PRESS-SCHLAG
: Einer wie er

■ Der Schweizer Vorzeigekicker Heinz Hermann hat die Nationalstiefel nach dem 117. Gebrauch ausgezogen

Einem wie dem Kanzler Kohl käme solches nie in den Sinn. Der Oggersheimer hat zwar, um in der Sportsprache zu schwafeln, „alles erreicht“, doch aufhören will er dennoch nicht, seit ihm eingefallen ist, daß es noch Connie Adenauer Uraltrekord zu brechen gilt, der da auf vierzehn Jahre ununterbrochener Regentschaft steht. Einem wie dem Herzogenauracher Lothar Matthäus auch nicht. Der Capitano aller Deutschen hat bisher 92 Mal in Reih' und Sportglied die Haydnsche Hymne mitkrächzen dürfen, doch das reicht dem vorlauten Motorbootbesitzer längst nicht: Des Kaisers Rekord von 103 Bundesadlern muß fallen, erst dann hat die simple Seele möglicherweise ihre Ruh'.

Der Schweizer Vorzeigefußballer Heinz Hermann ist eben auch in dieser Hinsicht etwas anders als die anderen. Der 33jährige hat am 13. November im entscheidenden EM- Qualifikationsspiel gegen Rumänien in Bukarest zum 117. Mal das Nationaltrikot getragen. Doch weil das Spiel mit 0:1 verloren ging, und die Stielikicker folglich nicht wie heiß ersehnt, zur Endrunde nach Schweden zugelassen sind, hat Hermann nun seinen Rücktritt aus dem Nationalteam erklärt. Für einen wie ihn stellt sich die Versuchung nicht, um der eigenen Unsterblichkeit in einer Statistik willen weiterzuspielen. Dabei fehlte ihm nur noch ein starkes Jahr, um den englischen Weltrekordler Peter Shilton und dessen magische 125 caps zu überholen, zwei Einsätze sind es gar nur zu dessen Stellvertreter, dem nordirischen Dauergoalie Pat Jennings (119).

Alle anderen Größen des Gewerbes hat der standardsituationendümpeligerweise gern als „blonder Engel“ gescholtene Heinz längst überlaufen. Und wen haben wir da nicht alles: Björn Nordqvist, den Schweden (115), Dino Zoff, den italienischen Dino nazionale (112), Oleg Blochin, den ukrainischen Zehnsekundensprinter (109) und all die Moores (108) und Charltons (106), Latos (104) und Beckenbauers (103), Streichs (102) und Dörners (100).

Dennoch wird man selbst in der Schweiz zögern, seinen Fußballer des Jahres '84, '85, '86, '87 und '89 ungeniert mit jenen gleichzustellen, selbst wenn man dem Techniker gerne und bereitwillig attestiert, er sei ein einmaliges Bewegungstalent, das ähnlich wie Johan Cruyff nicht nur stets den Attacken der chancenlosen Verteidiger, sondern dadurch auch größeren Verletzungen zu entgehen wußte, womit auch die erstaunlichen 117 nationalen Einsätze erklärt sind. Erstaunlich, da für ein Ländli, das sich seit 1966 und mithin während Hermanns Regentschaft nie für ein finales und einsätzeintensives Turnier qualifizieren konnte.

Womit dem Aufbauer der Nation, wie ein Filmtitel den Filigrano ehrte, auch jegliche Möglichkeit genommen war, sich vor aller internationaler Augen unvergeßlich zu spielen. National hat der seit zwei Jahren für Servette Genf spielende Blondschopf das längst erledigt. Vier Meisterschaften mit den Grasshoppers Zürich und zwei mit Xamax Neuchatel pflastern seinen Erfolgsweg.

So nah dran am internationalen Erfolg wie in Bukarest war Heinz aber nie. Ein Tor und eine Winzigkeit fehlten am Ende, vielleicht aber auch nur, wie Schweizer Journalisten argwöhnten, ein Kapitän Hermann, der die Seinen energischer gelenkt und kompromißloser angeschnauzt hätte. Doch eben das hat der Mann nie gekonnt oder gewollt. Sein Status auf dem Spielfeld war zwar unumstritten und entsprang seiner Sonderklasse, doch ein geborener Leithammel auch außerhalb, wie Beckenbauer oder ein selbstgemachter wie Matthäus ist er nicht gewesen. Hermann hat die ungeschriebenen Regeln der Fußballergruppe und wie jene zu funktionieren hat, nie zu den seinen gemacht. Vielleicht ganz einfach nur, weil das zurückhaltende und äußerst pressescheue Allroundsporttalent es nicht konnte. Konfrontation hat er nämlich nie gesucht und stets vermieden, auch das Risiko, etwa als Bayern München ihn einst haben wollte, scheute er.

So galt Heinz Hermann, dessen Rücktritt der Züricher 'Sport‘ das „Ende einer Epoche“ nannte, eben immer nur als der beste Kicker eines Landes, dessen Fußball nicht oder kaum der Rede wert war. Erst mit dem Team, das Ulli Stielike in den letzten zwei Jahren formte, hat sich diese Einstellung Schweizer Ballkünsten gegenüber geändert. Mit dem Erfolg fanden auch junge Spieler wie Kubilay Türkyilmaz, und Stephane Chapuisat europaweite Beachtung und Popularität. Für Hermann aber kam die Entwicklung zu spät. Ihm bleibt die Wertschätzung seiner Landsleute, für die sein Name immer Synonym für „der Beste“ war. Den Rest kann einer wie er verschmerzen. Peter Unfried