Roland und Rathaus nie ohne Laterne

■ „Bremen, wie es ist, würden Sie nicht verkaufen“ / Hastedter Postkartenverlag „Papeterie“ wird 100 Jahre alt

Wer aus dem Urlaub auf Gran Canaria seinen Lieben daheim eine Ansichtskarte schickt, befindet sich auf den Spuren heidnischer Bräuche. Die Kirche wetterte Jahrhunderte lang gegen die Postkarte als solche. Der Grund: Deren Ursprung liegt in dem uralten Brauch, sich zu Neujahr mit dem Segen der Götter alles Gute zu wünschen; im späten 15. Jahrhundert wurde ein Neujahrsgruß erstmals gedruckt — die Postkarte war geboren.

Nicht nur gegen Ende jeden Jahres flattern Millionen von Ansichts-, Kunst- und Grußkarten von einer Ecke der Welt in die nächste. Der Roland, die Stadtmusikanten und der Dom zieren sie, wenn sie aus Bremen kommen. 100 Jahre wird in diesem Jahr der „Verlag Papeterie“ aus Hastedt alt, ein alteingesessener Bremer Postkartenverlag.

„Daß wir in diesem Jahr 100. Geburtstag haben, haben wir per Zufall entdeckt“, erzählt „Papeterie“-Chef Günter Garbrecht. Er hat den Postkartenverlag 1974 gekauft; seine Vorgänger übernahmen ihn 1948 von einem Nachkommen der jüdischen Familie Albert Rosenthal, die die Firma gründete. Während der Nazizeit mußte die jüdische Familie Deutschland verlassen, zwei Angestellte führten die Firma weiter. Garbrecht fand in einem Nachlaß Karten des Rosenthal- Verlages, die älteren Datums als 1905 waren. Eine Nachfrage bei der Handelskammer ergab, daß sich der Handelsvertreter Albert Rosenthal 1891 selbständig gemacht hatte.

Erst zwanzig Jahre zuvor hatte der Weltpostverein die Postkarte überhaupt zugelassen. Der Verein war gegründet worden, um die lästige Neufrankierung an jeder Landesgrenze zu beenden. Er erlaubte 1870 das Verschicken offener Post. Damals hieß das noch „Korrespondenzkarte“ und wurde nur als Kurzmitteilung gebraucht: Auf der Vorderseite prangte ein großes Bild, die gesamte Rückseite war der Adresse vorbehalten. An den Rand wurden kurze Mitteilungen gekritzelt.

Zuerst gab es Korrespondenzkarten, aber die hatten kaum Platz für Text.

In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts spezialisierte sich Albert Rosenthal auf Ansichtskarten; um die Jahrhundertwende kamen Städtemotive dazu. Bald verdrängte die Fotografie die filigranen Stiche; in Handarbeit wurden die Schwarz-Weiß-Bilder nachkoloriert. Im ersten Weltkrieg gab es den ersten Postkarten-Boom: Die Feldpost lief zum großen Teil per Postkarte.

Wurden früher echte Fotografien auf Fotopapier als Postkarte

Postkarte: Häuser

Sonnenschirme

+Bremer Roland

„Gedenke der Brüder...“ erreichte nicht die DDR-Briefkästen Foto: Torsten Krüger, Papeterie

verschickt, ist dieses Verfahren heute abgelöst vom Offset- Druck. Das läßt allerlei technische Spielereien zu, die den Gesamteindruck einer Karte stark verändern können: Da wird der Bremer Himmel so blau wie über den Malediven, viel Rot macht die Atmosphäre wärmer.

„Würden Sie Bremen so bringen, wie es ist, würden Sie es nicht verkaufen“, sagt Garbrecht. „Die Touristen wollen doch wenigstens rüberbringen: Guck mal, wie toll ich bin; ich bin zwar nicht auf den Malediven, aber in Bremen ist der Himmel genau so schön!“ Das Ansichtskartengeschäft ist trotzdem eher rückläufig. Garbrecht: „Das ist heute nichts Tolles mehr, von Bochum nach Bremen zu reisen.“

Was der Tourist am Postkartenständer zu sehen bekommt, bestimmt er letztendlich selbst: Daß im Angebot größtenteils lieblose Acht-Bilder-Kombikarten, Roland frontal mit und ohne Rathaus im Hintergrund und Stadtmusikanten rauf und runter zu finden sind, ist Sache der Nachfrage. „Wie oft habe ich schon versucht, mal was anderes zu bringen“, sagt Garbrecht. Doch wenn er mit Künstlern zusammengearbeitet habe, andere Perspektiven probieren wollte, sei er „jedesmal voll auf dem Bauch gelandet.“ Und: „Wir bedienen den Markt, wir machen ihn nicht.“

So beschränkt sich der Job des Karten-Verlegers oftmals darauf, die altbekannten Motive auf den

neuesten Stand zu bringen: Nach ein paar Jahren werden die abgebildeten Autos zu alt, der Roland bekommt sein Gitter wieder, das Dach des Doms wechselt die Farbe. Dann werden Vertragsfotografen losgeschickt, um das Ganze nochmal... Der Verlag bestimmt dabei ganz genau, welcher Ort, welches Wetter, welche Uhrzeit, welcher Blickwinkel — denn merke: Roland und Rathaus immer nur so, daß die Laterne inmitten der beiden hervorragt.

Das ist nicht der einzige Grund für die Null-Acht-Fünfzehn-Perspektive: Zu DDR-Zeiten gab es Schwierigkeiten mit einer erweiterten Frontale des Roland — dann war nämlich auch am Deutschen Haus lesbar: Gedenke der Brüder, die das Schicksal unserer Trennung tragen!. „Bis wir gemerkt haben, daß diese Karten regelmäßig aus der DDR zurückkamen oder verschwanden, das hat gedauert...“ Susanne Kaiser