Cadeau, Cadeau!

■ Wie der Tourismus Schwarzafrika an den "Bettelstab" gebracht hat

Wie der Tourismus Schwarfzafrika an den „Bettelstab“ gebracht hat

VONROLFFRÖHLING

Monsieur, monsieur, donnez-moi un stylo!“ — Geben Sie mir einen Kugelschreiber! Der kleine schwarze Junge umklammert meinen Arm und rüttelt daran, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Seine dunklen Augen blicken halb flehentlich, halb verschmitzt. Auch als ich kategorisch den Kopf schüttle, läßt er nicht von mir ab. „Monsieur!“, jammert er weiter, „s'il vous plait, un cadeau!“ — Bitte ein Geschenk! „Non!“ Ich bin etwas verärgert, denn seit meiner Ankunft in Schwarzafrika vor gerade mal drei Tagen haben mich zahllose Kinder pausenlos bestürmt. Selbst auf dem Campingplatz in Arlit (Niger) gaben sie keine Ruhe, versuchten gar, mich wachzurütteln, als ich auf meiner Iso-Matte schlief.

Drei Kugelschreiber habe ich von zu Hause mitgenommen, einen bereits verschenkt, dem zweiten ist die Tinte ausgegangen, und den dritten brauche ich selbst. Dies versuche ich dem kleinen Jungen auf französisch zu erklären. Der aber läßt sich nicht so leicht überzeugen. Er deutet mit dem Finger auf das Armaturenbrett meines Wagens, wo der letzte noch verbliebene Kugelschreiber sträflich offen herumliegt. „Donnez-moi!“ Er läßt nicht locker. „Wenn ich das nächste Mal komme“, verspreche ich ihm jetzt, „bringe ich einen ganzen Lastwagen voller stylos mit. Vielleicht habe ich dann für jeden einen, der mich danach fragt.“ Der schwarze Junge nickt etwas irritiert, als würde er sich ernsthaft die Dimension vorstellen, die nötig wäre, um die cadeau-Mentalität der Afrikaner zu befriedigen.

Schon die Kleinsten kennen das französische Wort für Geschenk und tanzen johlend um die weißen Touristen herum. Man gewinnt den Eindruck, die Babys lernen das Wort cadeau, bevor sie „Mama“ und „Papa“ sagen können. Cadeau kann alles Mögliche sein. Außer Kugelschreibern sind Süßigkeiten beliebt, Feuerzeuge und Kleidungsstücke aller Art — besonders T-Shirts und Schuhe. In den seltensten Fällen ist die cadeau- Bettelei von Erfolg gekrönt. Allenfalls Neuankömmlinge, die von dem Ansturm überrascht werden, trennen sich gelegentlich von einem stylo. Spätestens aber, wenn sie merken, daß damit der Appetit keineswegs gestillt ist, im Gegenteil die Traube von cadeau-heischenden Kindern immer größer wird, verhärten sich die Mienen auch bei den Weichherzigsten. Als Ersatz-Weihnachtsmann möchte keiner herhalten.

Längst ist diese afrikanische Form des Bettelns zu einer Art Volkssport geworden, die kaum noch dem Zweck dient, elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Angeblich brauchen die Kinder die Kugelschreiber für die Schule. Doch die ständige Jagd danach hält viele gerade davon ab, in die Schule zu gehen. Das Betteln ist zu einem Zeitvertreib geworden, zu einem lustigen Spiel und Wettbewerb untereinander. Und wer wirklich mal ein cadeau ergattert, reckt es wie eine Trophäe in die Luft, um den Triumph vor allen anderen auszukosten. Cadeau- Jäger können anspruchsvoll sein. Mit einem Bonbon etwa geben sich viele nicht zufrieden. Es muß gleich die ganze Packung sein. T- Shirts, die nicht mehr ganz neu sind, sondern eventuell schon ein Loch haben, werden achtlos weggeworfen. Man läßt sich nicht alles „andrehen“.

Wie wenig die Jagd auf cadeaux der zweifellos vorhandenen Not entspringt, zeigt auch folgendes Phänomen: Selbst wohlhabende Geschäftsleute, die, ohne mit der Wimper zu zucken, ganze Bündel von Banknoten über den Tisch wandern lassen, fragen hinterher ungeniert nach einem cadeau.

Mancher Tourist traut sich bald kaum noch aus seinem Hotel — aus Angst vor einem Schwarm von cadeau-Jägern, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen. Bettelndes Hotelpersonal ist da noch das kleinere Übel.

Die Frage, ob die Henne zuerst da war oder das Ei, läßt sich hier ganz klar beantworten. Je weiter man nämlich von den üblichen touristischen Routen abweicht, desto mehr verliert sich die cadeau-Mentalität. Die Touristen führen sie im Handgepäck mit. Jahrhundertealte Werte und Traditionen gelten plötzlich nichts mehr. „Moderne“ Statussymbole treten an ihre Stelle: vom oben erwähnten Kugelschreiber über Jeans und Plastikmöbel bis hin zur klimatisierten Mercedes-Limousine. Es bedarf nicht einmal einer marktschreierischen Werbung, um diese neuen Bedürfnisse zu wecken. Der Tourist weckt sie durch seine bloße Anwesenheit.