: Dittmeyers Fernsehjahr
■ Ein persönlicher Jahresrückblick: Penibel abgerechnet, alphabetisch wegsortiert und fein säuberlich abgelegt
Ablösesummen — Sind nach den Bemühungen der Sat-Männer, in die Einschaltquoten-Oberliga vorzudringen, immens gestiegen. Manch eine Rekordsumme relativiert sich allerdings bei näherem Hinsehen: So bekommt Karl Dall zwar zehn Millionen Deutsche Mark, muß aber dafür eigenverantwortlich 52 Sendungen produzieren. Während alle die Fahnen wechseln, bleibt doch eine unverbrüchlich bei ihrem Sender: die treue Mutter Beimer.
Black, Roy — Starb Holm Dressler, dem Regie-Einsteiger bei „Der Stuß vom Wörthersee“, unter den Händen weg und hinterließ das berüchtigte „black hole“. Sein Herzenswunsch fand aber keine Erfüllung mehr: Zu gern wäre Roy einmal in der Lindenstraße aufgetreten.
Couchpotato — Als „Couchpotato“ bezeichnen Angelsachse und -sächsin einen Menschen, der unverhältnismäßig viel Zeit vor dem Fernseher verbringt. Weil das englisch sprechende Volk gern dem Prinzip der Ökonomie huldigt, fehlt im Singular das „s“ am Ende. Dreht sich das Gespräch um mehrere Chaiselongue-Kartoffeln, hängt man es samt einem „e“ dann aber doch hintendran: „Couchpotatoes“. Verwirrend, daß die besitzanzeigende Form ohne jenes „e“ auskommt, siehe „Couchpotato's Chips & Tips“.
Dallas — J.R.s letzer Abgang war ein starker. Dennoch bittet Dittmeyer, von Wiederbelebungsmaßnahmen abzusehen. Gastauftritte in „Der Stuß am Wörthersee“ oder der Peter-Alexander-Show müssen nicht sein.
Emmerlich, Gunther — Die große Samstagabendshow ist für ihn gestorben. Apropos — die Pompösrocker Queen hätten noch einen Job als Leadsänger zu vergeben. Wäre das nichts für Sie, Kammersänger Emmerlich?
Filmmagazine — In den Printmedien darf ja jeder Aushilfspförtner, der mal ein Kinofoyer von innen gesehen hat, Filmkritiken schreiben. Die Kinoredaktionen der Fernsehsender verlangen offenbar nicht einmal diese Qualifikation. In der Drei- Sender-Produktion Film-Palast wurde John Candy hartnäckig als John Goodman vorgestellt und Meg Ryans Filmographie völlig durcheinandergebracht; in der Cinemathek auf tele 5 machte man Alan Parkers Filme sämtlich um zehn Jahre jünger. Dittmeyer empfiehlt Apropos Film im ZDF. Dort kennt man sich aus.
Genauigkeit — Die läßt sehr zu wünschen übrig, wenn Interviews mit ausländischen Gästen simultan übersetzt werden, ein im vergangenen Jahr immer häufiger angewandtes Verfahren. Einige Moderatoren erschweren den Dolmetschern durch schnelles Sprechen und sprunghaften Themenwechsel noch zusätzlich die ohnehin nicht leichte Aufgabe. In dieser Sache gehen Abmahnungen an Thomas Gottschalk und die Herren von der NDR Talkshow.
Honeymoon — Seit ihrer Heirat muß Irmgard Adam-Schwaetzer immer sehr früh aufstehen, denn ihr Gespons Udo Philipp ist Moderator beim Sat.1-Frühstücksfernsehen. Da hätte sie auch gleich einen Bäcker nehmen können...
Infam... — ...ist ein noch schmeichelhafter Ausdruck für den demagogischen Journalismus des Heinz Klaus Mertes, seines Zeichens Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk. Selbst dieser Arbeitgeber aber versetzte dem Stachelkopf eins hinter die abstehenden Ohren, als der gegen eine Gebühr von 750 DM pro TeilnehmerIn ein „TV-Training für Unternehmer und Führungskräfte“ abhalten und den Managern Tips für den Umgang mit unbotmäßigen Fernsehreportern geben wollte. Nach Fernsehdirektor Fellers dezentem Eingreifen bekam dasselbe Seminar den unverfänglichen Titel „Das Verhältnis von Wirtschaft und Medien“. Letztere aber mußten leider draußen bleiben.
Jean d'Ex — Mit diesem fürwahr köstlichen Pseudonym zeichnet der Regisseur der Serie gewordenen Unsäglichlichkeit, Pompon Rouge. D'Ex und hopp, meint Dittmeyer. Da lobt sich unsereins die Lindenstraße.
Koordination — Bei RTL hapert's manchmal damit. So zeigten die Kölner am 10.November eine Episode der Serie Dr. Westphall, die chronologisch erst in einigen Monaten fällig wäre. Im Wiederholungsfall kommt Dittmeyers Army mit dem Großkaliberentsafter und sorgt mal für Ordnung an der Aachener Straße. Bei der Lindenstraße gab es diesbezüglich keine Beanstandungen.
Lamento — das hub an wie lange nicht, nachdem im Tatort die Bewohner eines fiktiven pfälzischen Dorfes als konspirierende Mordbuben und -maiden hingestellt wurden. Eine „Diffamierung der Pfalz“ witterten in seltener Eintracht schlaflose Populisten aus den CDU-, SPD- und FDP-Landtagsfraktionen und forderten eine saubere Heimat(t)scheibe. Dumm wie Brot, schrieb FDP- Mann Brüderle gar einen Protestbrief an die Hauptdarstellerin Ulrike Folkerts, die ja nun mit dem nebenbei recht gelungenen Drehbuch überhaupt nichts zu tun hatte. Da dreht sich einem doch der Saumagen um.
Mörderische Entscheidung — Fernsehexperiment (ein in den Siebzigern übrigens häufiger angewandter Begriff), bei dem die Handlung aus männlicher und weiblicher Perspektive geschildert und auf zwei Kanäle aufgeteilt wurde. Regisseur Hirschbügel empfahl sich damit endgültig für größere Aufgaben.
Nachrichten — Friedrichs trat ab, Köpcke entschlief, Wickert kam. Wie heißen eigentlich die Ausrufer beim ZDF?
Ohnegleichen — In einem Presseinfo nannte das ZDF „unseren Lautesten“ (Henscheid) ausgerechnet einen „Primus inter pares“. Nein, damit wird man weder dem zügellosen Marcel Reich-Ranicki noch seinen drei Kombattanten auch nur annähernd gerecht.
Preisträger des Jahres — Der preiswerteste unter den Fernsehleuten war zweifelsohne Hape Kerkeling. Adolf-Grimme-Preis, Goldene Kamera, Goldene Europa, Bambi, ein Porträt in der taz, zuletzt Outing-Star der Woche — wie will der Mann das jemals übertreffen?
Querulant — Da doch Sat.1 nun unbesehen alles kauft, was jemals vor deutschen TV-Kameras herumwedeln durfte — warum geben die Mainzer nicht auch Horst Brack (Zitat: „Mir bedeutet das Wort Pietät noch einiges“) eine Chance? Die Fans destruktiver Close-Line-Moderationen bitten darum. Der neuerdings multikulturell orientierten, anonsten notorisch betroffenen Weinerlichkeitsfraktion bleibt ja noch die Lindenstraße.
Reuelos... — ... trat Hanns- Joachim Friedrichs in den Ruhestand, um sich künftig ungestört seiner Arbeit widmen zu können. Unter anderem wird der Silberfuchs bei RTL den Nachwuchs schulen.
Schiffer, Claudia — Erhält 1992 absolutes Bildschirm- und Titelseitenverbot. Es langt jetzt.
Tarrach, Isolde — Außer Spesen nichts gewesen. Der Witz ist zwar platt, aber Tarrachs Moderationen waren es schließlich auch.
Uriges Liedgut — verbreitet sich schneller als die Cholera. Die Kastelruther Dreckspatzen, das Original Napalm-Duo, die beiden Hellwig-Ghule, die Wildecker Schmerzbuben und natürlich Heino, Heino, Heino — im neuen Jahr gar mit eigener Sendung auf Sat.1. Viele Zeit also, mal wieder ein gutes Buch zu lesen. Die Litera-taz wird wohl nicht im Altpapier gelandet sein?!
Vermißt.... — ...wird, kaum daß er sein letztes Abenteuer bestanden hat, der Lümmel vom öffentlichen Dienst, Horst Schimanski. Jahrelang angefeindet von gelangweilten LeserbriefschreiberInnen, Duisburger LokalpatriotInnen und skrupulösen SchlagzeilengeierInnen, können diese inzwischen gar nicht mehr ohne den schnaufenden Ruhrpottwal, den schmuddeligen Götzbrocken, der doch der Parka-Industrie weiland völlig unverhoffte Konjunktur bescherte. Zu spät, Herrschaften.
Werbeagenturen — RTLplus beschäftigte eigens eine Werbeagentur, um der betreffenden Zielgruppe die — unbestrittenen — Qualitäten der Serie Twin Peaks nahezubringen. Die zuständigen PR-Damen übten zwar fleißig den Kirschstengeltrick, waren aber nicht in der Lage, die RegisseurInnen der einzelnen Folgen zu benennen. Einladungen zu den rituellen „Twin Peaks Parties“ erreichten ihre Empfänger erst, als die Veranstaltungen bereits im Sumpf der Vergangenheit vermodert waren. Das Agenturhonorar wäre auf dem Sonderkonto zugunsten notleidender Saftproduzenten besser aufgehoben gewesen.
Xtended Commercials — Wenn die Privaten so weitermachen, kann man demnächst die Werbepause nutzen, um zwischenzeitlich ins Kino zu gehen.
Yuppies — Die bekamen mit Die besten Jahre eine eigens auf ihre Erlebniswelt zugeschnittene TV-Serie vorgesetzt. Selbige war genauso fade wie ihre Zielgruppe. Dagegen ist die Lindenstraße ein Schocker.
Zeitschriftenboom — Durch drastische Senkung des Niveaus treiben die Herausgeber der Zeitschrift 'TV Spielfilm‘ die Verkaufszahlen in die Höhe. Das ließ den Mitbewerbern keine Ruhe, und so brachte Bauer, wie originell, die optisch beinahe identische, inhaltlich noch flachere 'TV Movie‘ auf den Markt. Andere Verlage wollen, so hört man gerüchteweise, ebenfalls in dieses Marktsegment. Da wird's dann wohl eng werden.
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