: Vergebt den Roma und Sinti eure Schuld
■ Gedenkveranstaltung für ermordete Roma und Sinti in Marzahn/ Kardinal Sterzinsky brüskierte die Gäste mit Platitüden
Marzahn. »Wir müssen uns erinnern, denn wir dürfen nicht vergessen. Unsere Erinnerung ist vielleicht die letzte Hoffnung unschuldig umgekommener Märtyrer. Aber wir müssen auch vergeben, denn die Vergebung ist sowohl ein Gebot Gottes als auch eine menschliche Pflicht. So schützen wir uns am besten gegen die Rachsucht.« Es war der jugoslawische Lyriker Raiko Djuric, Präsident des Weltrates der Roma und Sinti, der auf Einladung des »Arbeitskreises Asyl in der Kirche« am Montag in der Marzahner Heilig- Kreuz-Gemeinde sich für Versöhnung einsetzte. Vor 49 Jahren, am 16. Dezember 1942, unterzeichnete Heinrich Himmler den sogenannten »Auschwitz-Erlaß«, der die Einweisung von »Zigeunern und Zigeunermischlingen« in das KZ-Auschwitz- Birkenau anordnete. »Bei der Wahl zwischen Vergangenheit und Zukunft müssen wir uns für die Zukunft entscheiden«, sagte Djuric.
Aber das ist schwer. Markus Rosenberg, Sohn eines in Marzahn gefangengehaltenenen und dann nach Auschwitz deportierten Sintis sprach von der Schuld, die nicht vergehen kann. Denn hier in Marzahn richteten die Nazis im Mai 1936 ein »zentrales Zigeunerlager« ein. Zwei Jahre später befahl Himmler die »Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse« zu lösen und ordnete 1942 ihre »Endlösung« an. Im März 1943 wurden etwa 1.200 Roma und Sinti aus Marzahn deportiert und vergast. Nur ein Findlingsstein auf dem Marzahner Friedhof — gestaltet erst nach der Wende — erinnert an ihr Schicksal. Aber die Diskriminierung der Roma und Sinti halte an, sagte Rosenberg. Die Bürgerrechte würden ihnen »verweigert«, und als ethnische Minderheit würden sie »systematisch kriminalisiert«.
Wie recht Rosenberg mit seinen bitteren Worten hatte, bewies einige Stunden später Kardinal Sterzinsky auf einer Weihnachtsfeier in der Evangelischen Kirchengemeinde Marzahn-Nord. Hier berichteten Romavertreter von den Grausamkeiten, die ihre Angehörigen in Jugoslawien während des Krieges zu erleiden haben. So seien am 30. November in der kroatischen Stadt Torjanci elf Roma vermutlich von Angehörigen der serbischen Anghörigen der Bundesarmee ermordet worden. Und trotz solcher Massaker verlängere der Senat die befristeten Duldungen für die Bedrohten nicht. Einige Roma-Flüchtlinge hätten inzwischen von den Berliner Behörden sogar die Aufforderung zur Ausreise bekommen, ergänzten Mitarbeiter von Flüchtlingsberatungsstellen. Kardinal Sterzinsky hörte diese Berichte jedoch nicht. Er kam kurz vor Ende des »gemütlichen Teils« der Weihnachtsfeier, um zu zeigen, daß ihm das Schicksal derjenigen, die in Deutschland Asyl und Hilfe suchen, »sehr am Herzen« läge. Aber was er dann sagte, war ein Schlag in das Gesicht der etwa einhundert anwesenden Roma. Er habe keine politische Macht, sagte er, setze sich aber für Härtefälle beim Innensenator ein. Aber »die Roma müssen lernen, Rücksicht zu nehmen.« Denn, und das sei auch die Einschätzung der Innenverwaltung, die Roma »sollten ihre Kinder in die Schule schicken, und ihre Jugendlichen sollten sich nicht herumtreiben«. Kein Wort fand der Kardinal zu den Grausamkeiten, kein Wort zu den Ausweisungsbescheiden, kein Satz zu der Hoffnung vieler Gläubiger, endlich eine Betreuung durch die katholische Kirche zu finden. Kardinal Sterzinsky war gekommen, um die Leviten zu lesen, einseitig, in Inhalt und Wortwahl alle Vorverurteilungen bestätigend. Seine zweiminütige Ansprache endete genauso unerhört, wie sie begann. Er wünsche jetzt »fröhliche Stunden«, denn das hier sei ja »kein Arbeitstreffen, sondern eine Feier«. Zeit, um seinen Nachredner, den sensiblen protestantischen Bischof Kruse zu hören, fand der Kardinal nicht. Er eilte von dannen und hinterließ aufgebrachte Gäste.
Auf dem Marzahner Friedhof konnte 1989 eine Mahntafel mit den Worten »vergebt den Sinti eure Schuld« nicht aufgestellt werden. Sie sei mißverständlich, hieß es damals. Sie ist nicht mißverständlich. Nicht nachdem Kardinal Sterzinsky die Diskriminierung der Roma und Sinti durch unsere Gesellschaft den Opfern selbst in die Schuhe geschoben hat. Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen