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Trüber Blick auf das Kreuz des Ostens

■ Michael Kliers Film »Ostkreuz« bleibt in der Hilflosigkeit seiner Bilder stecken

Überall ist es besser, wo wir nicht sind war vor zwei Jahren ein flotter Filmtitel in aller Munde. Ein Hoffnungsschimmer am finsteren Firmament des deutschen Films, der nun unter dem problemverhangenen Ostkreuz sang- und klanglos abstürzt.

Dabei wollte Michael Klier, Endvierziger und keineswegs der späte Newcomer, für den ihn viele hielten, im neuerlichen Anlauf sich selbst und seinen Überraschungserfolg überbieten. Ein Kraftakt, der ihn prompt jenseits seiner filmischen Möglichkeiten niedergehen ließ. Das unversehens ins westliche Auge springende vermaledeite Kreuz des Ostens trägt Schuld, daß Klier in der Wahl der Tonart so voll daneben griff. Zählten ungetrübte Spiellaune und authentische Situationskomik zu seinem vormaligen Erfolgsrezept, so braut er aus der Passion am Ostkreuz einen trübsinnigen Aufguß in Moll.

Noch immer lockt das Gold des Westens, doch anders als beim letzen Mal, wo man es mit List und Heimtücke bis in die Neue Welt — »viel weiter westlich geht's nicht« — brachte, endet der Sprung ins kalte Wasser der schönen neuen Waren- Welt diesmal schon kurz hinterm verödeten Mauerstreifen. Hier campiert die halbwüchsige Elfie mit ihrer Mutter in einem Container-Lager. Wie, woher und wozu, darauf hat man sich seinen eigenen Reim — womöglich »test the west«?! — zu machen. Jedenfalls fehlen den beiden dreitausend Märker an Kaution, um vom provisorischen Paradies an eine anständige Mietwohnung ranzukommen (das waren noch Preise...). Die Mutter kriegt keinen Job; da muß die Tochter mit Hand anlegen. Doch für zehn Mark Fensterputzen hilft finanziell auch nicht viel weiter.

Das Einmaleins des Profits kapiert Elfie spätestens dann, als sie einem Ladendieb den Fang abknöpfen kann. Doch Darius, jener polnische Filou, der nicht umsonst schon in Kliers vorigem Film sein Lehrgeld im »Quicky Service« bezahlte, holt sich die Beute wieder. Elfie verlangt, wenigstens fifty-fifty zu machen. Dafür will Darius freilich Leistung sehen. Auf bekannt krumme Tour setzt man dem Stückchen Glück, sprich »Kohle«, nach.

Elfie lernt ihre Lektion in freier Marktwirtschaft: Sie läßt Darius kurzerhand hochgehen und verscherbelt das Meißner Porzellan ihres Ost-Opas auf eigene Rechnung. Unterdessen wirft sich Muttern einem widerlichen Kerl an den Hals, mit dem sie ihr Glück weiter westwärts suchen geht. Die sitzengelassene Elfie kriecht zu einem Treber- Jungen, dessen Eltern »damals« (?) über Ungarn abgehauen sind, unter die Decke. Aus der Plattenbauruine geht der starre Blick auf eine unabsehbar eisige Einöde. Abblende in Grabesdunkel.

Man denke an das schaurig- schöne Ende eines Heinrich von Kleist, dem »auf Erden nicht zu helfen war«. In Wahrheit jedoch wußte sich hier ein hoffnungslos dilettierender Filmemacher nicht anders zu helfen, als die falsch verstandene gute Absicht nach außen zu kehren, zu Bildern, die einfach nicht (mehr) stimmen. Volle achtzig Minuten schleppt sich eine Halbwüchsige gesenkten Blicks durch ein trostloses Gelände, das fälschlicherweise zu Rosselinis Trümmerruinen aus dem Nachkriegsfilm Deutschland im Jahre Null erinnern soll. Die Jalousien im Wohncontainer bleiben allweil halbgeschlossen und lassen die grelle Wirklichkeit allenfalls durch diesen Dämmerfilter ein. Hinzu kommen penetrantes Hundegeblaff, Vogelgeschrei und der Lärm von rangierenden Zügen, will sagen: Hier haben welche auf dem Abstellgleis den Anschluß verpaßt.

In Überall ist es besser, wo wir nicht sind wendet ein New Yorker Straßenmusiker, auf seine polnische Herkunft angesprochen, sich wortlos ab. In Ostkreuz fliegt Elfie der Satz um die Ohren: »Sie muß auch lernen, sich anzupassen!« Dazwischen liegen Welten. Am S-Bahnhof Ostkreuz — den der Film nur dem Namen nach kennt — kann man umsteigen. Das geht im Kino leider nicht. Roland Rust

Michael Klier: Ostkreuz. Drehbuch: M. Klier, Karin Aström. Mit Laura Tonke, Miroslav Baka, Suzanne von Borsody u.a. Michael Klier Film im Auftrag des ZDF. Deutschland 1991, 84 Minuten. Sputnik Filmverleih. Kinos: Xenon, Steinplatz, Moviemento.

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