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Im Zweifel für einen Kennedy

Freispruch für Kennedy-Neffen im Vergewaltigungsprozeß/ TV-Übertragung aus dem Gerichtssaal kaum umstritten/ Frauengruppen befürchten Einschüchterungseffekt bei Vergewaltigungsopfern  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Die Geschworenen brauchten 77 Minuten, um ihr Urteil zu sprechen. William Kennedy Smith, angeklagt, in der Nacht zum letzten Karsamstag auf dem Anwesen der Kennedy- Familie in Palm Beach eine 29jährige Frau vergewaltigt zu haben, wurde für „nicht schuldig“ befunden.

Es war ein Urteil, das Millionen Amerikaner nach zehn Tagen Live- Berichterstattung auf ihren Kabelkanälen wohl gut nachvollziehen konnten. Zu schwach waren die Argumente der Anklage, zusammengetragen von einer mittelmäßigen Staatsanwältin, die gegen die hochbezahlten Verteidiger des Angeklagten keine Chance hatte. Gleich zu Prozeßbeginn hatte sich ihre wichtigste Zeugin als bestechlich entpuppt — sie hatte ihre Story für 40.000 Dollar an eine Fernsehshow verkauft und mehrmals abgeändert. Dann ließ Richterin Mary Lupo weitere Zeuginnen der Anklage, die William Kennedy Smith ebenfalls der Vergewaltigung beschuldigten, nicht zum Prozeß zu.

Da das Gesetz auch in Florida im Zweifel für den Angeklagten ist, blieb den sechs Geschworenen, darunter vier Frauen, am Ende nur noch ein Freispruch übrig. Schienen doch die Widersprüche in seiner Version der Geschehnisse auf dem Rasen des Kennedy-Anwesens weniger kraß, als die in der Schilderung der Klägerin. Vor einer jubelnden Menge von 500 Reportern und Zuschauern bedankte sich Kennedy anschließend bei den Geschworenen: „Mein Leben war in ihren Händen.“ Die Klägerin ließ durch ihren Anwalt mitteilen, sie habe keinen Moment den eingeschlagenen Weg bereut, Anklage zu erheben, „trotz des enormen persönlichen Preises“.

William Smith Kennedys Bravour-Performance im Zeugenstand war allerdings das Produkt einer perfekt geölten Verteidigungsmaschinerie, welche die Kennedy-Familie alles in allem über eine Million Dollar gekostet haben wird. Die Klägerin brach dagegen im Zeugenstand mehrmals weinend zusammen, als sie im Gerichtssaal und vor Millionen von Fernsehzuschauern zu den Details der Geschehnisse am Privatstrand und auf dem Rasen der Kennedy-Villa befragt wurde.

Auf dem Bildschirm erschien sie im Gegensatz zum Angeklagten quasi verstümmelt. Ihr Gesicht hatten die Fernsehoberen zum „Schutz ihrer Anonymität“ auf dem Bildschirm mit einem häßlichen grauen Fleck verdeckt. Was wie eine Heuchelei anmutet angesichts der Tatsache, daß ihr Name und ihre Privatsphäre bereits vor Prozeßbeginn öffentlich breitgetreten worden war.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen wurde das US-Fernsehpublikum mit diesem Prozeß Zeuge eines öffentlichen Spektakels über das Thema sexuelle Gewalt. Im Oktober war der Vorwurf der sexuellen Belästigung Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Kongreß über die Ernennung des Obersten Richters Clarence Thomas. Diesmal ging es in Florida um den Straftatsbestand des „date rape“, der Vergewaltigung durch eine befreundete oder bekannte Person.

Da die Beweisführung der Frauen in beiden Fällen gescheitert ist, fürchten viele Frauengruppen nun, daß Frauen zunemehend eingeschüchtert werden, sexuelle Gewalt zur Anzeige zu bringen. Wer am Bildschirm beobachten konnte, wie Anita Hill, die damals Clarence Thomas der sexuellen „Belästigung“ beschuldigte, in der Öffentlichkeit als „verliebte Spinnerin“ dargestellt wurde, und welche traumatischen Erlebnisse die Klägerin von Palm Beach im Zeugenstand durchmachen mußte, wird sich, so die Befürchtungen von Frauenrechtlerinnen, ihre Klage wegen sexueller Gewalt in Zukunft zweimal überlegen.

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