: Osteuropa zapft die letzten Reserven bei Westbanken an — aus Not
■ Polen hebt ein Viertel seines Guthabens ab/ Entwicklungsländer gelten als nicht kreditwürdig
Basel/Berlin (ap/dpa/taz) — Die ehemaligen Ostblockstaaten haben im vergangen Jahr ihre letzten Finanzreserven anzapfen müssen. Ihre Guthaben bei Banken in westlichen Industrieländern schrumpften im ersten Halbjahr 1991 um 2,7 Milliarden Dollar (4,1 Mrd. DM) oder 14 Prozent auf 16,4 Mrd. Dollar. Das teilte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Bank der Notenbanken, gestern in Basel mit.
Das Geld brauchten die osteuropäischen Reformstaaten, um akute Liqiditätsengpässe zu vermeiden, weil sie keine neuen Kredite von privaten Geldgebern mehr bekommen haben, so die BIZ in ihrem Bericht. Noch im 2. Halbjahr 1990 hatten die osteuropäischen Länder ihre Einlagen bei den der BIZ berichtenden Banken um 65 Milliarden Dollar (rund 100 Mrd. DM) aufgestockt.
Die BIZ nennt als zweite Ursache für die „größte jemals verzeichnete Einlagen-Rückführung“ außerdem den Geldbedarf der Opec-Länder im Nahen Osten für den Golfkrieg und den anschließenden Wiederaufbau an.
Allein Polen hob 1,9 Milliarden Dollar ab und verringerte so sein Guthaben um ein Viertel. Die Sowjetunion holte 1,4 Milliarden Dollar von ihren Westkonten. Und Jugoslawien baute seine Bankeinlagen in den ersten sechs Monaten 1991 um mehr als ein Viertel ab.
Ausdrücklich betont die BIZ, daß Ungarn und die CSFR ihre Auslandsschulden „in vollem Umfang“ bedienten. Polen dagegen war das einzige Land in Osteuropa, das seine Verbindlichkeiten gegenüber den Banken nicht abbaute. Die Bankenforderungen an die damals noch bestehende UdSSR wurden demgegenüber um 3,6 Milliarden Dollar verringert. Insgesamt gingen die Forderungen der Banken an Osteuropa um sechs Milliarden Dollar oder sieben Prozent auf 77,3 Milliarden Dollar zurück.
Auch die Golfstaaten griffen zur Deckung der Kosten des Krieges um Kuwait und des anschließenden Wiederaufbaus auf ihre Bankguthaben zurück. Die Opec-Länder bauten ihre Einlagen bei den zum BIZ- Berichtsgebiet gehörenden Banken um 15,7 Milliarden Dollar oder 6,5 Prozent auf 225,8 Milliarden Dollar ab. Der Golfkrieg und der daran anschließende Wiederaufbau nach Kriegsende seien hauptsächlich mittels Liquidierung von Vermögenswerten finanziert worden, schreibt die BIZ in ihrem Kommentar zu diesen Daten.
Keine neuen Kredite für Lateinamerika
Die Banken der Industrieländer haben sich wegen der prekären Lage vieler Schuldnerländer bei der Vergabe neuer Länderkredite deutlich zurückgehalten. Die Summe der gesamten grenzüberschreitenden Kredite ging um 6,5 Prozent oder 43 Milliarden Dollar zurück. Die Kreditbeziehungen seien von „Vorsicht und Konsolidierung“ geprägt gewesen. Die Zurückhaltung bei der Kreditvergabe führte dazu, daß nur noch wenige Länder in den Genuß von Neuausleihungen kamen, so etwa Saudi-Arabien, Mexiko, Portugal, Thailand, Südkorea und Taiwan.
Die gegenüber Lateinamerika ausstehenden Kredite der Banken nahmen im 1. Halbjahr 1991 um 4,6 Milliarden Dollar ab, nachdem es im vorangegangenen Sechs-Monats- Zeitraum noch eine Zunahme um 3,2 Milliarden Dollar gegeben hatte. Obwohl Brasilien die Zinszahlungen für seine Bankschulden teilweise wieder aufnahm, „hat eine Anzahl wichtiger Gläubigerbanken in beträchtlichem Umfang Forderungen gegenüber diesem Land verkauft“, schreibt die BIZ.
China und Indien verzeichneten „einen markanten Umschwung der Kreditströme“. Nachdem sie im 2. Halbjahr 1990 noch neue Kredite in Höhe von 2,6 und 0,9 Milliarden Dollar erhalten hatten, schrumpften ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Banken um 1,4 und 1,1 Milliarden Dollar. Zugleich stockten beide Länder ihre Einlagen bei ausländischen Banken um jeweils 0,5 Milliarden Dollar auf.
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