Auferstanden aus Ruinen

■ Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländern/ Der Kleinbürger Marke DDR hat mit dem Kleinbüger Marke BRD mehr gemeinsam, als jedem von ihnen lieb ist

„Die Realität ist oft brutal, aber beweiskräftig“, schreibt der Nürnberger Journalist Bernd Siegler in seinem Buch Auferstanden aus Ruinen — Rechtradikalismus in der DDR.

Akribisch hat er Fakten zusammengetragen: der Dresdner Mord an dem Mosambikaner Jorge Gomondai, Neonazi-Aufmärsche und „Deutschland den Deutschen“-Umzüge der Nachwendezeit, täglicher und bestenfalls noch in den Polizeiberichten registrierter Rassismus und „stabsmäßig organisierte“ Etablierung rechtsextremer Strukturen auf dem „Beitrittsgebiet“. Siegler blendet zurück, der „antifaschistische Staat“ DDR, der Skin-Angriff auf die Zionskirche 1987, die Klage des Schriftstellers Stephan Hermlin über eine Belegung des Antisemitismus „wie seit vierzig Jahren nicht mehr“, die Israel-Politik von Regierung und Medien, personelle Kontinuität des Nazismus auch in Redaktionen der gleichgeschalteten DDR-Medien; latenter, geduldeter, geförderter Rassismus in Fan-Clubs des DDR-Fußballs und Ordnungsgruppen der „Freien Deutschen Jugend“. Die Realität ist brutal. Beweise liefert sie nicht so pur und platt wie es Politiker, die sich heute über Fluten und Ströme, Schnellrichter und Sammellager ergehen und den Umgang mit Menschen meinen, gerne hätten. Vierzig Jahre DDR sind eben auch vierzig Jahre verdrängter, nicht verarbeiteter, plakativ zugehangener, per Dekret abgelegter deutscher NS- Geschichte. Aber als Erklärung für den auflebenden Rechtsradikalismus in den fünf neuen Bundesländern greift der Hinweis auf SED, Stasi und „Nationale Front“ zu kurz.

Bernd Sieglers Verdienst ist, nicht nur die Verschleierungsmechanismen der SED-Staatsführung zu durchleuchten, sondern nach der Kontinuität der gesamten deutschen Geschichte zu fragen. „Der Kleinbürger Marke DDR hatte mit dem Kleinbürger Marke BRD mehr gemeinsam, als jedem von ihnen lieb war. Auf der einen Seite die wirtschaftlichen, auf der anderen die moralischen Sieger der Geschichte: Jeder glaubte, ohne eigenes Zutun auf der richtigen Seite zu stehen.“ Das ist es: diese Siegermentalität, die immer ihre Verlierer braucht, die zwar in ihrer deutschen Ausprägung besonders häßlich „normal“ gerät, aber wohlweislich nicht nur den Deutschen eigen ist. Der Türschließer und Rauswerfer wachen viele an den europäischen Grenzen. Bernd Siegler, der sich als Korrespondent der 'tageszeitung‘ seit Jahren mit dem Rechtsradikalismus beschäftigt, hat uns mit seiner Reportage ein gut recherchiertes Material gegeben, dem rechtsmuffigen politischen Klima der Bundesrepublik Mißtrauen und Argumente entgegenzusetzen. Wo es Politikern immer nur um das „Ansehen Deutschlands“ geht, braucht die Achtung vor dem Menschen einen langen Atem. Detlef Krell

Bernd Siegler: Auferstanden aus Ruinen. Edition Tiamat, 1991, 26 DM