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(Vielleicht) Das letzte Abendmahl

Eine slowakische Erzählung. Kein literarisches Meisterwerk, aber ein Skandal in der CSFR. Vaclav Havel dazu im Prager Bundesparlament: „Literatur gehört nicht vor Gericht.“  ■ Von Martin Kasarda

Bei Simon dem Aussätzigen liegen wir auf einem kleinen Teppich in dieser Reihenfolge (von links, Name und Beruf): Maria Magdalena, Prostituierte, Jesus Christus, Altruist und Revolutionär, damals Landstreicher und Quacksalber, Augustin Boleslav Tŕnistý, also meine Wenigkeit, genannt auch Ischka Riot, slowakischer Barde und Betrüger, Martha, vor dem Gesetz Simons Angetraute, ansonsten Köchin bei den Drei Königen. Alles.

Wir planen einen Herrenabend. Und warten. Jesus hat zwei unserer Jungs ausgeschickt, um festzustellen, ob es heute Im Krug den Hammel am Spieß geben wird. Er will nämlich zu seinem Alten aufbrechen, weiß Gott, wo der lebt, und der Hammel soll das letzte Abendmahl zum Abschied sein. Er ist dreiunddreißig Jahre alt, höchste Zeit, ein normales Leben zu beginnen, acht Stunden arbeiten, Kinder erziehen, sagt er.

Jetzt aber liegen wir. Mißlicher Zufall. Jesus hat sich soeben in den Kopf gesetzt, einen guten Schweinebraten speisen zu wollen. Er ist immer schon ein Nonkonformist gewesen, und es läßt ihn völlig kalt, daß heute Fastentag ist. Eine Zeitlang hat sich die Religionsgemeinde, in der sein Alter das Sagen hat, ziemlich gewundert, daß der Apfel so weit vom Baum fallen konnte und der Junior so aufmuckt. Doch sie haben sich daran gewöhnt.

Martha ging den Schweinebraten holen. Das heißt, in der Küche stehlen. Jesus hat ihr eingetrichtert, die Jesuiten würden über die Heiligung der Mittel künftig ihre eigenen Wahrheiten verkünden. Warum also nicht schon jetzt Gebrauch davon machen, oder? Da hat er allerdings noch keine Ahnung gehabt, wie ungeschickt sich Martha geben würde. Kaum zurückgekehrt, stolpert sie über die Schwelle, und die Alabasterschüssel fliegt ihr aus den Händen. Das Fleisch landet vor mir. Die Schüssel mit dumpfem Schlag auf Jesu Haupt. Und das Fett rinnt hinab, rinnt herrlich hinab. Übers Gesicht, übers Haar, über die Kleider. Das ist aber nicht weiter schlimm, das fettige Haar Jesu ist in ganz Jerusalem bekannt, und wenn einer zwei Jahre lang eine einzige Kluft anhat, heißt das, daß er sich nicht beschmutzen kann. Nicht mehr beschmutzen kann.

Ich könnte mich ärgern. Tapsige Niete. Jesus guckt umher, leicht benommen von dem Schlag, und ich erkläre Martha, daß dieses hätte auf der Straße teuer verkauft werden können, mindestens für dreihundert Dinar. So hätten wir wenigstens Geld für den Abschied. Zwar hat er uns eingeladen zu diesem vielleicht letzten gemeinsamen Abendmahl. Doch in seiner verdammten Menschenliebe hat er das Geld dafür längst verschenkt. Manchmal ist er naiv wie ein Kind. Man müsse helfen, es genüge, daß wir leben, gute Menschen würden schon für uns sorgen, sagt er. Er hat gut reden, sein Alter hat ihm versprochen, ihn in seinem Reich zu seiner Rechten sitzen zu lassen. Da würde selbst einer wie ich alles hergeben.

Kaum habe ich Martha zusammengestaucht und ihr alle Nachteile des laxen Umgangs mit dem Denken erläutert, wie ihn die überwiegende Mehrheit des anderen Geschlechts tagtäglich praktiziert, sagt Jesus:

„Laß sie! Was bekümmert sich die Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan: Daß sie dies Öl auf meinen Leib gegossen, hat sie getan, daß sie mich fürs Grab bereite.“

Nach diesen Worten beginnt er sich zu entkleiden. Vor den Damen! Doch sollte man dem Beispiel Jesu folgen. Maria Magdalena löst mühelos die Bänder, die ihr Kleid zusammenhalten. Dieses gleitet Millimeter um Millimeter abwärts, rutscht über die von so vielen Männern liebkosten Brüste, gewinnt sanft an Tempo über dem Bauch, um ein letztes Mal an den Lenden abzubremsen. Aah. Das ist kein Palmers, nein, das ist ein lebender, duftender Frauenkörper! So habe auch ich mich aus Solidarność, wie es bei den ehrenwerten polnischen Katholiken zweitausend Jahre später heißen wird, entkleidet und habe auch Martha die Klamotten vom Leib gerissen. Und nackt salben wir uns gegenseiitg mit dem Öl des Leibes Jesu, drücken uns aneinander, wechseln einander ab, löschen und zünden die Lichter, die Lüste, die Tage.

Mag sein, daß Sie einen nackten Körper bereits in den Händen hatten. Vielleicht. Uns hat Jesus lieben gelehrt. Unseren Nächsten zwar, doch haben wir darunter stets unsere Nächste verstanden. Hat doch jedes Früchtchen irgendwo ein Fruchtblatt. Oder einen Griffel? Ich weiß da nicht Bescheid, in Biologie bin ich nicht so gut bewandert, dafür wird es einmal einen Linné geben, nicht einen wie mich. Mir reicht heute ein Minimum davon — der Sex. Möglicherweise verabscheuen Sie das, möglicherweise rufen Sie jetzt alle Heiligen an, doch die Realität ist nun einmal so. Gerne würde ich mal all die Lüste beschreiben, wie sie uns die Mädchen Jerusalems bescheren. Sie haben so gar nichts mit der sogenannten Missionsstellung gemein. Die hat man sich erst viel später als Grundposition ausgedacht.

Ich lege meine Hand auf einen zarten Körper. Sphärenmusik. Jesus hat nie besonders viel für Musik übrig gehabt. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sich alles ganz anders entwickelt. Er aber: nur Engelschöre und Demutsgesänge zu Ehren Gottes. Ich weiß, das ist nur eine Reaktion auf die zeitgenössische Popmusic aus Rom, deren Melodik sehr nahe an Kitsch herankommt und vom aufrichtigen Rock 'n' Roll meilenweit entfernt ist. Gott, wo hab ich nur dieses Wort her? Schon wieder aus den Tiefen meiner platonisch sich besinnenden Seele? Das passiert mir oft, daß mir Begriffe in den Sinn kommen, deren Denotate ich nicht kenne. Vielleicht ist es ein Déjà-vu. Vielleicht Parapsychologie.

Darüber nachzudenken, habe ich nicht die Zeit. Haben Sie die Zeit? Jesus kommt gerade zum Höhepunkt mit Maria Magdalena. Irgendwie beneide ich ihn. Nicht, daß ich mit Matha keinen Orgasmus haben könnte, das nicht, doch immer, wenn ich anderen im Augenblick der Lust zusehe, stelle ich mir die Frage, ob ich dabei einen ebenso stupiden Ausdruck habe. Angespanntes Gesicht, schwitzender Körper, heftiger Atem, Schreie. Der Anblick der Befruchtung einer Stute durch den Hengst ist — natürlich nur theoretisch — derselbe. Ein Glück nur, daß Gott, quasi also der Alte von Jesus, uns mit keinem Knochen im Schwanz versehen hat.

Stoß, Stoß, Stoß. Schweiß, Schweiß, Schweiß. Jesus, Jesus, Jesus. Und zum Schluß Orgasmus. Jetzt wäre es ganz gut, sich eine anstecken zu können. Das aber wird erst im sechzehnten Jahrhundert möglich sein, nach der Entdeckung Amerikas, also Pech gehabt.

Erst der Lärm vor dem Haus führt uns in die Realität zurück. Elf Apostel. Jesus steht am Fenster und kommentiert ihr Treiben. Sie versuchen, Jerusalems ehrsame Jungfrauen auf ihre Deichseln zu locken. Und so finden sie seitens der Mädels keine Beachtung. Ich habe sie schon lange dazu überreden wollen, in Devisenwechsel zu machen, Jesus aber meint, daß sie ihren Nächsten lieben sollen. Wenn ich mit dem Argument dasgegen halte, daß sich der Nächste und vor allem die Nächste mit Geld viel effektiver lieben ließen, sagt er darauf, ich solle nicht begehren meines Nächsten Weib. Puritaner. Doch er hat recht, Maria Magdalena macht es uns auch ohne Geld.

Trotz der schwachen Proteste der Hauswirtin treten sie ein. Die feuchten Brüder. Jesus hat einen Plan ausgeheckt: Nach dem Hammel Im Krug gehen wir in den Biergarten von Gethsemane, und die Nacht verbringen wir in der Bar Zum Kaiphas. Ein heißer Schuppen, lauter Nutten, Söldner aus Rom, da und dort ein Priester und ähnliches Gesocks mehr. Ein Gerücht besagt, daß Pilatus, der Chef des judäischen Geheimdienstes, hier den Daumen drauf hat. Ein guter Ort zum Provozieren. Eine Strategiedebatte ist also durchaus angebracht, da mag Martha sagen, was sie will.

Der Samariter muß wohl verrückt geworden sein. Kaum haben die Apostel die Tür hinter sich geschlossen, sagt er:

„Meine Selee ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit mir.“

Und bereitet den Jungs eine große Freude, denn er lehnt sich aus dem Fenster und bittet die ehrbaren Jungfrauen von Jerusalem herein. Wie denn auch nicht, schlagen sie doch gegen das Tor und rufen:

„Herr, Herr, tu uns auf!“

Die Fortsetzung können Sie sich sicher denken. Feuer. Jesus nämlich hat bemerkt, daß sie frisches Öl für die Lampen brachten. Im Lichte der brennenden Dochte beginne ich, während der aktiven Bewegung am gesunden Körper, ans Essen zu denken. Und da bin ich nicht der einzige. Die Jungs erheben sich, die Richtung ist klar — der Hammel. Und die Mädchen überlassen wir den Sünden der Insel Lesbos.

Wie ich soeben erfahre, habe ich eine Pflicht zu erfüllen. Gott, warum ich? Jesus hat entschieden, ich sei der Richtige; ich solle beim Kaiphas einen Tisch für den Abend bestellen. Ich kann mit Menschen, die auf mich nicht überzeugend wirken, schlecht umgehen. Was ich geahnt habe, ist eingetroffen. Der Kerl immer zu mir, daß er bei sich keine Juden haben wolle. Ich ballere ihm ein paar Slowakische aufs Maul, denn er hat das Wort Juden nicht mit dem gebührlichen Respekt ausgesprochen, wie ihn später einmal der slowakische Freiherr von Knigge in seinem Buch Über den Umgang mit Menschen fordern wird. Aber versuch mal, einem Goi intelligent zu kommen! Dieser getürkte Antisemit hat erst bei Gewalt klein beigegeben. Und hat mir lieber dreißig Silberlinge geschenkt, damit wir auch wirklich zu ihm kämen, bei ihm werde es Friede, Freude, Eierkuchen geben und so ein Stuß, wie man ihn aus der Werbung zur Genüge kennt.

Ich streife durch Jerusalem. Ewig schmutzige Stadt. Jesus und die Jungs schlagen sich bestimmt schon den Bauch voll. Ein wenig geht mir Magdalenas Duft ab. Aber Herrenabend ist Herrenabend. Wenn schon das letzte Abendmahl, dann eins, das es wert ist, begangen zu werden. Noch weiß ich nicht, was die Geschichte daraus einmal macht. Prophetie ist niemals meine Stärke gewesen, obwohl man mich die Jahrhunderte danach gerade ihretwegen oft verbrennen wird.

Im Inneren der Rattenfalle namens Krug sitzen zwölf haarige Typen. Ein Stuhl für mich. Jesus macht einen todernsten Eindruck. Er hat wieder einmal seinen Spleen, um den ihn selbst ein Baudelaire beneiden würde, wenn er jetzt schon lebte. Seit die Geheimpolizei Jesus auf dem Kieker hat, ist es mit ihm oft nicht auszuhalten. Wenigstens heute hätte er sich aber zusammennehmen können, wo er doch, wie er behauptet, in drei Tagen bei seinem Alten sein wird. Aber nein, er muß uns ins Gewissen reden, von Verrat und Verleumdung sprechen, von Betrug und Arglist und etlichen anderen ethischen Kategorien. Der Teufel soll ihn holen.

Fortsetzung

Fortsetzung

Statt des Hammels nimmt er ein Brot in die Hand, zerbricht es und sagt, während er es verteilt:

„Nehmet, esset; das ist mein Leib.“

Mit ertaunlich ernstem Gesicht, als photographierte man ihn für ein Präsidentenporträt während eines der künftigen totalitären Regime in der Slowakei, nimmt er den Kelch und reicht ihn uns. Wir trinken daraus einer nach dem anderen, allen rinnt der Wein übers Kinn, und mitten in dieser Völlerei sagt er:

„Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele.“

Ich blicke in die verstimmten Augen der Tischgenossen. Nicht einmal Thomas will es glauben. Jesus ist ein komischer Bruder, eine Kreatur Gottes, alles, was er tut, tut er aus Langeweile. Sein Alter ist paradiesisch reich, wir aber müssen uns aus dem Krug heimlich davonmachen, weil wir nicht das Geld haben, um die Zeche zu bezahlen. Ohnehin werden wir hier nicht so bald wieder einkehren, jeder von uns will irgendwohin verschwinden. Die Feldarbeiten stehen bevor, die Touristensaison bricht an, Petrus plant sogar eine Reise nach Rom, wo er der Gladiatorenweltmeisterschaft beiwohnen möchte. Dem letzten Abendmahl folgt die letzte Nacht. Singend begeben wir uns an den Ölberg. Dort verbirgt sich mitten in herrlicher Natur, im Schatten herrlicher Platanen, unweit der herrlichen Tiefen eines Sees, der der Legende zufolge aus der Unmenge Urins der bierseligen Stammgäste entstanden war, der herrliche Biergarten von Gethsemane, wo man dem Gesang herrlicher Vögel lauschend herrlichste Mengen der bescheuerten Zeit herrlich totschlagen kann.

Vielleicht kommt hier auch der Philanthrop auf andere Gedanken. Bierselige. Jesus will Abschied nehmen von seiner Jugend, wie er gesagt hat, sich an gute alte Zeiten erinnern. Das Bier evoziert melancholische Untertöne. Der Abend vergeht in elegischen Gesprächen über sexuelle Freuden, wir erörtern unsere sexuellen Wünsche, deuten unsere Träume, kein Totem stört uns, kein Tabu hindert uns. Ich bemerke als erster, daß wir zum Beobachtungsobjekt einiger hinter Bäumen versteckten Herren geworden sind. Das römische Spitzelsystem ist ausgesprochen unauffällig. Ich will es unbemerkt Jesus ins Ohr flüstern. Neige mich zu ihm hin. Er blinzelt verträumt, hält mir den Mund hin. Ich kann nicht widerstehen! Ein Kuß wie ein Rosengarten.

Das Schicksal bereitet dem Menschen gefährliche Hinterhalte. Auch Schlagstöcke. Vergeblich versucht Jesus sich herauszureden. Anschuldigung wegen Unsittlichkeit, Homosexualität, Erregung öffentlichen Ärgernisses, Verbreitung von Aids, nein, dieses eigentlich noch nicht. Nach einem kurzen Handgemenge, das entstanden ist, weil die Römer es zunächst abgelehnt haben, unsere gandhische Gewaltlosigkeit und Wir-haben-nackte-Hände-Rufe zur Kenntnis zu nehmen, und wir plötzlich die Taktik geändert haben, gelingt uns die Flucht. Ziel und Treffpunkt der zerstreuten Apostelschar ist klar: die Bar Zum Kaiphas. In einer gewissen Schrift wird einige Jahre danach zu lesen sein, Jesus sei dort allein gewesen und sei sogar von römischen Soldaten hingeführt worden, doch wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht (was freilich auch eine Mystifikation sein könnte), war dem nicht so.

Der Querfeldeinlauf ist, wie jeder andere Sport, der Gesundheit abträglich. Gegrüßet seist du, Bar! Jesus sitzt bereits an Ort und Stelle, auch die anderen treffen ein, die Flucht aus Gethsemane ist gelungen. Der Wein fließt in Strömen. Eines will mir nicht in den Kopf: warum uns Jesus in einem fort über seine Jobs berichtet, die er noch auszuführen habe. Morgen soll er mit irgendwelchen Taschendieben Kreuze auf Golgatha hochtragen, sagt er. Wenn er aber weiterhin so zechen wird, dann ist er nicht zu beneiden; das wird dann ein richtiger Kalvariengang sein, in dieser feuchten Hitze Jerusalems. Er hat es Pilatus versprochen, sagt er. In vino veritas, Kumpel. Mit dem Chef der judäischen Polizei würde ich nie und nimmer Geschäfte machen.

Zur Morgenstunde erscheint jede Umgebung schön. Inspirierend. Jesus hat mich gebeten, ich solle ihm etwas aus meinen Gedichten vortragen. Auf diesen Augenblick habe ich gewartet, denn ich habe ein neues Gedicht geschrieben, diesmal eine surrealistische Paraphrase auf biblische Hymnen und Psalmen:

Na? Ist das nicht großartig? Ist es. Jesus kugelt sich vor Lachen. Das letzte Wort ist mit zwar unverständlich, doch die Schar der Dirnen, die mit entblößten Reizen fröhlich um unseren Tisch herumhüpfen, überzeugt mich, daß es nichts Vergebliches sein kann. Das Verhältnis zwischen Kunst und Damen hat mich stets in Ekstase versetzt und wird mich stets in Ekstase versetzen. Ich vermute, daß zwischen Ästhetik und Erotik nicht nur ein Gleichklang in den Endungen besteht. Auch nicht nur der Gleichklang der Finanzen, zumal Geld nicht eben zu den Hobbys der Ästheten-Lobbies zählt.

Ich trinke Rotwein aus einem Stiefel, und während ich dies tue, habe ich Probleme, auszuweichen. Den Brüsten und den Stühlen. Jesus hat eine Schlägerei provoziert. Oder umgekehrt. Jesus ist Ursache einer provozierten Schlägerei. Die Römer haben uns gefunden. In einer Stadt, die nur über zwei Nachtbars verfügt, ist das nicht weiter schwierig. Mich überrascht eher die zahlenmäßige Überlegenheit, in der sie hier angerückt sind. Es kommt mir nicht fair vor, wenn zwölf Apostel und ein Christus von einer römischen Hundertschaft attackiert werden. Die Philosophie der Gewalt, an die ich mich während der paar Jahrtausende in der denkenden Welt gewöhnt habe, bleibt sich immer und überall gleich. Ich habe recht, denn ich habe die Waffe. Ein wenig tut mir Jesus leid, denn auch er wird so enden.

Die Schlägerei gewinnt ein relativ hektisches Tempo. Ich habe begriffen. Jesus in den Fallstricken der Macht. Dieser getürkte Antisemit Kaiphas hat uns in die Falle locken wollen. Unsere römischen Verfolger kamen ihm da gelegen. Da nimm, schreie ich, obwohl ich Affekte hasse, und schleudere ihm mit aller Wucht den Geldbeutel ins Gesicht. Darin befinden sich jene dreißig Silberlinge, mit denen er mich bestochen hat, auf daß wir auch wirklich zu ihm kämen. Den Schlägen auf meinen Scheitel nach zu urteilen hätte ich dies lieber unterlassen sollen.

Haben Sie schon mal verprügelt am Boden gelegen? Nein? Jesus hat zwar immer behauptet, daß wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dann biete ihm die andere auch dar, doch würde ich das nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, nicht empfehlen. ich halte Ausschau nach ihm und sehe ihn nicht. Mein Blick bleibt am knieenden Petrus haften, der gerade behauptet, Jesus nicht zu kennen. Die Jungs von Pilatus können mit ihren körpernahen Fragen ganz schön unangenehm sein. Mich wundert nicht, daß Petrus ihn leugnet. Hand aufs Herz: Würden Sie sich zu Ihrem Chef bekennen, nachdem Sie erfahren hätten, er sei ein Defraudant?

Ich trinke, was ich kann, bevor die Stühle alles zerschlagen. Es fehlt an Demut. Jesus, der verbohrte Philanthrop, ist anständig wenigstens darin, daß er die Obdachlosen ehrlich obdachlos sein läßt. Nicht wie diese zerstörungsgeile römische Soldateska. Der Alkoholspiegel im Blut steigt.

Wie ein betrunkenes Schiff torkele ich hinaus. Sie haben kein Gewissen. Jesus wird draußen vom örtlichen Pöbel erwartet, der schreinend nach seiner Kreuzigung verlangt. Versteckt auf der Toilette, beobachte ich durch einen Spalt, wie sich Pilatus die Hände wäscht. Ich ahne, daß ich von hier verschwinden muß. Die einzige Hoffnung, die mir bleibt, ist, schnell einzuschlafen. In einem Alptraum verfolgt mich das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Weniger ein Ereignis, weniger eine Tat, eher einen entscheidenden Augenblick. Ich wache auf. Ein Gefühl: Man wacht auf und ist nicht sicher, ob das Bett, in das man sich gelegt hat, identisch ist mit dem, in dem man aufwacht. Zweifel an der eigenen Wirklichkeit. Träume ich von Ihnen oder Sie von mir? Ich schlafe wieder ein. Ich wache auf und schwitze wie mitten im heißesten Sommer. Ich sehe nichts. Vielleicht bin ich verrückt geworden. Schon seit drei Stunden sehe ich nichts, nehme nicht mit den Augen wahr. Fort, fort, fort aus diesen Mauern. Sich aus der Umklammerung befreien, aus dem Gefühl der Schuld. Sich von sich selbst befreien, sich selbst keine Schuld geben. Sage ich und höre nicht.

Und schreie.

Wie ein Echo antworte ich einer bekannten Stimme, einen einzigen Satz schrei ich:

„Eloi, eloi lamma sabakthani?“

Dann habe ich mich erhängt, obwohl ich das aus tiefster Seele hasse.

Aus dem Slowakischen

von Peter Sacher

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