstellungen

hier bitte das

Familienfoto

finden regionale Beachtung.

Über 32 Zeitzeugen, die die Brombergers gekannt haben, hat Buchautor Rolf Rübsam befragt. Aus ihren Erinnerungen zeichnet er das Bild zweier liebenswürdiger, zuvorkommender Frauen, die vollständig in ihrer Kunst auf

gehen. Ihr Leben findet in einer Gesellschaft statt, die es sich zunächst leisten kann, den Faschismus zu ignorieren. Die brachiale Nazi-Rhetorik blättert von den feinen Häusern ab, im privaten Kreise werden zunächst weiter Gesellschaften und Hauskonzerte gegeben, in der Hoffnung, das der „Spuk“ bald vorbei sei.

Doch die Hoffnung bewahrheitet sich nicht. Dora Bromberg darf plötzlich nicht mehr ausstellen, Hennys Klavierspiel ist nicht mehr gefragt. Die Schüler bleiben aus, die Brombergers ziehen sich zurück. Einzelne couragierte Bekannte gibt es noch, die ihnen Arbeit und Brot besorgen, das Gros jedoch hat sich zurückgezogen. Heinrich Albertz wundert sich in seinem Vorwort, „wie schnell und wie selbstverständlich die Feigheit dieser bürgerlichen Gesellschaft siegte.“

Vater Bromberger muß die Nazi-Zeit nicht mehr erleben. Er stirbt 1930 als angesehener Mann. Die Töchter aber werden am Morgen des 18. November zusammen mit 568 weiteren Bremerinnen und Bremen nach Minsk deportiert, wo sie am 28. Juli ermordet werden. mad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen