PORTRAIT
: Hinterzimmerpolitiker

Bundesdeutscher Christdemokrat wird Präsident des Europaparlaments/ Gemauschel um die Postenvergabe  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Ein Deutscher wurde am Dienstag zum ersten Mal seit der Einführung der Direktwahl zum Europäischen Parlament (EP) 1979 zu dessen Präsident gewählt. Einzig seine Nationalität und Nähe zu Bundeskanzler Kohl sorgte für leichte Unruhe unter den Parlamentariern, gibt es doch auch im Straßburger Demokratiepalast warnende Stimmen vor einem deutschen Europa. Ansonsten stand die Wahl des CDU-Politikers Egon Klepsch schon seit längerem fest. Für die nächsten zweieinhalb Jahre soll der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), wie sich die Christdemokraten auf europäischer Ebene nennen, die Geschäfte des Hohen Hauses führen, seine Sitzungen leiten und es nach außen vertreten. So hatten es die beiden großen Fraktionen, die Sozialisten und die Christdemokraten, bereits nach den letzten Wahlen 1989 ausgemauschelt. Während der ersten Hälfte der Legislaturperiode von insgesamt fünf Jahren durfte sich der spanische Sozialist Enrique Baron Crespo im europäischen Rampenlicht sonnen. Jetzt ist der 61jährige Christdemokrat aus Koblenz an der Reihe. Ihm fällt die selbstauferlegte Aufgabe zu, „volle Mitentscheidungs- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments“ durchzusetzen. Die „Beseitigung des Demokratie-Defizits in der EG“ hatte sich auch sein Vorgänger auf die Fahnen geschrieben. Sogar die EG-Reformverträge von Maastricht wollte Baron Crespo ablehnen, sollten sich die Mitgliedsregierungen nicht zu entscheidenden Schritten in Sachen Demokratie durchringen. Die Drohung wird nun Klepsch wahrmachen müssen. Die „Verbindung von Realismus und europäischer Vision“ sei sein Markenzeichen, sagt der neue Präsident von sich. Unter Kollegen gilt er als Hinterzimmerpolitiker, der das Patronagesystem gegenüber demokratischen Entscheidungen vorzieht. Unterstützung erhofft sich Klepsch von seinem Studien- und Parteikollegen Kohl, dessen Vision er teilt: Nach der Vollendung der deutschen Einheit sei die wichtigste Aufgabe bis zum Jahre 2000 die europäische Einigung.