piwik no script img

Geoutet: Berliner Aufsteiger und Absteiger 1992

■ Lenin schrumpft, aber Bubka springt/ Eine Million für Barenboim und mehr Diäten für Hanna-Renate Laurien/ Kreuzberger Bezirksfürsten dürfen hoffen/ Eberhard Diepgen muß die Testwahlen in den Bezirken fürchten/ Wer in diesem Jahr Karriere macht, und wen wir vergessen dürfen

Sechs Meter dreizehn. So hoch hängt die Latte für Sergej Bubka jetzt schon, und die Experten sind sich sicher, daß der Stabhochspringer auch in diesem Jahr kontinuierlich an Höhe gewinnen wird. Damit wird der ukrainische, aber beim OSC Berlin beheimatete Weltrekordler auf jeden Fall zu denjenigen Berlinern und Berlinerinnen gehören, die im Jahr 1992 weiter aufsteigen.

Ukrainisch hart sind auch die Granitblöcke, die in dreizehn übereinander geschichteten Lagen ehedem Wladimir Iljitsch Lenin neunzehn Meter hoch in den Friedrichshainer Himmel ragen ließen. Die neun Steinschichten, die dem inzwischen kopflosen Diktator noch geblieben sind, werden in den nächsten Monaten zwar verschwinden. Der »schwierigste Teil« der Abrißarbeiten jedoch steht nach den jüngsten Angaben der Senatsbauverwaltung erst noch bevor, weil nun »der Körper einschließlich bildlicher Darstellungen sorgfältig abzubauen« ist. Die Bilderstürmerei sorgt weiter dafür, daß Lenin in Berlin so im Gespräch ist wie wohl seit 1917 nicht mehr. Der Pressestelle der Senatsbauverwaltung bescherte der Denkmalsturz mit bis zu 84 Journalistenanfragen täglich den »Nachfragerekord des Jahres 1991«.

Eberhard Diepgen vermißt die Nähe

Weil Lenin diesen Rekord 1992 sicher nicht übertreffen wird, muß er zu den Absteigern des kommenden Jahres gezählt werden, ebenso wie sein ärgster Feind Eberhard Diepgen. »Es ist uns schwerer gefallen, uns näher zu kommen, als wir dachten«, bemerkte Diepgen in seiner Jahresbilanz und bezog das auf die schwere Beziehungskrise zwischen Westberlinern und Ostberlinern. Genausogut würde der Satz auf die vor fast einem Jahr gebildete Senatskoalition von CDU und SPD passen. Nachdem der Senat sich nur noch von einem Formelkompromiß zum nächsten Streit hangelt und die Fraktionschefs von CDU und SPD längst das Koalitionskrisenmanagement an sich gerissen haben, sind sich inzwischen auch wohlwollende Beobachter einig, daß der Mann mit dem Seitenscheitel seinen Zenit überschritten hat — wie es schon vor einigen Monaten Diepgens Parteifreund Jürgen Adler im taz-Interview bemerkt hatte.

Genosse Trend heißt Peter

Der erste ernsthafte Test steht der Stadtregierung am 28. Mai mit den Kommunalwahlen in den 23 Berliner Bezirken noch bevor. Umfragen prognostizieren Verluste für die CDU und Gewinne für die SPD. Genosse Trend könnte da auch dem Kreuzberger SPD-Spitzenkandidaten Peter Strieder zugute kommen. Ob er Aufsteiger sein wird, wird sich erweisen. Daß er es sein möchte, steht außer Zweifel. Selbst zum Jahreswechsel konnte es sich der umtriebige Sozi, im Hauptberuf Arbeitsrichter, nicht verkneifen, dem Senat und damit seinen eigenen Senatoren mit »vier politischen Wünschen« am Zeug zu flicken. Die Entscheidung für den Tiergarten-Tunnel blieb in Strieders Wunschzettel ebensowenig ungerügt, wie die ausstehende Haushaltskonsolidierung und ein »Industriestrukturkonzept«, das »endlich« vorgelegt werden müsse.

Hoffen auf die Känguruhs

Die Berliner Olympia-Bewerbung kommt auf dieser Liste nicht vor. Kein Wunder, wünschen sich doch mittlerweile einige in diesem Senat die Olympiade dorthin, wo der Pfeffer wächst — oder doch zumindest in das Land der Känguruhs. Würde sich das IOC im Jahr 1993 für das australische Sidney und gegen Berlin entscheiden, fiele manchen ein Stein vom Herzen, die fürchten, Berlin könnte sich übernehmen. Nur Axel Nawrocki, der neue Geschäftsführer der Olympia GmbH, hätte auf das falsche Pferd gesetzt. Jetzt schon hat sich der CDU-Parteimann und bisherige Treuhandmanager als Absteiger in spe qualifiziert. Nawrocki eilt zwar ein guter Ruf als effizienter Manager voraus. Doch an den Umständen, an denen schon sein allzu hemdsärmeliger Vorgänger Lutz Grüttke scheiterte, wird Nawrocki nichts ändern können. Mißliebige Sozialdemokraten in der Olympia GmbH lassen sich notfalls kaltstellen, nicht aber der ewig querschießende deutsche NOK-Chef Willi Daume, der in der nichtolympischen Disziplin »Runterputzen« auch mit seinen 78 Jahren noch medaillenverdächtig wäre.

Mut zur Selbstbedienung

Neben diesem großen, alten Dickkopf macht sich die 62jährige Abgeordnetenhauspräsidentin Hanna- Renate Laurien fast schon altersweise aus. Wie erhaben sie über den Zwistigkeiten kleiner Geister steht, zeigte sich dieser Tage, als Laurien unerschrocken eine mögliche Diätenerhöhung für die Berliner Parlamentarier ins Gespräch brachte. Wo sich trotz des alle normalsterblichen Berliner treffenden Sparzwangs ein 120 Millionen Mark teurer Parlamentsneubau im Preußischen Landtag durchfechten läßt, müßte doch noch mehr zu holen sein, mag sich die CDU-Politikerin gedacht haben. Früher einmal war Laurien bekannt dafür, daß sie selbst in der Politik einen Platz für moralische Maßstäbe sah. Heute hat sie erkannt, daß es auch im Rathaus stets nur um das eine zu gehen hat. Gebührt ihr nun das Aufsteiger-Prädikat für seltenen Bekennermut? Oder wollte sie sich einfach für die hocholympische Disziplin des »Abzockens« qualifizieren?

Um an Daniel Barenboim heranzukommen, müssen die Diäten freilich noch einige Male aufgestockt werden. Barenboim, künstlerischer Leiter der Staatsoper Unter den Linden, ist seit gestern Berlins bestverdienender Angestellter mit Jahreseinkünften, die sich auf eine Million Mark summieren. Der 49jährige Maestro, der am Silvesterabend seinen Einstand mit dem Silvesterball gab, nahm minutenlang stehende Ovationen entgegen. Barenboim war zuvor künstlerischer Leiter der Pariser Oper gewesen. Dort waren jedoch seine Tage gezählt, als Frankreichs Premierminister Mitterrand dem empfindlichen Künstler wegen Überbezahlung und zu elitärer Programme 1988 den Stuhl vor die Tür setzte, noch bevor Barenboim seine Lieblingsoper Don Giovanni inszenieren konnte. In Berlin gewann der redegewandte Barenboim die Herzen zumindest der Abgeordneten des Kulturausschusses für sich, als er darauf hinwies, daß er hier mehr Steuern zahle, als er als Leiter der Staatsoper koste — schließlich hat der Pianist und Dirigent auch Einnahmen von Schallplattenverkäufen in nicht unbeträchtlicher Höhe.

Gysi längst in den Miesen

Ruf und (Partei-)Geld verspielt hat der einstige Superstar und PDS-Dirigent Gregor Gysi. Der agile Rechtsanwalt, einst Hoffnung der gebeutelten SED-Nachfolgeorganisation, verliert an Einfluß — in der Partei und außerhalb. Nicht nur die 'BILD- Zeitung‘ zählt ihn zu den »Minus- Männern des Jahres«. Die Öffnung der PDS nach Westen ist ihm nicht gelungen, auch nicht, die ALt-Stalinisten zurückzudrängen. Gysis Partei zählt nunmehr nur noch knapp 180.000 Mitglieder. Ob dem Sohn des ehemaligen DDR-Kulturministers Klaus Gysi noch eine große politische Zukunft bevorsteht, darf man bezweifeln: Für den Absprung in die SPD ist es nun zu spät. Aber immerhin: Die Frauen fliegen noch auf den nur mäßig hochgewachsenen, aber beredten und charmanten Mittvierziger. Wenn das kein Trost ist.

Benno darf nicht mehr

Keine politische Zukunft hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Benno Hasse. Schon der Amtsantritt des Bezirksbürgermeisters von Berlin Mitte vor zwei Jahren war eine schwere Geburt: Da CDU und SPD sich weder mit dem Bündnis 90 noch untereinander einigen konnten, gelang es dem Bündnis völlig überraschend mit den Stimmen der PDS, fast alle Stadträte zu stellen. Damals mußten ganz rasch Kandidaten her, und das Bündnis 90 warb den gelernten Informatiker Hasse an, Mitglied in Demokratie Jetzt. Zuvor hatte er schon erfolglos in Köpenick kandidiert. Während der zwei Jahre seiner Amtszeit überwarf sich Hasse jedoch mit dem Bündnis, das sogar einen Abwahlantrag gegen den eigenen Bürgermeister stellte — der allerdings erfolglos blieb. Nun werden die Bewohner von Mitte ihren Hasse doch noch los. Vor einigen Wochen diente er sich noch der SPD als Bürgermeisterkandidat an. Die jedoch wollte den als chaotisch geltenden Bezirksamtschef auch nicht recyceln, so daß sich Hasse nach den Bezirkswahlen im Mai wohl aus der aktiven Politik verabschieden wird — wie übrigens wohl das ganze jetzige Bezirksamt Mitte. Ein Durchmarsch, wie zwei Jahre zuvor dürfte dem Bündnis nicht noch einmal gelingen.

Eine Enttäuschung für Freund und Feind ist auch der noch amtierende SFB-Intendant Günter von Lojewski. Der aus Bayern stammende CSU-Mann war schon der dritte Versuch der Berliner CDU, einen der ihren in der Masurenallee zu installieren, nach dem eher chaotischen Lothar Loewe und dem blassen Günter Hermann. Aber der Mann, den der Bayerische Rundfunk noch nicht einmal zum Abteilungsleiter machen wollte und über dessen letztes eigenes Werk ein Fernsehkritiker schmähte, es sei ein Segen, daß dieser Mann nun als Intendant keine Filme mehr machen könne, blieb beim »Rotfunk SFB« erfolglos. Mehr noch: Unter seiner Ägide sanken die Einschaltquoten der SFB-Radiowellen um bis zu 50 Prozent. Vollends scheiterte er mit seinen hochfliegenden Plänen, eine gemeinsame Landesrundfunkanstalt mit Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zu gründen. Statt dessen blieb der SFB nun alleine übrig und muß sogar noch Personal abspecken. Selbst die CDU-Vertreter im Rundfunkrat wollen nun den erfolglosen Süddeutschen loswerden.

Statt Rosa einfach Holger

Gänzlich unten durch nicht nur in Schwulenkreisen ist Rosa von Praunheim nach seinem Outing- Auftritt in der RTLplus-Sendung Der heiße Stuhl. Der Filmemacher, bei aufgeklärten Homos nur noch mit seinem Geburtsnamen Holger Mischwitzky benannt, machte sich Feinde, als er unter anderen TV- Witzbold Hape Kerkeling als schwul enttarnte. Damit habe Rosa, so der gleichgeschlechtliche Konsens, endgültig den Anspruch verspielt, die Schwulenbewegung zu vertreten. Holger wird es egal sein: Hauptsache, er steht in der Zeitung. Wir meinen: Mega-Out! Hans-Martin Tillack

Eva Schweitzer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen