: Schlichtungsbedarf statt Kooperation
Die Kooperation zwischen Bündnis 90 und Grünen gestaltet sich schwierig/ Jetzt müssen erst mal die Irritationen ausgeräumt werden, die ein Papier des Grünen-Vorstandes beim Bündnis ausgelöst hat ■ Von Matthias Geis
Berlin (taz) — „So etwas wie die Grünen gründet man nur einmal in hundert Jahren“, reagieren grüne Funktionäre derzeit melancholisch, wenn sie auf die Forderung nach einer gemeinsamen Neugründung mit dem Bündnis 90 angesprochen werden. „Das neue politische Jahrhundert hat bereits begonnen“, kontert der Sprecher der Bürgerbewegung, Wolfgang Templin. Die Probleme von Massenarbeitslosigkeit, Flüchtlingsströmen und der sozialen und ökologischen Verödung ganzer Regionen lassen sich, so Templin, „nicht mit den Instrumenten der bisherigen Parteipolitik bewältigen“. Was also läge näher als die Gründung einer „neuen politischen Kraft“ aus Grünen und Bündnis 90, mit der man die „verkrustete deutsche Parteienlandschaft aufbrechen und den Raum für ein neues politisches Projekt besetzen“ könnte?
Schön gefragt, doch die Realität zwischen Bündnis 90 und den Grünen, auf die Templins Vision abzielt, scheint alles andere als reif für ein solches Projekt. Denn bei aller Bereitschaft der Grünen zur wählerwirksamen Kooperation steht für die meisten von ihnen die Kontinuität ihrer Partei außer Frage. Das Bündnis seinerseits sieht eine gleichberechtigte Zusammenarbeit in Frage gestellt und vermutet hinter werbenden Statements von grüner Seite in erster Linie die pragmatische Überlegung, daß eine getrennte Kandidatur bei den Bundestagswahlen für die Grünen das endgültige bundespolitische Aus bedeuten könnte. Zwar verschließen sich die Bürgerrechtler nicht, wie gern kolportiert, dem Wahlkalkül; auch behaupten sie nicht, das Bündnis könne es 1994 alleine schaffen; doch der „durch Wahl- und Parteiengesetzgebung vorgegebene Rahmen für ein künftiges Miteinander ist das eine, der politische Wille, eine Entwicklung aufeinander zu zu riskieren, das entscheidende andere“, setzt Wolfgang Templin seine Prioritäten.
Von der Entwicklung aufeinander zu kann derzeit nicht die Rede sein. Ein vom Grünen-Sprecher Ludger Volmer verfaßtes, vom Bundesvorstand vor Weihnachten einstimmig abgesegnetes Memorandum zum Verhältnis der beiden Organisationen hat die Kooperationsbereitschaft des Bündnisses nachhaltig gedämpft. Nicht nur die Tonlage des Papiers, sondern vor allem die erkennbare Weigerung der Grünen, im gemeinsamen Diskussionsprozeß liebgewordene Weltsichten in Frage zu stellen, schmälert die Chancen für ein gemeinsames Projekt. Statt dessen wird das auf Dialog abzielende Politikkonzept der Bürgerrechtler als naiv abgekanzelt und das Bündnis nur als partiell kooperationswillig qualifiziert. Einschätzungen wie die des grünen Vorständlers Friedrich Heilmann, das Bündnis betreibe eine „der Vergangenheit (Stasi) zugewandte Politik“, die „ein Zukunftskonzept nicht erkennen“ lasse, finden sich auch in Volmers Analyse, die trotz einiger dosierter Freundlichkeiten ihre Wirkung auf das Bündnis nicht verfehlte.
So besteht derzeit eher Schlichtungsbedarf zwischen den prospektiven Partnern. Bereits vergangene Woche reisten die grünen Vorständler Helmut Lippelt und Friedrich Heilmann nach Berlin, ohne daß es ihnen gelang, den Konflikt auszuräumen. Der Bundesvorstand hält weiterhin an Form und Inhalt des konfliktträchtigen Memorandums fest. Zwar sei der Unmut des Bündnisses, so die grüne Sprecherin Christine Weiske, verständlich; doch es sei legitim, „wenn die Grünen ihre Sichtweise des Prozesses darlegen“. Zu diesem Zweck wird der gesamte grüne Vorstand am kommenden Montag erneut nach Berlin reisen.
Angesichts des grünen Zeitplanes, der die Form zukünftiger Kooperation bis Ende 92 festgeklopft haben will, schwinden die Chancen für eine Vereinigung. Die Neukonstituierung scheitert aller Voraussicht nach am grünen Beharrungsvermögen, eine Dachpartei bei Fortbestand beider Organisationen gilt als zu kompliziert, ein Beitritt des Bündnisses ist mit den Bürgerrechtlern nicht zu machen. Bleibt als Minimalvariante ein Wahlbündnis. Doch selbst das ist, angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen, noch keineswegs garantiert.
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