■ ARTUR, BERLINOID
: Beim Barte des Propheten, I

Es sind gute Menschen, die Leute auf diesem Fest hier, ich kenne sie schon lange, warum nur müssen sich mich dauernd belehren?« nörgelte Artur innerlich vor sich hin. Er war hinaus auf den Balkon getreten und hatte sich eine dieser schwarzen filterlosen französischen Zigaretten angezündet, lehnte sich leicht über die Begrenzung aus tönernen Blumenkästen, aus denen Geranien wucherten, und wunderte sich über die quirligen Fußgänger, Autos, Radfahrer, Busse und röhrenden Motorräder und den Lärm in dieser Stadt.

Geistesabwesend zwirbelte er seinen Schnauzbart, den er sich damals während der Zeit unten am Bodensee hatte wachsen lassen.

»Schön ist es ja doch, sie nach all den Jahren wiederzusehen, zu hören, was sie so machen mit ihrem Leben. Aber du Artur«, sinnierte er, »du hast dich überhaupt nicht verändert.« Warum sonst hätte Gerda ihn mit ihrem natürlichen Charme warm und weich an die Brust drücken und zur Begrüßung »Na, mein atypischer Artur, erzählst du mir nachher noch was?« leicht lispelnd wie immer ins Ohr flüstern sollen? Kein Grund zum Erbleichen, im Gegenteil, es ist doch was Schönes, wenn man sich selbst treu geblieben ist, grinste Artur für sich, es hat doch was, wenn man sich auf was verlassen kann.

Na ja, Artur hatte halt immer als der etwas Ausgeflippte, der Typ ohne Interesse an Bausparverträgen und Bundesschatzbriefen gegolten, als »unser aller Artur« eben. In Abhängigkeiten hatte er sich tunlichst nie begeben und auch keinen Wert auf zeitgeistige Accessoires gelegt, was ihn trotz aller ihm entgegengebrachter Sympathie irgendwie verdächtig erscheinen und die anderen immer ein klein wenig lauern ließ, in einer Mischung aus uneingestandener Beneidung und leichter Tücke. Warum sonst hatten alle hölzern und schief lächelnd geschwiegen, als Artur arglos Hermanns neue Nobelkarosse und ihre durchgestylte Wohnung, Charlottenburg, Altbau, bewundert und Hermann, rotfleckig am Hals, ihn scharf unterbrochen und schmallippig und gestelzt gezischt hatte: »Was willst du eigentlich, Artur? Du hast dir doch immer genommen, was du wolltest?«

Artur hatte kurz die Schultern hochgezogen und mit abgewinkelten Armen beide Handflächen nach außen gedreht, hilflos in der Situation und ohne Verständnis für diese Attacke.

Unauffällig hatten die Gäste einstweilig begonnen, sich angelegentlich anderen Verrichtungen zuzuwenden, auch wurde eine Grappaprobe angekündigt und Artur war wieder auf den Balkon getreten. Auch die Musik war volltönender geworden, Klassik, ein Flötenkonzert, aber überwabert vom Stimmgewirr der inzwischen fröhlich Zechenden. Es sollte eine lange Nacht werden. Clemens Walter