: Keine Ruhe auf den billigen Plätzen
■ Am Tag der berühmten, aber erfolglosen Doppel bei den Australian Open sorgte das künftige deutsche Olympia-Doppel für den größten Wirbel: Stich muß nun doch mit Boris
Melbourne (taz) — Der Donnerstag war bei den Australian Open ein Festtag für die Besitzer der billigen „Ground Tickets“. Die Superstars des Tenniszirkus, die sonst nur in der für die Ground-Ticket-Eigner unerreichbaren Sphäre des Centre Courts ihrem einträglichen Handwerk nachgehen, stiegen herab auf die profanen Nebenplätze, um ihre Doppel zu absolvieren und sogleich auszuscheiden.
Schon drei Stunden bevor Boris Becker mit Tomas Smid, Doppelpartner und Coach in Personalunion, auf Platz9 auftauchte, belagerten Massen von 13- bis 17jährigen die kläglichen 120 Plastiksitze. Als Boris' goldrotes Haar dann endlich in der gnadenlosen Sonne leuchtete, ließ die Schar jede Hemmung fallen und schrilles Kreischen ertönen. Und als er dann endlich die erste Vorhand schlug, schrie ein australisches Mädel begeistert: „My god, is he sexy.“ Kein Wunder, daß bei solchen Umständen das Match mit 4:6, 2:6 gegen die amerikanischen Gegner Richey Reneberg und Jim Grabb verloren ging.
Auch Stefan Edberg konnte, fünf Meter von den ekstatischen Horden entfernt, nicht zu gewohnter Perfektion finden und verlor ärmlich mit dem Briten Jeremy Bates gegen die keine erwähnenswerten Fan-Reaktionen auslösenden Spanier Emilio Sanchez/Sergio Casal 2:6, 1:6.
Goran Ivanisevics kroatische Anhänger erklommen Drahtzäune und Bäume, um einen Blick auf ihr Idol zu erhaschen. Nachdem die allgegenwärtigen Sittenwächter des Turniers sie dort verscheucht hatten, nutzten sie an den Kopfseiten des Platzes die Sehschlitze in Bodennähe, wo sie den unvergeßlichen Blick auf Gorans Tennisschuhe aufgerissenen Auges einsaugten. Es kam, was kommen mußte: An der Seite von Omar Camporese verlor der Kult-Kroate gegen das unattraktive Paar Jason Stoltenberg/Todd Nelson in zwei glatten Sätzen und schied zum Entsetzen seiner Fans auch gleich im Einzel gegen Aaron Krickstein aus. Flugs tat es ihm Zweit-Goran und Landsmann Prpic nach und unterlag dem US- Bürger Malivai Washington.
Weit mehr Wirbel verursachte jedoch ein Doppel, das gar nicht spielte: Becker/Stich, nun doch für die Olympischen Spiele in Barcelona vorgesehen. In einem hochdramatischen Possenspiel hatte Stich erst Boris Becker brüskiert, indem er seinen ständigen Doppelpartner Udo Riglewski beim Deutschen Tennis-Bund (DTB) durchboxte, dann am nächsten Tag auf Davis-Cup-Teamchef Niki Pilic herumgehackt. Der hatte nach Stichs Ansicht versäumt, „den Kontakt zwischen Boris und mir herzustellen, um die Sache zu klären“.
Ja, weiß Michael Stich denn nicht, was laut dem Österreicher Thomas Muster die drei Aufgaben eines Davis-Cup-Coaches sind? „Flasche halten, Handtuch halten, Maul halten!“ Von Kontakt herstellen keine Rede. So sah sich Stich vom DTB, von Pilic und vom Schicksal in eine „ausweglose Situation“ gebracht. „Wenn ich nicht mit dem Udo Riglewski spiele, habe ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, und wenn ich nicht mit dem Boris spielen will, ist der mir böse.“ Der arme Michi will aber die hurtig erfolgte Umnominierung von Freund Udo zu Rivale Boris akzeptieren. Becker und er würden sicher sehr gut spielen, obwohl „ich mich mit dem Udo menschlich fünfmal besser verstehe.“ Mario Vigl
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