■ Lokaltermin
: Wiener Charme im "Altenberg"

Wiener Charme im »Altenberg«

Die alte Regel, daß vor allem die Persönlichkeit des Wirtes beziehungsweise der Wirtin für den Erfolg einer Kneipe ausschlaggebend ist, scheint in Berlin nur sehr eingeschränkt gültig zu sein. Obwohl der Freundlichkeitsgrad in der Berliner Gastronomie insgesamt gestiegen ist, müssen charismatische Perlen unter den Kneipiers immer noch mit der Lupe gesucht werden. Edith, die Wirtin und Seele des Cafés »Altenberg«, ist eine solche Perle. Nach 15jähriger Lohnarbeit in der Gastronomie hat sie sich im Herbst 1989 mit dem Altenberg den Traum von einem eigenen Laden erfüllt. Für sie ist das Café »wie ein Kind, für das man tagtäglich da sein muß«. Selbst im größten Streß bewahrt Edith nicht nur die Ruhe, sondern auch ihre offenbar unerschütterliche Freundlichkeit. Die alte Schule der Wiener Caféhäuser, in denen die gebürtige Österreicherin einige Jahre gearbeitet hat, macht sich bemerkbar: Im Altenberg muß niemand auf den Tisch springen und mit den Armen rudern, um von der Bedienung beachtet zu werden. Dem charmanten Service entspricht eine gute und kreative Küche. Kein Wunder: Schließlich hat die Hauptköchin ihr Handwerk im »Bundschuh« gelernt. Vor allem die Tageskarte lockt mit so interessanten Gerichten wie »Fenchelcurry mit gebratener Banane und Grünkernrisotto« (15 DM). Eine Suppe für vier Personen wird von Edith nicht selten mit drei Brotkörben ergänzt. Die Einrichtung ist eher schlicht und erinnert nur sehr entfernt an Wiener Etablissements, auch wenn die Stühle vom Wiener Trödel stammen und eines der Gemälde — die viertelnackte Schönheit — vom Freund der Wirtin aus einem Wiener Altwarenlager befreit werden mußte: Bauarbeiter hatten die Dame bereits als Unterlage für ihre Suppenteller zweckentfremdet. Die Tellerränder zeugen noch heute von diesem schmachvollen Kapitel in der Geschichte des Kunstwerks. Ein weitaus größeres Problem als die Erlösung des Bildes ist für Dietmar momentan die Rettung des Cafés. Den beiden steht nämlich momentan eine Räumungsklage ins Haus. In gesundem Gottvertrauen auf die Verbindlichkeit mündlicher Absprachen mit Handschlag, haben sie sich 1989 auf einen reichlich gefährlichen Unterpachtvertrag eingelassen. Schon bald nach dem Mauerfall setzte sich der Hauptpächter über die vereinbarte Staffelung der Mieterhöhung und sein Versprechen, die im Vertrag festgelegte jährliche Kündigungsmöglichkeit nicht wahrzunehmen, hinweg. Ediths Weigerung, eine Mieterhöhung von 1.600 Mark zu akzeptieren, wurde von ihm mit der Kündigung beantwortet. Ende Februar werden sich die beiden Parteien vor Gericht wiedersehen. Wer das Altenberg noch kennenlernen will, sollte dies also möglichst bald tun.

Altenberg: Görlitzer-/Ecke Oppelner Straße