Doping unter der Teufelskappe

■ Unter dem hautengen Rennanzug ist nicht alles, wie es sein soll: Die Sportart Eisschnellauf gehört für die Kommission des Deutschen Sport-Bundes zur schlimmsten Dopingkategorie

Berlin (taz) — Eisschnellaufen ist ein undankbarer Sport. Wohl kaum jemand kann so richtig was anfangen mit der unbekanntesten der drei Disziplinen, die im Winter mit Schlittschuhen auf gefrorenem Wasser betrieben werden. Während das derbe Eishockey die schwarzen Stellen in der Seele kräftig schüttelt und der anmutige Eiskunstlauf das Herz rührt, bleiben für das athletische Schnellaufen meist nur seltsame Vorurteile.

Die durch eine ebenso spontane wie unrepräsentative Befragung von Passanten aus Anlaß der deutschen Meisterschaften in Berlin nur bestätigt wurden. Hauptgrund zur Ablehnung dieses Sportes war erstaunlicherweise die Ästhetik. „Wie die schon aussehen, dicke Beine, dünne Arme“, ereiferte sich ein älterer Herr mit geschultem Auge für Körperproportionen. Eine etwas jüngere Dame lachte kurz beschämt, als sie ihre Wahrheit zum besten gab: „Naja, gerade bei Männern ist es komisch mit ihren Knackärschen und so in den hautengen Anzügen und dieser dämlichen Mütze.“ Also gnädige Frau, weder Mütze noch dämlich, sondern aufregend und gefährlich nennt sich dieses Ding in der Fachsprache „Teufelskappe“!

Aber bitte, wo solches Denken herrscht, bleibt das Volk zu Hause, wenn sich die Besten treffen. So halt auch am Wochenende in der Eisschnellaufhalle des Hohenschönhausener Sportforums. Von den paar Dutzend Menschen, die auf den Steintraversen rund um die 400-Meter-Bahn standen, nein, eher zitterten und schnatterten, waren nach Abzug der inaktiven Aktiven, Betreuer, Trainer, Familienmitglieder, Verwandten, Presseleute und Fotografen vielleicht gerad zehn echte ZuschauerInnen. Dabei hätte es den rund zwei Dutzend der Befragten gut getan, mal reinzugehen und ihre bösen Vorurteile zu überprüfen. Denn es gab ein vielfältiges Spektakel zu bestaunen, für jeden etwas, selbst wen das Schnellaufen nicht die Bohne interessiert.

Allein die Technik! Die Ästhetik! Diese Männer und Frauen zu beobachten, wie sie auf diesem doch arg glitschigen Element beim Start so rasant beschleunigen ohne wegzurutschen, mit regelmäßigem Schaukeln des gebeugten Oberkörpers über die Gerade wischen; nur das Schürfen der Kufen auf dem Eis ist zu hören. Erst die faszinierende Kurventechnik, Beine und Schlittschuhe permanent zu kreuzen ohne sich zu verhakeln oder zu verknoten, um auf den letzten Metern mit 70 Stundenkilometer übers Eis ins Ziel zu fliegen. Es schaut aus, als ob es überhaupt nicht anstrengend wäre.

Doch natürlich ist es anstrengend. Derart anstrengend gar, daß man versucht wird, der Kondition oder Rehabilitation künstlich auf die Sprünge zu helfen — mit Doping: Die Sportart wurde von der DSB- Kommission zu Dopingfragen in die „schlimmste“ Kategorie eingeordnet. Die Ermittlungen ergaben, daß dort „flächendeckend und systematisch Dopingmittel eingesetzt wurden“. Der Sportdirektor der Deutschen Eisschnellauf-Gemeinschaft (DESG), Günter Schumacher (München), nahm die Nachricht in Berlin überraschend gelassen auf. „Wir sind es gewöhnt, immer wieder neue Hürden zu nehmen“, sagte Schumacher. „Nach dem Zusammenschluß der beiden deutschen Eislaufverbände haben wir von jedem übernommenen Trainer, Physiotherapeuten oder Techniker eine eidesstattliche Erklärung verlangt, in der eine Beteiligung an der Dopingpraxis klar verneint wird.“ Aus der Führungsriege des DDR-Eislaufverbandes wurde niemand in die Dienste der DESG übernommen. Alle Bundestrainer in den olympischen Disziplinen kommen zwar aus dem Osten, sie standen jedoch in der Vorwendezeit zumeist in der zweite Reihe. Der Sportdirektor kann natürlich nicht ausschließen, daß nicht auch schwarze Schafe den Weg in die DESG gefunden haben. „Wenn es stimmt, müssen wir reagieren“, sagte Schumacher. „Wir haben noch viel aufzuarbeiten.“

Eher zurückhaltend war auch die Reaktion der Trainer. Joachim Franke, Bundestrainer der Sprinter, vorher Klubtrainer beim SC Berlin und dort für Superstar Uwe-Jens Mey verantwortlich: „Wir müssen mit dieser Situation leben, Trainer und Athlet stehen unter hoher Belastung. Ich hoffe vor allem auf Sachlichkeit.“ Weltmeisterin Monique Garbrecht betrachtet das Kapitel Dopingvergangenheit als abgeschlossen: „Seit Jahren werde ich im Training immer häufiger kontrolliert, aber ich war noch nie so schnell wie heute. Das dürfte doch ein ausreichender Gegenbeweis sein.“ Schmiernik/dpa

Männer, 500 Meter: 1. Uwe-Jens Mey (Berlin) 37,10 Sekunden, 2. Timo Jankowski (Mainz) 37,54, 3. Olaf Zinke (Berlin) 37,87, 1.000 m: 1. Olaf Zinke (Berlin) 1:15,73, 2. Lars Funke (Erfurt) 1:17,34, 3. Jörg Wichmann (Berlin) 1:17,60; 1.500 m: 1. Peter Adeberg 1:57,05 Minuten, 2. Olaf Zinke 1:58,86, 3. Thomas Kumm 1:59,75; 5.000 m: 1. Frank Dittrich (Chemnitz) 7:10,47 Minuten, 2. Olaf Kotva (Berlin) 7:14,26, 3. Rene Flade (Berlin) 7:16,27.

Frauen, 500 Meter: 1. Monique Garbrecht (Berlin) 40,76 Sekunden, 2. Anke Baier (Erfurt) 41,05, 3. Angela Hauck (Berlin) 41,16, 1.000 m: 1. Monique Garbrecht (Berlin) 1:22,33 Minuten, 2. Anke Baier (Erfurt) 1:22,93, 3. Gunda Niemann (Erfurt) 1:23,12; 1.500 m: 1. Heike Warnicke (Erfurt) 2:08,60 Minuten, 2. Jacqueline Börner (Berlin) 2:10,26, 3. Sabine Völker (Erfurt) 2:10,66; 3.000 Meter: 1. Heike Warnicke (Erfurt) 4:27,48 Minuten, 2. Jacqueline Börner (Berlin) 4:35,94, 3. Ulrike Adeberg (Berlin) 4:37,24;