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Jelzin und Rote Armee im Schulterschluß

■ Sowjetische Militärführung trifft Jelzin und stellt sich hinter Rußlands Präsidenten/ Erhöhung des Verteidigungshaushaltes erörtert/ Jelzin schlägt Gorbatschow Rücktritt vor/ EG-Lebensmittelhilfe

Moskau (ap/dpa/taz) — Im Bestreben, die Institutionen der ehemaligen Sowjetmacht auf seine Seite zu bringen, ist der russische Präsident Boris Jelzin gestern vormittag im sowjetischen Verteidigungsministerium mit der sowjetischen Militärführung und Verteidigungsminister Jewgeni Schaposchnikow zusammengetroffen.

Das Treffen verlief laut Rußlands Wirtschaftsminister Jegor Goldar in einer „Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses“. Anschließend ging Jelzin in den Kreml und traf Gorbatschow — die erste Begegnung der beiden seit Gründung des Staatenbundes zwischen Rußland, der Ukraine und Belorußland. Nach Angaben eines russischen Parlamentsabgeordneten schlug Jelzin dabei Gorbatschow vor, zurückzutreten.

Schaposchnikow hat nach Angaben der Nachrichtenagentur 'Interfax‘ seine Unterstützung für Jelzin bekundet. Ministerialsprecher Waleri Manilow sagte, Jelzin habe „praktisch alle Fragen, die die Armee heute bewegen“ angesprochen. Dazu gehörte auch eine mögliche Erhöhung des Verteidigungshaushalts. Die von beiden Seiten geäußerte „Zufriedenheit“ macht deutlich, daß Jelzin in seinem Streit mit dem ehemaligen UdSSR-Präsidenten Michail Gorbatschow um die Gunst des Militärs vorerst gewonnen hat. Gorbatschow hatte die Militärführung am Dienstag getroffen.

Das von Generalmajor Alexander Zalko, stellvertretender Vorsitzender des russischen Staatskomitees für Verteidigungsfragen, als „unerwartet“ bezeichnete Treffen endete mit der beidseitigen Versicherung, daß das sowjetische Militär nicht in den gegenwärtigen innenpolitischen Konflikt eingreifen werde.

Westliche Beobachter wiesen am Mittwoch darauf hin, daß Jelzin insbesondere durch den gescheiterten Staatsstreich im August ein besseres Verhältnis zum Militär habe als Gorbatschow. Jelzin hatten im Sommer verschiedene in Rußland stationierte Einheiten besucht. Die Luftwaffendivision in Tula hatte sich daraufhin während des Staatsstreichs auf Jelzins Seite gestellt und dadurch entscheidend zum Scheitern des Putsches beigetragen.

Für heute ist eine Sitzung des Obersten Sowjet angesetzt, auf der über den Staatenbund beraten werden soll. Wie die Nachrichtenagentur 'Tass‘ berichtete, wird Jelzin heute auch eine Rede vor dem russischen Parlament halten.

Milliardenkredit

Die sowjetische Außenwirtschaftsbank muß wegen akuter Devisenknappheit auf einen Milliardenkredit der G-7-Staaten zurückgreifen. Die G-7-Staaten hatten Ende November bei Verhandlungen mit zwölf Sowjetrepubliken über die sowjetischen Auslandsschulden eine Kreditlinie in Höhe von einer Milliarde US- Dollar nebst einem Tilgungsaufschub bis Ende 1992 gewährt. Damals hatte der sowjetische Ministerpräsident Silajew erklärt, dieser Kredit werde nur „im äußersten Notfall“ abgerufen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Bank sagte gestern, Grund für den Devisenmangel sei die Beendigung der Existenz der Sowjetunion. Die Unternehmen Rußlands, Belorußlands und der Ukraine hielten sich nicht mehr an das Unionsgesetz, 40 Prozent ihrer Deviseneinnahmen an die sowjetische Zentrale abzuführen. „Es ist auch nicht auszuschließen, daß versteckte Mittel ins Ausland gehen“, sagte der Bankier.

Während gestern der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses im US- Kongreß, Tom Foley, weitere amerikanische Hilfe für die ehemalige Sowjetunion in Frage stellte und der neue CIA-Direktor Robert Gates vor den „größten Unruhen“ seit 1917 warnte, beschloß der EG-Gipfel in Maastricht gestern die Bereitstellung von 250 Millionen Ecu (etwa 500 Millionen Mark) für Lebensmittelhilfe.

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