: Per Kaltstart in den Binnenmarkt
Länder des Andenpaktes sind sich einig: Ab 1.1.1992 fallen die Handelsschranken zwischen Bolivien, Kolumbien, Peru, Venezuela und Ecuador/ Subventionen und Agrarimporte bleiben ausgeklammert ■ Von Gaby Weber
Am liebsten möchte Bolivien auf allen Hochzeiten tanzen: Es dient sich dem „Merconort“ an, dem gemeinsamen Markt des Nordes, den in naher Zukunft die USA, Kanada und Mexiko unterzeichnen wollen. Die Regierung in La Paz liebäugelt aber auch mit dem „Mersosur“, dem Gegenstück des Südens, in dem sich Ende März in Asuncion die Regierungen von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay feierlich verpflichtet haben, eine gemeinsame lateinamerikanische Handelszone zu errichten.
Und nicht zuletzt mit Chile, das bislang — von zahlreichen bilateralen Abkommen abgesehen — sich keinem der neuen Blöcke anschließen wollte, soll mehr Handel getrieben werden. Angesichts weltweiter Einfuhrbeschränkungen und Subventionspolitik hat die Stunde der Wirtschaftsblöcke geschlagen, und wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich die Geschichte.
Da sich bislang keiner der Umworbenen mit dem armen Bolivien zusammentun wollte, erinnerte man sich in La Paz an die finanzschwachen Brüder, mit denen man vor 22 Jahren den Andenpakt gegründet hatte: Ecuador, Peru, Kolumbien und Venezuela. Jetzt haben die fünf Mitgliedstaaten des „Abkommens von Cartagena“, wie der Andenpakt offiziell heißt, beschlossen, den Beispielen ihrer Nachbarn zu folgen und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum ohne Handelsschranken zu bilden. 75 Millionen Menschen leben in diesem neuen Binnenmarkt. Die fünf Regierungen setzten gleich alles auf eine Karte: Ohne Etappen soll das Unternehmen ab dem 1. Januar des kommenden Jahres in die Praxis umgesetzt werden.
Doch Zweifel sind angebracht: Der Andenpakt hatte sich seit seiner Gründung im Jahr 1969 Handelsliberalisierung zum Ziel gesetzt. Doch das Vorhaben blieb auf der Strecke; statt des größeren Binnenmarktes blieb nur eine Integration in den Weltmarkt übrig. Da auch jetzt keine Kredite für Investitionen zur Verfügung stehen werden, wird auch der nun beschlossene „liberalisierte Andenpakt“ ein Lippenbekenntnis bleiben.
Er wird wohl an denselben Problemen wie der Mercosur scheitern: Es fehlen gemeinsame Hygiene- und Normvorschriften und eine kollektive Strategie, wie mit Subventionen, Migration und Währungspolitik in Zukunft zu verfahren sei. Man will die juristischen Grundlagen harmonisieren, heißt es, aber die Auslandsschulden will jedes Mitglied auch künftig einzeln verhandeln.
Stark unterschiedliche Industriestruktur
Die Vertragsstaaten haben eine völlig unterschiedliche Ausgangsposition, mit unterschiedlicher Inflation und Industriestruktur. Nur Brasilien (Mercosur) und Venezuela (Andenpakt) verfügen über eine einigermaßen entwickelte Industrie und werden nach dem Fall der Zollschranken die Nachbarländer mit ihren Produkten überschwemmen. Dort werden sich die Konkurse häufen. Zudem scheiterte Perus Regierungschef Fujimori mit der Forderung, alle direkten Subventionen abzuschaffen, mit denen sich die Mitgliedsländer also untereinander künftig weiter Marktanteile wegnehmen können.
Von einigen Ausnahmen abgesehen, sollen die Einfuhrzölle einheitlich bei fünf bis 20 Prozent liegen und ab 1994 um fünf Prozent gesenkt werden. Bislang verdanken Länder wie Paraguay, aber auch Bolivien ihren Niedrigzöllen einen einträglichen Einkaufstourismus. Sie werden, räumte der enttäuschte bolivianische Präsident Jaime Paz Zamora ein, jetzt erhöht werden müssen. Korruption und Schmuggel werden den betroffenen Ländern also erhalten bleiben.
Ein anderes Beispiel: Um besseren Zugang zu Spitzentechnologie zu erhalten, hatte Uruguay keinen Zoll auf Computer und Informatik erhoben. Um die eigene Computerindustrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, läßt Brasilien hingegen ausländische Computer gar nicht erst ins Land, sogar Laptops werden an den Grenzen auf Nimmerwiedersehen einkassiert.
Verabredet wurde auch, daß hochsubventionierte Güter nicht mehr einführt werden sollen — gemeint sind in ersten Linie Agrarprodukte. Das klingt nicht schlecht und könnte die Europäische Gemeinschaft verschrecken. Doch dies wird wohl niemals Wirklichkeit werden — dieser Bereich, der sensibelste von allen, wurde ausgeklammert; die Fachminister sollen eine Zwischenlösung finden.
Auch bei den südlichen Mercosur-Nachbarn gab es darum gleich den ersten Streit: Wenige Tage, nachdem Brasilien jenen Vertrag unterschrieben hatte, wurde bekannt, daß es gerade zu einem Dumpingpreis Fleisch aus EG-Beständen und Weizen aus den USA erwerben wollte. Die Argentinier, die auf ihren Waren sitzen bleiben, weil sie zwar billiger produzieren, aber nicht subventionieren können, konnten das Geschäft in letzter Minute durchkreuzen, aber der anfängliche Enthusiasmus ist hinüber.
Um das Chaos komplett zu machen, sprachen sich die bolivianischen Unternehmen jüngst dafür aus, auch Mitglied im Mercosur zu werden, sobald sich ein Türchen öffnet. Und prompt verkündete die Regierung in Mexiko, daß sie neben dem Merconort einen weiteren Pakt mit Kolumbien und Venezuela bilden wolle. Durch Doppelmitgliedschaften werden aber sämtliche Übereinkünfte wie Abbau von Handelsschranken und gemeinsame Schutzzölle unterlaufen.
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