INTERVIEW: »Bei den Ostfrauen gibt es diese starren Gruppennormen nicht«
■ In der Frauenpolitik ist derzeit wenig los/ Sibyll Klotz (Unabhängiger Frauenverband/Bündnis 90) schlägt sich alleine mit der Frauenfrage im Abgeordnetenhaus herum
taz: Die Frauenpolitik in dieser Stadt ist derzeit fast unsichtbar. Senatorin Christine Bergmann meldet sich hin und wieder zu ABM zu Wort, zum 218 und den Kitas. Warum passiert sonst nichts?
Sibyll Klotz: Ich fand am Anfang ziemlich gut, daß die Ressorts Arbeit und Frauen zusammengelegt wurden. Aber inzwischen wird in diesem Senat nur noch Arbeit gemacht. Und neulich hat Christine Bergmann ja auch gesagt, daß für sie Frauenpolitik in der heutigen Zeit vor allem Arbeitsmarktpolitik heißt. Sie ist eben in dieser Hinsicht eine typische DDR-Frau. Es gab nach dem Ende der DDR und speziell mit der jetzt steigenden Erwerbslosigkeit von Frauen in den neuen Ländern eine heftige Diskussion darüber, welche Rolle die Erwerbstätigkeit im Emanzipationsprozeß spielt. Denn einige Frauen messen sehr unreflektiert ausschließlich der Erwerbstätigkeit eine emanzipatorische Bedeutung bei und hinterfragen nicht, was in dieser Erwerbstätigkeit passiert, daß eine Zunahme von Freiheit, von Freiräumen nicht unbedingt am Fließband stattfindet. Es gibt dazu Gegenpositionen. Ich erinnere mich an einen Artikel von Irene Dölling [Professorin für Kulturwissenschaften an der HUB — Anm.d.R.], in dem sie grundsätzlich den emanzipatorischen Charakter von Erwerbsarbeit anzweifelt. Das ist das andere Extrem. Zu behaupten, Erwerbsarbeit an sich, das ist es, halte ich für falsch. Genauso falsch aber ist, zu sagen, Erwerbsarbeit sei unwichtig für den Emanzipationsprozeß in einer Gesellschaft, wo sich tatsächlich der Wert und die Identität eines Menschen darüber herstellt, was er tut, und was er dafür bekommt. Aus der relativen ökonomischen Unabhängigkeit der Ex-DDR-Frauen resultiert auch das Verständnis: Wir waren ja eigentlich gleichberechtigt — zumal sie 40 Prozent zum Familieneinkommen beigetragen haben.
Das andere Extrem nehmen allerdings einige West- Feministinnen ein. Letzte Woche ist mir aufgefallen, als bei den Veranstaltungshinweisen in 'Blattgold' [Berliner Veranstaltungskalender für Frauen - Anm. d.R.] das Thema 'Arbeit' überhaupt nicht vorkommt. Da gucken Frauen nur, was sie mit ihrer Rhetorik, ihrer Selbstfindung, ihrer Identität machen können, dann sind sie auf dem Weg zum eigenen Ich oder mit anderen in einem Selbstverteidigungskurs. Damit kann ich genauso wenig umgehen. Leider findet diese Trennung bei uns auch schon statt. Wir reden mittlerweile auch schon von 'Politikfrauen' und 'Psychofrauen'.
Zu den Politikfrauen: Außer Christine Bergmann gibt es ja noch andere im Abgeordnetenhaus, die sich für Frauenpolitik zuständig fühlen.
Auf parlamentarischer Ebene würde ich mehr von den SPD- Frauen erwarten. Aber die sind in die Große Koalition eingebunden, haben sozusagen Redeverbot von ihren Parteimännern auferlegt bekommen. Deswegen kommt von denen auch nicht sehr viel.
Auch die Fraktion B 90/Grüne/AL glänzt nicht gerade mit einer öffentlichkeitswirksamen Frauenpolitik.
Das stimmt, und das macht mich auch sehr unzufrieden. Denn was in dieser Fraktion frauenpolitikmäßig passiert oder nicht, hängt im Moment fast einzig von meiner Person ab. Dazu kommt, daß der AL-Frauenbereich kaum mehr funktioniert, und was von Seiten des UFV hier in Berlin passiert, ist auch ausgesprochen unbefriedigend. Im Frauenausschuß sitze ich alleine, seitdem Halina Bendkowski weg ist. Ihr Weggang hat mich fürchterlich getroffen. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Wir waren in dieser Fraktion das Paradebeispiel dafür, wie man ost-west-mäßig unheimlich gut miteinander klarkommen kann.
Durch Ihr Engagement kam zumindest die Sache mit den Berufungslisten an der Humboldt-Universität ins Rollen. Wissenschaftssenator Erhardt hat kürzlich brav versprochen, daß man sich zukünftig strikt ans Landesantidiskriminierungsgesetz halten will.
Das ist das einzige Thema, das ich erfolgreich auf die Reihe bekommen habe. Ich habe schon im Sommer, als die ersten Zeitungsberichte darüber erschienen, daß für die neu ausgeschriebenen C4-Professuren an der HUB so gut wie keine Frau auf den Berufungslisten stand, vier Anträge gemacht. Ich habe verlangt, daß die Struktur- und Berufungskommissionen gemäß LADG paritätisch besetzt werden. Und als zweites habe ich gefordert, daß die bereits aufgestellten, in meinen Augen aber ungesetzlichen Berufungslisten an die HUB zurückgegeben und Neuausschreibungen gemacht werden müßten. Aber erst vor vier Wochen waren die Anträge durch beide Ausschüsse durch. Dieser lange parlamentarische Weg macht mich manchmal fertig. Die schöne Geschichte dabei ist, daß die beiden Anträge zur HUB im Wissenschaftsausschuß einstimmig angenommen wurden. Da haben sich die Frauen stark gemacht, besonders die von der SPD. Im Frauenausschuß war das genauso. Doch da tanzte Herr Erhardt an, und machte speziell mir den Vorwurf, daß ich zu lange mit diesen Anträgen gewartet hätte. Da wurde ich so wütend, weil ich meinen Job nicht darin sehe, die Senatsverwaltung dazu zu zwingen, die Gesetze einzuhalten. Jetzt werden die schon ausgesprochenen Berufungen zwar nicht zurückgenommen, aber die noch zu vergebenden Professuren, diese Parallel- C4-Professuren nur oder zu großen Teilen mit Frauen besetzt. Es macht Mut, wenn Frauen aus verschiedenen Strukturen und Institutionen gemeinsam eine Sache durchziehen, die in diesen finsteren schwarzen Zeiten in Berlin dennoch eine Chance hat. Und es ist auch ein positives Beispiel für die Ost-West-Zusammenarbeit von Frauen .
Diese Zusammenarbeit klappt immer noch viel zu selten. Es gibt deutliche Kommunikationsprobleme. Welche Konflikte erleben Sie zwischen den Frauen aus Ost und West in der Frauenbewegung?
Ich will das mal an einem alltäglichen Beispiel verdeutlichen: Wenn Frauen im Osten ein Frauenprojekt anschieben, dann tun die das nicht mit einem per se reinen feministischen Bewußtsein, wie das Frauen in West-Berlin vielleicht machen, die seit 20 Jahren in der Frauenbewegung stecken. Sie tun das aus einem anderen Selbstverständnis heraus, und das muß man erst mal akzeptieren — bei allen Schwierigkeiten, die ich auch zum Teil habe, wenn Projekte ausschließlich Kinderbetreuung oder ähnliches machen. In der Diskussion heißt es dann: Die Projekte sind nicht feministisch genug. Ja woher sollen die Frauen in der ehemaligen DDR Feministinnen sein? Es gab vielleicht 100 Frauen in der ganzen DDR, die sich als Feministinnen bezeichneten und wußten, was damit gemeint ist. Deswegen muß man auch den Ansatz tolerieren, nach dem Frauen aus einem sozialen Unrechtsbewußtsein heraus sagen: Ich will in diesem Projekt etwas für andere Frauen tun, weil es eine Schweinerei ist, wie Frauen bei diesem Vereinigungsprozeß hinten runter fallen.
Sie haben neulich auf einer Veranstaltung gesagt, daß Sie heute deutlicher als vor zwei Jahren die Unterschiede zwischen Frauen im Osten und im Westen sehen. Wo liegen sie?
Die Frauen in der westlichen Bewegung, die Lesben zum Beispiel, haben ein sehr viel stärker ausgeprägtes Werte- und Normensystem auf ihre jeweilige Gruppe bezogen. Das macht sich schon am Äußeren fest, aber auch an bestimmten Verhaltensweisen. Und wenn du zu dieser Gruppe dazugehören willst, wird von dir verlangt — das klingt sehr pauschal, stellt sich für mich aber so dar — daß du diesen Gruppennormen auch genügen mußt. Diese Intoleranz habe ich bei vielen Westfeministinnen bemerkt. Ich habe Diskussionen erlebt, bei denen Lesben sagten: Die Lesben sind die besten Feministinnen, weil sie in ihrem Privatleben konsequent zu Ende führen, was sie an Gesellschaftsanalyse haben. Das kann ich so nicht unterschreiben.
Im Osten gibt es diese starren Gruppennormen und -verhaltensweisen nicht. Die Übergänge sind fließender, die Kommunikation untereinander ist noch sehr viel offener. Im UFV trifft eine sehr unterschiedliche Klientel zusammen. Wenn ich zum Beispiel mit den Landfrauen rede, die in einem ganz anderen Alter sind und ein ganz anderes Leben führen, und die Gesellschaft ein Stück anders bewerten als ich, sagen sie erstens nicht: »Ich bin Feministin«, und zweitens werden sie nicht sagen: »Diese Gesellschaft ist patriarchal strukturiert«. Aber sie haben sehr wohl ein Unrechtsbewußtsein dafür, was mit Frauen derzeit in diesem neu geeinten Deutschland passiert. Dann werfe ihnen nicht gleich ein Feminismusdefizit vor, sondern höre ihnen erst einmal zu und denke, ich kann dabei auch was lernen und habe trotzdem mit ihnen eine Menge gemeinsam. Das Gespräch führte Ulrike Helwerth
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