Nationalismus im Wasser

■ Europacup der Wasserballer in der Sportschwimmhalle Schöneberg/ Im Viertelfinale des Wettbewerbs der Landesmeister bezwangen die Wasserfreunde Spandau ZSKA Moskau mit 15:9

Schöneberg. Leute trinken Glühwein, tauschen ihre ernüchternden Erfahrungen beim vorweihnachtlichen Kaufrausch aus oder reden über das Wetter draußen vor der Schwimmhalle des Schöneberger Sportzentrums am Sachsendamm. Wären da nicht die muskelbepackten Schränke von ZSKA Moskau und den Wasserfreunden aus Spandau — man könnte daran zweifeln, daß das Europacupspiel dieser Wasserballer der Grund unseres Daseins in Schöneberg war.

Die Russen vom Zentralen Armeesportclub aus Moskau sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Gutgelaunt und nicht gerade klamm vor Nervosität, freundeten sie sich mit dem Schöneberger Naß an. Vielleicht waren sie auch nur froh, endlich einmal in einem Land antreten zu dürfen, das sich nicht von ihrem sowjetischen Arbeitgeber lossagen will.

Peter Rusoran, Spandauer Trainer, hatte sich hingegen mit Generationskonflikten und Integrationsproblemen herumzuschlagen. Da es mit der Berliner Talentschmiede nicht mehr so richtig hinhaut (derzeit verfügt der 13malige Deutsche Meister nur über einen einzigen Juniorennationalspieler!), aber die alten Wasserratten vermehrt ans Aufhören denken, mußte der Coach gleich mehrere Neue integrieren: So sollten die Duisburger Dirk Klingenberg und Guido Rebel, der Cannstätter Auswahltorwart Volker Wörn sowie die beiden Ausländer Lasse Norbaek (Odense) und Slawomir Adruszkiewicz (Gorzow) jene Lücken füllen, die die abgewanderten Asse Armando Fernandez und Andreas Ehrl hinterlassen haben. Daß dies nicht ohne Badeunfälle geschieht, mußte der viermalige Europacup-Gewinner aus W-1/20 bereits in der noch jungen Bundesligasaison erkennen. Gegen Hohenlimburg setzte es eine Heimniederlage, woraufhin man beim gefährlichen Konkurrenten aus deutschen Landen, WaSpo Hannover, bereits jubelte: Zieht den Spandauern die Badehose aus!

So weit wollten es die sich traditionell sehr bedeckt gebenden Westberliner doch nicht kommen lassen. Nach exakt 41 Sekunden erzielte Hagen Stamm mit einem forschen Rechtsschuß das 1:0 gegen Moskau. Wer in der ausverkauften Schöneberger Badeanstalt nunmehr mit einem Kantersieg gegen ZSKA liebäugelte, konnte verrückt werden. Immer wieder vergaben die deutschen Weißkappen aus günstigster Wurfposition ihre Chancen oder scheiterten an der Wasserhärte des sowjetischen Titelträgers. Der Kampf der Nationen am Sachsendamm, dies konnte man als Zuschauer nur erahnen, ging vor allem unter Wasser vonstatten. Alle fünf Sekunden ertönte der Pfiff des Schiedsrichter- Duos, weil die Spieler mit unschöner Regelmäßigkeit in den zerfurchten Fluten versanken. Einige der Akteure, in der Mehrzahl Gäste, durften sich daraufhin die Tunk- und Tauchorgie vom Ufer aus betrachten.

So stand es nach dem zweiten Viertel — zur Enttäuschung des fachkundigen Publikums — »nur« 6:5 für den Gastgeber. In den dritten neun Minuten warf der deutsche Abonnementmeister dann aber all seine Routine in die Waagschale. René Reimann, Geburtstagskind Guido Gleißner und immer wieder Hagen Stamm, eine der letzten Korsettstangen der alten Spandauer Herrlichkeit, vergrößerten den Vorsprung mit zunehmender Spieldauer. Den Russen, stark verjüngt und einiger Republik»flüchtlinge« aus anderen Völkern der Sowjetunion verlustig gegangen, ging allmählich die Luft aus. Hatte zuvor wenigstens Dimitri Goschkow, einer der letzten aus der »alten Garde«, einige Male getroffen, so gelang es im dritten Drittel lediglich Sascha Kolotow, Peter Röhle im Berliner Gehäuse zu überlisten.

13:6 leuchtete es nach erst 27 absolvierten Minuten von der schmucken Anzeigetafel am Beckenrand, über dem eine rote Fahne ohne Hammer und Sichel zu Ehren der Moskowiter recht schlapp von der Balustrade hing. Wer nun geglaubt hatte, daß die Wasserfreunde im letzten Viertel den Gästen noch einmal kräftig einschenken würden, sah sich aber getäuscht. Zwar führten die Wahlschöneberger kurz vor der Sperrstunde beider Torgehäuse haushoch mit 15:7, wozu Hagen Stamm mit insgesamt sieben Treffern sein Scherflein beitrug. Doch in den letzten Schwimmzügen ging bei den Spandauern offensichtlich die Konzentration baden — und es hieß zum Schluß lediglich 15:9. Dennoch ein Traumergebnis, das die Berliner mit glänzenden Weihnachtsaugen zum Rückspiel an die Moskwa fahren läßt. Jürgen Schulz