piwik no script img

Handelsreisender Bush stempelt Japan zum Sündenbock für die US-Rezession

Der Präsident verlangt Zugeständnisse im Autohandel — doch die japanische Höflichkeit hat Grenzen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Fast beiläufig kürte George Bush Japan zum Sündenbock. „Unsere Handelsunausgeglichenheit mit Japan ist riesig“, dozierte der US-Präsident zum Ende seines Australienbesuchs: „Immer wenn es auf einer Seite ein außergewöhnlich großes Handelsdefizit gibt, läßt sich sagen, das trägt dort zu einem Mangel an Wirtschaftswachstum bei.“ Kaum mehr verdeckt schob George Bush damit Nippons Wirtschaftsmacht den Schwarzen Peter für die andauernde Rezession in den Vereinigten Staaten zu. Sein Handelsminister Robert Mosbacher hatte bereits letzten Sonntag die Segel für die neue US- Mission nach Asien gesetzt: „Japan trägt einen Teil der Verantwortung für die Rezession in den USA.“

Wohl selten zuvor hat die führende Wirtschaftsnation der Welt andere für ihr wirtschaftliches Desaster verantwortlich gemacht. Genau das aber scheint sich als Sinn und Zweck der momentanen Asientour des US- Präsidenten zu entpuppen. Das angeblich unfaire Betragen der japanischen Wirtschaftsmacht, nicht nur gegenüber den US-Amerikanern, ist zum zentralen Thema der Rundfahrt geworden, die George Bush von Australien über Singapur und Südkorea nach Tokio führt. Statt als Verkünder einer neuen Weltordnung zur Fahrt über den Pazifischen Ozean anzutreten und Harmoniebekundungen auszutauschen, hat sich Bush über Silvester in das Gewand eines Handelsreisenden gehüllt. „Ich erwarte“, verkündete ein prophetischer Präsident zum Jahreswechsel, „daß durch Kompromisse mit Japan Arbeitsplätze in den USA geschaffen werden.“

Auch dieses Versprechen beinhaltete für Washington ein diplomatisches Novum: Um die Arbeitsplätze in der US-Automobilindustrie zu retten, reist der US-Präsident nicht mehr nach Detroit, wo General Motors (GM) zum Jahresende 74.000 Entlassungen angekündigt hatte, sondern nach Tokio. Statt mit GM-Chef Robert Stempel über Maßnahmen gegen den Arbeiternotstand in Detroit zu beraten, nimmt George Bush Stempel lieber gleich nach Japan mit. Dort wollen dann beide gemeinsam nach „neuen Möglichkeiten für amerikanische Arbeiter“ suchen, wie Bush den Zweck seiner Japanreise umschrieb.

Doch sollten sich die Herren aus Washington nicht wundern, wenn es ihren japanischen Verhandlungspartnern noch um anderes als „mehr Jobs für Amerika“ geht. Schon vor ihrer Ankunft in Tokio am kommenden Dienstag hat die US-amerikanische Handelsmission bei den verantwortlichen Japanern Angst und Entsetzen ausgelöst. „General Motors“, warnte Premierminister Kiichi Miyazawa in seiner Neujahrsansprache, „das bedeutet für Amerika genausoviel wie das Sternenbanner.“ Indem er an das Schicksal von General Motors erinnerte, versuchte Miyazawa das Land auf Konzessionen einzustellen. Geradezu flehentlich wandte sich der Regierungschef an seine Landsleute, daß diese „ernsthaft und mit Sympathie“ an den schlechten Zustand der US-Wirtschaft denken mögen.

Doch so viel Sympathie will da für den Handelsreisenden Bush nicht aufkommen. Japan habe es mit der „deutlichsten Vorführung amerikanischer Anmaßung seit unsere Nation vor vier Jahrzehnten ihre Unabhängigkeit erhielt“ zu tun, entsetzte sich sogar die sonst durchweg US- freundliche, englischsprachige 'Japan Times‘. Der Washingtoner Vorwurf, Nippon sei für die US-Rezession mitveranwortlich, verwirrt sogar die größten US-Liebhaber in Japan. Der schlimmste mögliche Ausgang der Bush-Visite, sorgte sich ein Beamter des Außenministerium, sei „eine Verschlechterung des amerikanisch-japanischen Verhältnisses“. Um das zu vermeiden, plant die Regierung in Tokio eilige Zugeständnisse.

Annährend drei Viertel des US- amerikanischen Handelsdefizit mit Japan — 1990 waren es 41 Milliarden US-Dollar — entstehen im Automobilbereich. Folgerichtig konzentriert sich der Handelsstreit zwischen Washington und Tokio auf diese Branche. Weshalb sich die japanische Regierung vornahm, „soviel zu tun, wie wir können“ (Premier Miyazawa), um das Autoproblem zu lösen. Demnach sollen japanische Automobilhersteller in Zukunft mehr Aufträge an ausländische Zulieferfirmen erteilen. Ausdrücklich hat das einflußreiche Industrie- und Außenhandelsministrium (MITI) die großen Autofirmen dazu aufgefordert, und postwendend kündigte Toyota an, seine Auslandseinkäufe bis 1994 auf 4,4 Milliarden D-Mark zu verdoppeln. Solche Maßnahmen zielen vor allem auf die Entkräftung des US-amerikanischen Vorwurfs, nachdem sich alle japanischen Großunternehmen in einem exklusiven Zulieferer- und Händlersystem bewegen, das ausländische Konkurrenten prinzipiell ausschließt.

So klar aber die Gegensätze in den unterschiedlichen Formen der Unternehmensorganisation in Japan und den USA erscheinen, so unnütz erscheinen auch die Gegenmaßnahmen. Niemand glaubt ernsthaft daran, daß die Gesten des guten Willens von Toyota und einigen anderen ausreichen, um den Trend der Handelsbilanz umzukehren. Ganz im Gegenteil sehen die namhaften Tokioter Forschungsinstitute für 1992 einen Rekordüberschuß in der japanischen Handelsbilanz von umgerechnet über 150 Milliarden D-Mark voraus. Unter diesen Bedingungen läßt sich das japanische Plus gegenüber den USA kaum reduzieren.

Nicht weniger aussichtsreich streiten sich Washington und Tokio um das japanische Reisimportverbot und den Abschluß der GATT-Runde. Vor seiner Abreise hatte George Bush noch gezürnt, er werde „die Unnachgiebigkeit zerbrechen, wo sie uns und einem freieren und faireren Handel entgegensteht“ und damit wiederum Japan gedroht. Doch in seiner Neujahrsansprache schloß Regierungschef Miyazawa eine Öffnung des japanischen Reismarktes erneut aus. Da zeigt sich denn das Ende japanischer Artigkeit gegenüber dem großen Bruder: Wie hoch die Forderungen aus Washington auch immer sein mögen — das Spiel um mehr Arbeitsplätze in den USA macht Tokio nicht mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen