■ Kein Gerücht!
: Der ganze Senat tanzt

Sie hätten mühelos eine spontane Senatssitzung abhalten können, so vollzählig waren die Mitglieder der Stadtregierung beim Silvesterball in der Deutschen Staatsoper versammelt. Neben Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, der schon qua Amt den ersten Berliner Opernball besuchen mußte, fanden sich auch die stellvertretende Bürgermeisterin Christine Bergmann sowie Ingrid Stahmer, Jutta Limbach und Norbert Meisner von der SPD ein, dazu die CDU-Senatoren Peter Radunski, Jürgen Klemann und Dieter Heckelmann. Gesundheitssenator Peter Luther kam etwas zu spät und ging am bereits weitgehend geplünderten Buffet beinahe leer aus. Zweimal kreiste er auf der Suche nach Eßbarem mit blankem Teller um den Tisch. Besser vorbereitet hatte sich SFB-Intendant Günther von Lojewski. Kaum hatte der aus Bayern stammende CSU-Mann den Saal betreten, steuerte er auf einen freien Tisch zu, zog ein »Reserviert«-Kärtchen aus der Tasche und sicherte auf diese Weise seine Plätze vor Begehrlichkeiten. Unnötig zu erwähnen, daß dies der einzige reservierte Tisch war, der beim Opernball zu sehen war. Der Chef des krisengeschüttelten Senders, so ließ sich folgern, hat das praktische Kärtchen offensichtlich immer dabei. Merke: Wer alle Probleme erfolgreich aussitzen will, muß stets darauf achten, daß keiner den eigenen Stuhl in Beschlag nimmt.

In einen Smoking gezwängt hatte sich auch der SPD-Landesvorsitzende Walter Momper. Das große Regierungsaufgebot beeindruckte den Nicht-Senator allerdings wenig. »Hier ist ja nur die zweite Garnitur«, nörgelte Momper, nachdem er vergebens nach seinem Amtsnachfolger Eberhard Diepgen gespäht hatte. Der fehlte zu Mompers Ärger ebenso wie CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky. Der Obersozi wußte sich schließlich doch noch zu trösten. Da Diepgen nun mal nicht zur Verfügung stand, wagte Momper einen Tanz mit seiner in weißen Tüll gehüllten Leibwächterin. Die dunkelhaarige Dame wurde trotzdem nicht schwach, gab ihr Handtäschen mit Pistole nicht aus der Hand. Ihre zwei männlichen Kollegen durften unterdessen zugucken.

Die Gorillas begleiten den SPD- Chef seit einem Überfall, dem Momper im September am Kottbusser Tor zum Opfer fiel und der ihm eine Kopfverletzung eintrug. Ist Momper— wie damals — mit Ehefrau Anne unterwegs, gehört zu der Sicherheitstruppe auch eine weibliche Leibwächterin. Auf dem Opernball blieb der Sozi jedoch von Bösewichtern verschont — ein deutliches Zeichen dafür, daß der Berliner Opernball sich noch nicht im selben Maß als gesellschaftliches Ereignis etabliert hat wie sein traditionsreiches Pendant in Wien. Dort wird der alljährliche Opernball zum Jahresbeginn bekanntlich als »Höhepunkt im gesellschaftlichen Leben« der Alpenrepublik begangen und deshalb auch regelmäßig von brachialen Protesten der autonomen Szene umrahmt. Die ahnungslosen Berliner Randalinskis hingegen blieben an Silvester ihren eigenen Traditionen treu — und zündeten ihr Feuerwerk im heimischen Abenteuerspielplatz in Kreuzberg.Hans-Martin Tillack