: Gespensterreigen mit Gregor Gysi
Auf dem zweiten Parteitag, 3.Tagung der PDS errangen die West-Linken einen unerwarteten Triumph/ Nur Gregor Gysi glaubt noch unbeirrbar an die gesellschaftliche Transformation ■ Aus Berlin Matthias Geis
Wo ist unser Spaß geblieben?“ — Die Frage an den einzigen Kandidaten für den PDS-Vorsitz dröhnt durch den Großen Saal im Haus am Kölnischen Park. Gregor Gysi, dem zwei Jahre als Vorsitzender der PDS sichtlich Nerv und Esprit geraubt haben, bleibt dennoch die Antwort nicht schuldig: „Wir sind die humorvollste Partei der Bundesrepublik.“
Humor wird Gysi wohl brauchen, will er die bislang schwerste Niederlage seiner Amtszeit verdauen. Denn die Delegierten bestätigten auf dem Parteitag vom Wochenende nicht nur den Vorsitzenden mit 93 Prozent in seinem Amt, sondern auch den bisherigen Geschäftsführer Wolfgang Gehrke. Die Wiederwahl des Hamburger Ex-DKPlers in die organisatorische Schlüsselposition der Partei aber wollte Gysi verhindern. Nachdem der West-Linke Gehrke in einem Kandidaten-Showdown Gysis erklärten Favoriten, den Ostler Lothar Nicht, deklassiert hatte, warf der Vorsitzende unmittelbar vor dem Wahlgang alles in die Waagschale: Nur mit Nicht im Rücken könne er sich in Zukunft ganz seiner Aufgabe als Parteichef widmen. Der dreiste Manipulationsversuch geriet zur Steilvorlage für den Polit-Profi Gehrke. Der trat „tief betroffen“ ans Mikrofon, klagte über die „Diffamierung“ seiner Arbeit durch Gysi — und wurde gewählt.
Damit hat die interne Auseinandersetzung zwischen Gysi und den westlinken Geistern, die er vor einem Jahr in die Partei holte, ihren Höhepunkt erreicht. Die erdrückende Mehrheit der verbliebenen 180.000 Ost-Genossen hält die Westausdehnung für gescheitert und versucht jetzt mit Gysi an der Spitze den Einfluß der 600 Mitglieder aus den „West-Landesverbänden“ zurückzudrehen. Die wiederum wollen nicht wahrhaben, daß die PDS als Vehikel ihres linkssozialistischen Traums nicht taugt. Aus „Bockigkeit“, so Gehrkes interne Begründung für seine Kandidatur, wird jetzt weiter gefochten.
Da will auch Gysi nicht nachstehen. Daß keiner der exponierten West-Linken mehr auf seiner Einheitsliste für die engere Führung steht, sucht er den Delegierten als Bescheidenheit zu verkaufen: „Nicht jede Denkströmung muß im Vorstand vertreten sein.“ Es wäre schlicht „anmaßend, wenn man alle inhaltlichen Debatten an die Leitung heranziehen wollte.“ — „So ein Dreck, so eine Heuchelei“ wütet vor dem Saal der Ex-Grüne Michael Stamm, bis vor kurzem noch PDS- Vorstandsmitglied und Gysis liebstes (West-)Kind, „alles, was nicht reinpaßt, soll verschwinden.“
Die Kritik aus der West-Ecke, die ihr verletzendes Effet aus dem neuerlichen Scheitern einer Links-Illusion bezieht, könnte Gysi vielleicht noch wegstecken. Doch auch die „Erneuerer“ aus dem Osten ziehen sich jetzt frustriert zurück. Helga Adler kandidiert nicht mehr, Rainer Börner gibt noch in der Nacht seinen Parteiaustritt bekannt: Es habe sich gezeigt, „daß eine ehrliche Auseinandersetzung in der PDS nicht möglich ist“. Michael Nelken sieht, daß „die Öffnung der PDS für eine linke sozialistische Partei widerrufen wird“. Seine Diagnose: „Von der Stagnation zur Restauration. PDS 91 — Im Osten nichts Neues.“ Nur einer will es noch immer nicht wahrhaben. Mit sturer Verbissenheit präsentiert Gregor Gysi sein „Transformationskonzept“ als Strategie der Partei: Die stehe „im Kampf um permanente Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, bis ein Zustand erreicht ist, bei dem wir es dann mit einer neuen Gesellschaft zu tun haben“. Dabei hätte Gysi die Aufgabe, die er vor genau zwei Jahren antrat, schon mehr als erfüllt, wenn er statt der gesellschaftlichen Transformation wenigstens die Veränderung der bestehenden Denkstrukturen in der SED-Nachfolgepartei auf den Weg gebracht hätte. Doch wann immer ein Delegierter zaghaft den Opfermythos kritisiert, mit dem sich die Partei aus vierzigjähriger Täterschaft zu stehlen sucht, steigt der Geräuschpegel, werden die Buhrufe laut, findet der obligatorische Geschäftsordnungsantrag „Schluß jetzt“ seine erdrückende Mehrheit. Es ist noch immer die unveränderte Atmosphäre vom Dezember 89, als sich die desorientierte, verdrängungsbereite Staatspartei ihren neuen Hoffnungsträger wählte. Für die bruchlose Metamorphose von Tätern zu Opfern hat der unbelastete, sprühend-ironische Parteichef von einst die zentrale Rolle gespielt; für diese Aufgabe hat er sich restlos verschlissen; so weit, daß er in der Nacht zum Sonntag nicht einmal mehr den Mut findet, der bis dato perfidesten Simulation von Vergangenheitsbewältigung durch die PDS ein Ende zu setzen: Auf dem „Podium zur Geschichte“ übernimmt Angela Marquart, ein PDS-Teenie mit rot-grüner Leuchtsträhne im Haar, die Verantwortung für die Altvorderen: „Wir sind willens, die Schuld abzuarbeiten.“ Später wird sie sich an Gysis Schulter ausheulen, während oben auf dem Podium Helmut Bock von der „historischen Kommission beim PDS-Vorstand“ von Siegergeschichtsschreibung schwadroniert und ihren verqueren Jugendtraum von der „gemeinsamen Aufarbeitung“ zerschneidet. Gregor Gysi schickt Angela Marquart wieder aufs Podium. — Kein Zweifel, Gysi hält durch.
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