: Das Zeitalter der Foto-Synthesizer
■ F.C.Gundlach, Modefotograf und Pionier der elektronischen Bildverarbeitung, über das Ende des „authentischen“ Bildes
In seinem Hamburger Labor hat er mächtige Maschinerie stehen, mit welcher jedes beliebige Bild erzeugt und manipuliert und mit anderen gemischt werden kann. Der Modefotograf F.C.Gundlach ist einer der bekanntesten Protagonisten der Elektronischen Bildverarbeitung. Diese Technologie erlaubt u.a., Fotos zu erfinden, die aussehen wie perfekte Dokumentaraufnahmen. Daß unsere Wahrnehmung sich dramatisch ändern wird, wenn man rein gar keinem Bild mehr trauen kann, liegt auf der Hand.
taz: Dem guten alten Foto glaubte man alles. Jetzt sagen Sie, die Fotografie sei nur eine weitere Möglichkeit, Bilder zu erfinden.
F.C.Gundlach: Es hat aber auch schon früher selbst in der strengsten Dokumentarfotografie über das Bild entschieden, wann man
F.C.Gundlach: „Mischen, montieren, erfinden - was Sie wollen. Mit einer Auflösung von 30 Zeilen pro Millimeter.“Foto: Tristan Vankann
abdrückt. Bloß, wenn man von Elektronik spricht: Jetzt können Sie natürlich die Bilder weitgehend synthetisch generiert werden, im Kopf. Oder vorhandenes Material über Scanner in den Computer eingeben und damit anfangen, was Sie wollen. Sie können auch beliebige Vorlagen mischen: Dias, Videos undsoweiter. In meinem Labor machen wir vor allem Montagen: Titelbilder für den „Stern“, also Köpfe auf andere Körper; oder Werbung: Autos in andere Umgebungen zu bringen, und solche Sachen. Die ästhetische Dimension dieser Möglichkeiten ist der jetzigen Künstlergeneration leider noch weitgehend fremd. Das wird sich bald ändern. Jede neue Technik gebiert eine neue Kunst. Nie hätte es die Plein-Air-Malerei gegeben, wenn nicht jemand die Tubenfarbe erfunden hätte. Vorher mußte die Farbe immer angerührt werden, und der Maler war ans Atelier gebunden.
Jetzt aber kann plötzlich jeder Bilder machen „wie echt“.
Ja, aber erfreulicherweise! Der Glaube an die Wahrheit des Fotos ist doch schon so erschüttert. Hinter dem Foto stand nie die Wirklichkeit, sondern was man gesehen hat. Oder bedenken Sie im Extremfall, was alles die Sowjetunion in der Stalinzeit als Fotodokument verkauft hat. Die haben ganze Personengruppen beliebig umkomponiert.
Und jetzt? Wo sich ganze Familien problemlos vor die Akropolis fälschen, hat nicht einmal mehr das Urlaubsfoto Beweiskraft.
hierhin bitte das
Doppelporträt
(positiv/negativ)
Nein, auch sonst ist da kaum mehr was nachzuweisen. Wir bringen es heute unter Einsatz riesiger Datenmengen auf eine Auflösung von 30 Zeilen pro Millimeter. Da sehen Sie selbst mit der Lupe kaum die Körnung. Und „Schnitt“-Kanten werden automatisch weichgemacht.
Dann darf hinter rein gar keinem Bild mehr eine ihm ähnliche Realität vermutet werden. Sie begrüßen das, weil es uns vom Wahn des „Authentischen“ heilt?
Ja, das ist doch gut. Das erweckt doch die Verantwortung der Redakteure, wenn das Mögliche nur noch moralisch beschränkbar ist. Und vom Publikum erzwingt das ein kritisches Bewußtsein, wenn man selbst dem Tagesschausprecher nicht mehr glauben kann, der ja sowieso in Wahrheit ein Regierungssprecher ist.
Möglicherweise schwindet der Glaube an die Objektivität des Visuellen überhaupt.
Ja, spätestens seit dem Golfkrieg. Da sind wir alle vorgeführt worden. Da hilft nur, daß wir den Umgang mit Bildern lernen, selber welche erzeugen, möglichst schon in der Schule — sonst berührt uns das nicht mehr. Aber man sollte die manipulative Seite nicht überbewerten. Denken Sie nur mal daran, was das für ihn bedeutet (zeigt auf den Fotografen). Der braucht im Prinzip den Film nicht mehr. Der hat dann einen Chip in der Kamera, da passen 50 Bilder drauf. Möglicherweise können Sie in der Redaktion per Videomonitor sozusagen durch seinen Sucher schauen und sagen:
Jetzt geh doch noch 'n Meter näher ran. Das könnte die Endstufe sein: daß in der Zeitung eine zentrale Regie entscheidet, wie beim Fernsehen.
Und sich dann ihre eigenen Bilder schneidet.
Ja.
In einer Welt, in der Fotos nichts mehr zu beweisen haben, wird sich die Fotografie wohl oder übel hinter die Kunstgrenze zurückziehen. Da geht es ihr wie früher der Malerei.
Ja, die Fotografie selber hat die Porträtmalerei verdrängt; aber auch nur die. Jetzt gibt sie selber was ab. Vor allem wohl bei euch Tageszeitungsleuten mit euerm Zeitdruck. Da ist die Elektronik schneller und billiger. Mit ihr wird man die aktuellen Ereignisse abwickeln. Da fallen alle Schritte zwischen Kamera und Druckerei weg.
Und die Bilder, wie es sein könnte, sind wieder sinnfällig erfunden wie auf den ersten illustrierten Flugblättern der Bauernkriege.
Wenn Sie so wollen, schließt sich da ein Kreis. Gleichzeitig setzt sich die Fotografie nach langem Kampf als Medium der Kunst durch. Nicht als Kunstgattung, die sie nie war, sondern als technisches Medium, als Registriertechnik, Aufzeichnungstechnik, mit der man alles Erdenkliche anfangen kann. Da hat sich viel getan.
Sie haben gerade auf diesem Gebiet eine riesige Sammlung akkumuliert.
Mit ziemlicher Spannweite. Ich denke, daß auch ein simpler
Druck auf den Auslöser Kunst erzeugen kann. Nur vermittelt sich die schwerer als die langwierigen Verarbeitungen von fotografischem Rohmaterial andererseits. Ich versuche aber, in meiner Ausstellung, auch anhand von eigens zusammengehängten Sequenzen, den ganzen Bogen zu zeigen. Interview: Manfred Dworschak
F.C.Gundlachs Sammlung ist ab morgen im Forum Langenstraße zu sehen (siehe Kasten).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen