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»Niemals an der Angel hängen«

■ Porträt über Christoph Tannert, Projektleiter, Künstlerbetreuer und Ausstellungsmacher im Künstlerhaus Bethanien/ Der Ostberliner versuchte, sich »außerhalb« des Staates zu engagieren

Christoph Tannert weiß, wie man die Leute irritiert. Er kann eine Gruppe von Leuten an sich fesseln, indem er eine halbe Ewigkeit über wilde Rockmusik plaudert, um dann augenblicklich innezuhalten und in der nächsten Sekunde mit ernstem Ton von französischer Philosophie und Poststrukturalismus zu sprechen. Abends steht er in irgendeinem Club am Tresen und stürzt mit Nachtschwärmern Wodka und Bier herunter, am Morgen berät er mit CDU- Spitzen und anderen Lobbyisten die Zukunft der Berliner Kunst. Das klingt zwar wie ein Klischee, aber Christoph Tannert entspricht einem typischen Vertreter der Achtziger- Generation: Popkultur. Die aber hat der jetzige Projektleiter des Künstlerhauses Bethanien im Osten der Stadt verlebt, im angeblich so betongrauen DDR-Alltag.

Damals seien die gleichen Bücher und Zeitschriften gelesen, die gleichen Platten gehört worden wie im Westen. Es war die Blütezeit von DT64. »Damit zeigt sich, daß die Grenze löchriger war, als man es angenommen hat«, sagt der 36jährige im Rückblick: »So wie ich mein Leben selbst in die Hand genommen habe — wie viele andere auch —, kann ich doch nicht im nachhinein einschätzen, daß ich an der Angel des Staates gehangen habe.«

Von der allgegenwärtigen Feindseligkeit der Partei gegenüber der mit ihm verbundenen Kulturszene hat er sich nicht erschüttern lassen. Fünf Jahre später, nachdem Tannert 1976 von Dresden nach Ost-Berlin übergesiedelt war, trat er die Stelle eines »Sekretärs der ZAG Junge Künstler beim Zentralvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR« an. Doch die Freude über die wohlklingende Position hielt nur drei Jahre an. 1984 wurde er gefeuert — weil es die Partei so wollte: »Ich hatte mich sehr offensiv für Künstler eingesetzt, die nicht im Künstlerverband waren. Mit manchen von ihnen war ich zudem befreundet, und so haben wir auf privatem Wege versucht, das zu arrangieren.« In Kellern und kleinen Zweiraumwohnungen fanden Performances mit Künstlern wie Via Lewandowsky in einer Szene statt, die im Zentrum vielleicht Prenzlauer Berg heißen könnte, aber auch in Magdeburg, Cottbus und Dresden zu Hause war. Im Westen nannten wir es lange Zeit den Underground, aber Christoph Tannert sieht es anders: »Für die Westmedien war es sozusagen nötig, eine Opposition im Osten zu sehen.« Es habe natürlich Leute gegeben, die »ihre Dinge« gemacht haben und deswegen »außerhalb« gestanden hätten. Doch weder sei dies eine Sub- noch eine zweite Kultur gwesen. Es sei auch nicht dissidentisch gewesen. »Die Idee bestand doch gerade darin, sein Ding zu machen: ‘nicht für, nicht gegen, sondern außerhalb‚ (Zitat Sascha Anderson, d.A.). Staat hat doch keinen interessiert. Die Gesellschaft hat doch uns nicht mehr tangiert, und letzten Endes ist das System dann aus Desinteresse an den Strukturen zusammengebrochen. Nicht etwa, weil es Druck von außen oder von innen gab, sondern weil die Leute null Bock hatten. Es hat nichts mehr gezogen, weder Zuckerbrot noch die Peitsche.«

Schwer schlägt sich das von Tannert Gesagte nieder; ernüchtert angesichts des Biermann/Anderson- und des Stasi/Szene-Konfliktes. Auch in der DDR gab es statt der vielen Helden eher denkende — am Schreibtisch isolierte — Menschen: »Irgendwie waren wir immer uneingestanden einsam, aber das war doch auch unsere Stärke — vollkommen wie ein Kreisel sich um die eigene Achse zu drehen und damit Energie freizusetzen.«

Seine Achse hat der ehemalige DDR-Avantgardist inzwischen gen Westen verschoben — ins Künstlerhaus Bethanien. Seit vergangenem Jahr arbeitet er als Projektleiter, Künstlerbetreuer und Ausstellungsmacher. Und als Taschenrechner, denn der Kunstbetrieb verlangt Tannert vor allem Managerqualitäten ab. Noch sieht er das Spiel gelassen: »Ganz wichtig sind Projekte, die im Kopf entstehen, die nicht umgesetzt werden, die einfach immer den eigenen Schub in der Zukunft ansetzen und dort im Immateriellen verbleiben lassen.« Das klingt ein bißchen romantisch, wie auch seine anderen Wünsche: »So ein Stück Verlängerung von Zeit würde mir schon gefallen.« Dafür scheint Christoph Tannert im Bereich der modernen Kunst auf Gegenliebe zu stoßen, auch wenn er ihr mit Kritik begegnet: »Ich kann es nicht mehr sehen, wenn Leute Hocker, Gullideckel, Papiertüten oder Tomatenkisten in den Ausstellungsraum schleppen und dann ihre Ensembles machen.« Harald Fricke

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