: DER SCHREBERGARTEN ALS UMWELTPROGRAMM
■ Das Blumenpflücken wird zum Umweltdelikt in einer ordentlichen Landschaft mit richtigen Touristen. Die Liaison zwischen Naturschutz und Tourismus.
Das Blumenpflücken wird zum Umweltdelikt in einer ordentlichen Landschaft mit richtigen Touristen.
Die Liaison zwischen Naturschutz und Tourismus.
VONCHRISTELBURGHOFF
Die Unterzeile ist korrekturbedürftig, wenn man den Gegenstand, um den es geht, ernst nimmt. Es müßte dann von der „richtigen“ Landschaft und dem „ordentlichen“ Touristen die Rede sein. Im sanft-touristischen Sprachgebrauch vermeidet man aber den Begriff „ordentlich“ und spricht statt dessen von „richtig“, wenn es um bestimmte „sanfte“ touristische Verhaltensweisen wie den rücksichtsvollen Umgang mit Einheimischen oder um ein umweltgerechtes Verhalten geht. Ein richtig sanfter Tourist fährt — statt kulturellen Schaden im Ausland anzurichten — idealerweise mit seiner Familie in einen deutschen Nationalpark.
Er findet dort eine ordentlich beschilderte und beschriftete Landschaft von hohem naturkundlich-pädagogischem Wert vor. Durch sein vorbildliches Verhalten als einsichtiger und ökologisch bewußter Tourist vermittelt er bereits seinen Kindern die entschieden richtige Haltung zur Umwelt bzw. Mitwelt. Was den rücksichtslosen Klischee-Touristen nach Meinung sanfter Touristiker erst noch mühsam beigebracht werden muß — in einem Nationalpark versteht sich das von selbst. Man hinterläßt dort keinen Müll, bleibt ohne Wenn und Aber auf den beschilderten Wegen, stört, berührt oder betritt nichts und niemanden und achtet vor allem die Gebote.
Zwischen Naturschutz und Tourismus besteht eine innige Liaison. Ein Naturschutzgebiet soll zwar dem Naturschutz und nicht den Touristen dienen, aber unter bestimmten Bedingungen — zum Zwecke der „Anregung, Erziehung, Bildung und Erbauung“ (Resolution von Neu Delhi) — steht sogar ein Nationalpark, das härteste rechtliche Instrument zum Schutze der Natur, touristischen Zwecken offen. Obwohl daraus immer wieder „Konflikte“ entstehen und mancherorts auch von Interessensgegensätzen gesprochen wird, ist die Allianz von Naturschutz und Tourismus doch die Realität, sei es, daß Nationalparks in stark touristisch frequentierten Gebieten angelegt werden (wie zum Beispiel der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer oder auch Jasmund auf Rügen) oder daß gleichzeitig mit ihrer Einrichtung auch ihre touristische Erschließung betrieben wird (z.B. Nationalpark Bayerischer Wald). Wem aber dient letztlich diese Allianz von Naturschutz und Tourismus?
Der Marburger Biologe Hermann Remmert benennt für den effizienten Naturschutz nur ein wesentliches Kriterium, nämlich ausreichend große Flächen, auf denen die Ökosysteme sich selbst überlassen bleiben. Wo — wie vor allem in Europa — die Naturlandschaft komplett kulturell überformt und vernutzt wurde, können sich die natürlichen Prozesse der Tier- und Pflanzengemeinschaften nur auf der Grundlage entsprechender Lebensräume und unter der Bedingung ihrer absoluten Störungsfreiheit entwickeln. Alle anderen naturschützerischen Aktivitäten können nur als Umweltdekoration oder Naturklempnerei angesehen werden. In amerikanischen Nationalparks ist man wegen der Touristen mittlerweile stillschweigend dazu übergegangen, Wege auszulassen.
Schutz der Natur vor den Naturschützern?
Große Areale wildern auf diese Weise aus, denn die Erfahrung der Amerikaner zeigt, daß sich die Menschen in ausgewilderte Areale nicht mehr hineintrauen. In Europa geschieht noch das Gegenteil davon; und fast scheint es, als dürfe sich hierzulande „Wildnis“ einfach nicht entfalten.
„Schützt die Natur vor den Naturschützern“, betitelte vor einigen Jahren ein Autor der Zeitschrift 'Natur‘ seinen Beitrag, in dem er mit dem Gedanken provozierte, daß vielleicht mit dem hiesigen Naturschutz etwas nicht stimmt. Naturschutz sei das Alibi für fortgesetzte Naturzerstörung, schrieb er im Hinblick auf die Tatsache, daß Naturschützer das eine zwar tun — beispielsweise Biotope anlegen —, das andere aber nicht lassen, nämlich nach selbstgesetzten Maßstäben Natur umzumodeln und großangelegte Umweltzerstörungen ohne Murren hinzunehmen. Dieser Widerspruch zwischen Detailversessenheit, dem Engagement im kleinen und der Ignoranz im großen ist in der Tat auffällig: während das „Raumschiff Erde“ wegen vielfältiger schwergewichtiger Umweltzerstörungen trudelt, gilt das Blumenpflücken vielerorts als Umweltdelikt.
Umsteiger aufs Fahrrad werden, wenn man sie im Wald sichtet, als Umweltschädlinge mies gemacht — für den Autotourismus werden dagegen großflächige Wanderparkplätze angelegt. Im Umgang mit großen Umweltzerstörern geben sich Naturschützer in der Regel merkwürdig sanft oder suchen sogar den Anschluß bzw. die Kooperation wie im Falle der Kooperationsschiene Naturschutz-Tourismus. Statt Naturräume sich selbst zu überlassen, wird großflächiges Natur-Management betrieben. Der Naturschutz übernimmt nicht allein die Hinterlassenschaft der bäuerlichen Landwirtschaft, um die dann künstlich gepflegte Kulturlandschaft der Vergangenheit dem Tourismus als sanftes Konsumobjekt darzubieten; er streitet mit um unterschiedliche Ruhezonen und Nutzungsräume, um Wegenetze, Vorschriften und Beschilderungen, um Informationszentren, Lehrpfade, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, um Tiergehege, Freizeiteinrichtungen, Besucherquantitäten, Gastronomie, Hotellerie etc. Sanfte Touristiker initiieren in Kooperation mit dem Naturschutz ohne Unterlaß sanfte Projekte, sie betreiben Aufklärungsarbeit und entwerfen Kriterienkataloge, Faltblätter und Unmengen Informationsmaterial für richtiges Reisen. Im Namen der Natur will jeder das Beste und gibt sein Bestes. Es geschieht unsagbar viel Gutes; unzählige anständige Menschen, engagiert bis auf die Knochen, machen sich tagtäglich an die Rettung unserer Umwelt.
Wenn Großvögel zum Naturerlebnis locken
Wo sich aber so viele zu Anwälten der Natur aufspielen, bleibt nicht allein der natürliche Wildwuchs auf der Strecke, auch das Natur-Erleben wird einer bedingungslosen Revision und Verhaltensnormierung unterworfen.
„Was kann ich hier erleben? Was muß ich anstellen, um möglichst viele Tiere zu sehen?“ Das sind wichtige Fragen der Naturfans. Da lockt ein Nationalpark mit Naturattraktionen wie den Großvogelpopulationen, denn ohne Attraktionen ist ein Nationalpark für den Tourismus uninteressant. Um zu vertretbaren Lösungen sowohl im Sinne der störungsempfindlichen Vögel wie auch der touristischen Neugier zu kommen, wird zwangsläufig ein Ordnungsapparat in Betrieb gesetzt, der Aufklärung über Umweltprobleme mit Umwelt-Berührungsverboten vermischt. Wo das besondere Naturerlebnis versprochen wird, muß die Bewegung in der Umwelt kanalisiert werden. Pädagogisch unbelastet gibt der Biologe Remmert zu bedenken, ob die abwehrenden Pflück-, Sammel- und Bewegungsverbote gerade bei Kindern nicht das Gegenteil der guten Absichten bewirken könnten. Welches Kind wird je den Sinn von Naturschutz einsehen, wenn es brav auf dem Naturlehrpfad zu bleiben hat und, statt eigenständige Naturerfahrungen zu machen, auf Ersatzerlebnisräume verwiesen wird?
Schwarze Pädagogik eines Herrn Schrebers
Die Allianz von Naturschutz und Tourismus bewirkt eine groteske Wiederkehr von Verboten in der Landschaft. Die Rezepte zum Schutz der Natur und ihrer gleichzeitigen touristischen Darbietung, die Versuche einer touristischen Normierung in geschützten Naturräumen hat im einen wie im anderen Fall rigiden Programmatiken die Tür geöffnet, bei denen sich jedoch die Zielrichtung verkehrt hat: Statt den großen Verursachern von Umweltschäden auf den Pelz zu rücken, wird Disziplinierungsdruck „nach unten“ gemacht.
Herr Schreber, der Erfinder der Schrebergärten, hätte daran seine helle Freude gehabt. Die Seele des Kleingärtners würde jubeln angesichts der großen Zahl und der Größe der Gärten, die seiner schwarzen Pädagogik zur Verfügung ständen.
Wenn's dem Schutz der Natur dient, ist auch zweckentfremdeter Naturschutz kein Tabu mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen