Catch 22 und der arme Poet

Der Grand Slam Cup von München ist nach wie vor ausschließlich aufs Geldscheffeln ausgerichtet/ Verbissen um jeden Dollar kämpfende Underdogs treffen auf saturierte, mäßig motivierte Superstars  ■ Aus München Matti Lieske

Einen hintergründigen Sinn für Humor kann man den Veranstaltern des Grand Slam Cups in München nicht absprechen: steht doch just in der VIP-Lounge, wo die ehrenwerte Gesellschaft des vielgeschmähten Millionenturniers nach Herzenslust schlemmt und völlt, eine lebensgroße Nachbildung des Armen Poeten von Carl Spitzweg. Auf diese Weise wird der hungrige und durstige VIP beim kräftigen Biß in den Hummerschwanz eindringlich gemahnt, daß es Leute auf der Welt gibt, die gar nicht jeden Tag Hummerschwänze essen können und möglicherweise nicht einmal Champagner im Kühlschrank haben. Andererseits: was muß dieser dämliche Idiot auch Poet werden, weiß doch jedes Kind, daß mit solch brotloser Kunst keine Mark zu machen ist.

Tennisspieler hätte er werden sollen, wie beispielsweise David Wheaton, Guy Forget, Michael Stich oder Todd Woodbridge. Die haben in München nur ein einziges lächerliches Tennismatch gewonnen und waren schon um 300.000 Dollar reicher. So viel gibt es für das Erreichen des Viertelfinales beim Grand Slam Cup in München, und selbst die Verlierer der ersten Runde kassieren noch schlappe 100.000 Dollar. Stolze zwei Millionen trägt der Sieger des Turnieres auf seine Hausbank, was selbst für einen Michael Chang so viel wäre, wie er bisher in seiner gesamten Karriere kassierte.

Drum erhob sich, als die kostspielige Show im letzten Jahr zum erstenmal stattfand, ein großes Geschrei von Unmoral und Sittenverfall. Nun sind allerdings die sonstigen Preisgelder, Antrittsprämien und Honorare für Schaukämpfe im Tenniszirkus auch nicht gerade kleinlich bemessen, und so verwundert es nicht, daß sich bei der zweiten Auflage des Grand Slam Cups die ganze Aufregung als eher künstlich und etwas heuchlerisch entpuppte. Der schärfste Kritiker, Boris Becker, ist total umgeschwenkt und spricht von „einer Riesenchance für Tennis- Deutschland“, der allerschärfste, Mats Wilander, hockt in der Versenkung und spielt Gitarre, nur Claus Stauder, Präsident des Deutschen Tennis-Bundes, brummelt etwas von Relationen, die nicht stimmen, und Agassi hat immer noch keine Lust.

Der letztjährige Konflikt um das Münchner Ereignis war nichts als ein purer Machtkampf zwischen der Spielergewerkschaft ATP, die die Turnierserie in die eigenen Hände genommen hatte, und der Internationalen Tennis-Föderation ITF, die, stocksauer über ihre Ausbootung, aus Rache den Grand Slam Cup ins Leben rief. Becker, Wilander und John McEnroe hielten solidarisch der ATP die Treue und boykottierten München, doch der klassenkämpferische Geist ist auch bei Tennisprofis ein sehr flüchtiger. Die Probezeit der ATP ist vorüber, ihre Tour hielt nicht, was sie versprach (weniger Arbeit, mehr Urlaub) — kein Grund mehr, ihr die Treue zu halten und dem Grand Slam Cup fernzubleiben.

Die meisten für das lukrative Turnier qualifizierten Cracks konnten, wie von der ITF vorhergesehen, schon im Vorjahr nicht dem Lockruf des Goldes widerstehen und spielten mit. Und die Veranstalter hatten Glück: trotz des frühen Ausscheidens von Edberg und Lendl war das Turnier, bei dem es keine Weltranglistenpunkte gibt, sportlich unerwartet ansprechend, mit teilweise hochklassigen Matches (Sampras-Ivanisevic), kochenden Emotionen (Gilbert-Wheaton) und einem exzellent spielenden Sieger (Pete Sampras).

Vor allem für die zweitklassigen Akteure, die dank einer Sternstunde bei einem der Grand-Slam-Turniere in das Feld gerutscht sind, ist das Sechs-Millionen-Ereignis, für das die sechzehn Besten der Turniere von Melbourne, Paris, Wimbledon und Flushing Meadow qualifiziert sind, die Gelegenheit des Jahres. Hier können sie mit einem einzigen Sieg mehr verdienen, als sonst während der ganzen Saison. Für einen Krösus wie Lendl dagegen dient die Sache eher als „gute Vorbereitung für die Australian Open“ und Erstrundenverlierer Jim Courier gab unumwunden zu, daß er nur wegen des Geldes hier gewesen sei. Für ihn ist der Grand Slam Cup eine Art „Catch 22“. „Das Geld ist so gut, daß Du spielen mußt, aber der Termin ist so miserabel, daß es für jeden schwierig ist.“ Er zum Beispiel sei mitten im Konditionstraining für Melbourne. Was nach Willen der ITF der Höhepunkt der Saison sein soll, ist für die meisten Spieler das erste Turnier der neuen Saison und ein sportlich unwichtiges dazu.

Die relativ mäßige Zuschauerzahl des letzten Jahres, diesmal dank des Becker-Strohfeuers beträchtlich gestiegen, störte die Initiatoren des Münchner Cups wenig, sie verwiesen auf das große Sponsoreninteresse und die weltweite Vermarktung der Fernsehrechte. Im übrigen habe der Grand Slam Cup 1990 ganze 19.600 Übernachtungen und 32.000 „Bewirtungen“ mit sich gebracht, und das kann sich ja nun wahrlich sehen lassen. Wäre doch gelacht, wenn da nicht noch ein paar Mark für einige weitere passende Skulpturen in der VIP-Lounge abfallen würden. Van Goghs Kartoffelesser beispielsweise, oder Charlie Chaplin, wie er in Goldrausch seinen Schuh verspeist. Wohl bekomm's.

Achtelfinale: David Wheaton (USA) — Paul Haarhuis (Niederlande) 1:6, 6:3, 6:2; Guy Forget (Frankreich) — Jaime Yzaga (Peru) 6:3, 6:3; Michael Stich (München) — Goran Prpic (Kroatien) 6:4, 6:3; Todd Woodbridge (Australien) — Aaron Krickstein (USA) 6:3, 6:3