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Wie aus dem Opernbuch

Verdis „Il Trovatore“ in Hannover  ■ Von Irene Tüngler

Alte, auch etliche schnell gealterte Bretter, Bohlen und Balken sorgen für das sogenannte historische Flair; allerlei Pferdegeschirre hängen an dicken Nägeln und weisen auf die Tätigkeit der Bewohner des Anwesens hin; noch deutlicher die attraktiven Reste der Opfer jagdsportlicher Neigungen.

Nichts, was besser in diese treudeutsch grob gehauene Ausstattung passen würde als Uwe Wands Inszenierung von Verdis Il Trovatore. Nur ein grinsender Papp-Seppelhosenträger verdirbt das Bild. Aber er lädt ja auch in einen bayerischen Bierausschank mit hölzerner Tennenästhetik nahe dem hannoverschen Opernhaus.

Der wirkliche Bühnenbildner, den man dort beschäftigte, benutzte für seine naturalen Grobschlächtigkeiten zwar ausschließlich Stein vorgebende Kulissen, aber er kommt ja auch nicht aus Bayern, sondern aus Berlin, ehemals Ost, Komische Oper. Reinhart Zimmermanns zerklüfteter Boden aus geborstenen Beton-Granit-Asphaltplatten bietet während der gesamten Vorstellung beste Voraussetzungen für verstauchte Sängerknöchel. Zwischen Naturalismus und „Kulisse“ die darauf befestigten Schauplätze: Aus der Tiefe vorpommerischer Schlaglöcher zwischen den Plattentrümmern loderten soldatische Lagerfeuer, an denen die Gruselballade von der kinderbehexenden Zigeunerin gesungen wird. Rundbögen und Säulen gaben das Kloster, in das die Hofdame Leonora des totgeglaubten Geliebten wegen eintreten will. Ein spartanischer Ziegelmaueraufgang nebst drei walzenförmigen Zypressen ist ihr Schloßgarten, in dem sie seiner harrt und ein viereckiger Schieferturm das Gefängnis, in dem fast alle Beteiligten am Ende zu Tode kommen. Fast alles wirkte so, wie man sich nach zum Zwecke der Kreuzworträtsellösung angeschafften Opernbüchern den Troubadour vorstellt. Eleonore Kleiber (auch von der Komischen Oper) kostümierte dezent: die zwischen zwei Bewerbern zerrissene Braut Leonora ganz in Weiß, die Zigeunerin in Schwarz. Die Männer, vor allem die topfig behelmten Soldaten, sahen eher komisch aus.

Von der Inszenierung (Uwe Wand, Oper Leipzig) nur soviel: Sie war das, was man sängerfreundlich nennt. Hand aufs Herz, Ausfallschritt, ran an die Rampe und Knie auf den Boden. So erhält auch ein leicht verschleierter Bariton (Luna, Andreas Förster) Ovationen. Die Frauen rangen gelegentlich die Hände. Am seltsamsten gab man sich beim Hauen und Stechen. Wobei sich allerdings die Frage stellt, wie man das beim endlos in sich selbst kreisenden Verdischen Dreiertakt und Walzerrhythmus auch anfangen sollte. Aber Ablenkung wurde geboten. Oh Wunder der neuen Theatertechnik, zum italienischen Film gab es auf einer elektronischen Anzeigetafel hoch über der Szene hängend, laufend deutsche Übertitel: „Leonora, du verrietest deine Liebe! (Manrico ist außer sich).“

Ein paar Buhrufe für das phantasiearme Inszenierungsteam ließen einen an den anderthalbtausend Opernbesuchern am Ende doch nicht ganz und gar verzweifeln; ansonsten schienen sich alle miteinander, auf und vor der Bühne, in schönstem Einverständnis zu befinden. Welch' seltsame Ostexporte doch auf fast ungeteilte Gegenliebe stoßen! Das Publikum jubelte und die Sängerinnen wurden immer besser: Die gertenschlanke Isoldé Elchlepp gab eine anrührende junge(!) Azucena fern von aller chargenhaft augenrollenden Zigeunermutterfürchterlichkeit. Sängerisch sehr differenziert, vom zartesten Piano bis zur verzweifelten Wut alles bietend, Elena Filipovas Leonora. Die Männer waren immerhin passabel. Und überraschend gut, etwas überzogen straff vielleicht, das niedersächsische Staatsorchester unter dem jugendlichen Dirigenten Anthony Bramall.

Zwischendurch überkam mich heftig der Wunsch, just in der Leipziger Oper zu sitzen: Dort spielt dasselbe Stück spannenderweise in der Bronx. Und Verdis Musik paßt so absurd gut in eine Welt der Bandenkriege und Betontrümmer wie die bayerische Biertenne schlecht in die Hannoveraner Innenstadt.

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