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Die Körperfalle

■ Über das Unglück des Staatssekretärs Lengl

Über Begrüßungs- wie Abschiedsrituale wachen in der internationalen Politik hochrangige Staatsdiener, die Protokollchefs, die ihrerseits von Spezialisten des Höflichkeitswesens unterstützt werden. Zweifellos war Staatssekretär Lengl letztes Jahr vor seinem Besuch in der VR China davon unterrichtet worden, daß Umarmungen chinesischerseits für die Begrüßung ausländischer Staatsgäste nicht vorgesehen sind. Ein sanfter, den Händedruck unterstützender Griff nach dem Ellenbogen des Gastes war das Äußerste, was der bayerische Staatsmann gegenwärtigen mußte.

Umarmungen waren stets eine Konzession an die Vertreter der internationalen Arbeiterbewegung gewesen. Sie wurden kraftlos vollzogen und entbehrten auch der schnalzenden Küsse auf Mund und Wangen — galt doch der Kuß als eine Spielart geistig-erotischer Umweltverschmutzung. Wer beschreibt deshalb Verwirrung und Hilflosigkeit des Staatssekretärs, als trotz der hier beschriebenen Unterweisung Chinas Premier Li Peng, der Schlächter der Demokratiebewegung von 1989, mit ausgebreiteten Armen auf ihn zueilte. Wie dieser unvermuteten Körperfalle ausweichen? Wäre doch Lengl den Praktiken seiner Heimat gefolgt und hätte mit einem kräftigen, mit flacher Hand ausgeführten Schlag auf die Schulter des zierlichen chinesischen Bürokraten dessen Intimitätsangriff pariert. Das hätte Vertrautheit wie Zurechtweisung signalisiert. Aber nein, die Unsicherheit der Deutschen in der Beherrschung der Dialektik von Distanz und Nähe ließ ihn in die Arme des Gastgebers sinken. So nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Mit seinem späten Entscheid hat Minister Spranger dennoch ein Zeichen gesetzt. Jetzt ist es an der Zeit, dokumentarische Materialien zu sichten und Zeitzeugen zu vernehmen, um ähnliche Verfehlungen deutscher Politiker aufzudecken. Wer hing in den 70er und 80er Jahren am Hals realsozialistischer Potentaten, wer ging händchenhaltend mit Breschnew auf der Krim spazieren? Wer überschritt, bei allem Streit der Ideologien sich um die gemeinsame Sicherheit sorgend, die Grenzen des Schicklichen? Freilich, damals herrschte noch unangefochten die Stabilität als oberste Maxime der Staatskunst. Liegt der eigentliche Grund für das Unglück des Staatssekretärs nicht darin, an einer Überzeugung festgehalten zu haben, die einmal von der gesamten westdeutschen Politikerklasse geteilt worden ist? Christian Semler

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