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Ein weißerer Schatten von bleich

Anmerkungen zu Procol Harum und deren bekanntestem Stück  ■ Von Johann Aho

Verdammter Sommer der Liebe. John Dunbar, Geschäftsführer der Londoner Underground-Galerie „Indica“, war wieder zu den Eltern in die Bentinck Street gezogen, nachdem seine Frau Marianne Faithful als „MissX“ der Rolling Stones für Furore gesorgt hatte. Zum Glück hatte er einen Freund, mit dem sich halbe Tage und ganze Nächte totschlagen ließen.

Fast jeden Tag stoppte der Rolls- Royce mit dem Kennzeichen FJB111C vor dem Haus, in dem die Dunbars lebten und erregte das übliche Aufsehen. John Lennon hatte das Auto von einem Bühnenbildner neu lackieren lassen, kürbisgelb, auf das Dach die Tierkreiszeichen, an die Seiten verschnörkelte Muster, rote Blumensträuße. (Der Lennon-Biograph Albert Goldman wird jenes Fahrzeug später das „berühmteste Symbol der Flower Power“ nennen. Fast auf den Tag genau achtzehn Jahre nach der kleinen hier dargebotenen Episode, im Juni 1985, wird ein kanadischer Geschäftsmann das Auto bei Sotheby's in New York für 2,3 Millionen Dollar ersteigern, inclusive des eingebauten Spezialplattenspielers und eines nagelneuen Satzes Weißwandreifen.)

Nachdem Dunbar an einem wunderschönen Nachmittag in jenem Frühsommer 1967 im Fond neben Lennon Platz genommen hatte, setzte Chauffeur Les Anthony den Wagen in Bewegung. „Was machen wir heute?“ — „Bleib ruhig, mein Freund“, antwortet Lennon und reicht die Tasse mit dem nicht ganz puren Tee herüber, „nimm einen Schluck, warte einen Augenblick, dann werde ich dir etwas vorführen, was du noch nicht erlebt hast.“

Dunbar trinkt.

Mit einem Mal klingt eine Orgel aus den Stereo-Lautsprechern von John Lennons Rolls-Royce, und irgendjemand hat sämtliche Katastrophen des Daseins und alle glücklichen Augenblicke des Lebens gleichzeitig zu Musik gemacht, und das, was man durch die dunkel getönten Scheiben sieht, ist plötzlich nur noch ein grobkörniger Film, der in Zeitlupe läuft, und eine unerhörte Stimme singt „We skipped the light fandango and turned cartwheels cross the floor“. Die Zeit bleibt stehen.

Scheiß auf Marianne Faithful, Asche über die Rolling Stones. „Procol Harum“ nennt sich die Gruppe. Das Lied hat den Titel A Whiter Shade of Pale.

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Um kaum ein Lied ranken sich so viele Legenden. Im Keller einer Methodistenkirche soll es aufgenommen worden sein. Die Band war durch eine Kleinanzeige im 'Melody Maker‘ zusammengekommen. Die Single wird in kurzerZeit 2,5 Millionen mal verkauft (bis heute etwa zehn Millionen mal) und ist bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung im Mai 1967 die Nummer eins der britischen Top Ten.

Wenn Erfolg jemals mit Gnadenlosigkeit zugeschlagen hat, dann in diesem Fall. A Whiter Shade of Pale wird Procol Harum für alle Zeit verfolgen. Die Musiker, die das Stück zusammen einspielten, treten nur etwa zehn mal gemeinsam auf. Innerhalb eines Monats wird, bereits in geänderter Besetzung, eine Langspielplatte produziert, mit Sicherheit eines der besten Debutalben der Popgeschichte. Die Veröffentlichung verzögert sich aus juristischen Gründen bis in das Jahr 1968. Da sind von der A Whiter Shade of Pale-Aufnahme gerade noch zwei Musiker dabei: der Sänger und Klavierspieler Gary Brooker und der Organist Mathew Fisher. Sie haben sich wieder mit dem Schlagzeuger Barrie James Wilson und dem Gitarristen Robin Trower zusammengetan, mit denen sie seit den frühen sechziger Jahren unter dem namen „Paramounts“ erst Rhythm and Blues und dann die Begleitcombo für Sandie Shaw und Chris Andrews machten.

Komponist fast aller Lieder der Gruppe ist Gary Brooker, 21 Jahre alt, als er die Musik für die A Whiter Shade of Pale-Session schreibt, „eine Art Potpourrie aller Dinge, die ich mochte, ein bißchen Klassisches, ein wenig Bob Dylan, ein bißchen Ray Charles“. Er ist „Musiker seit dem zweiten Lebensjahr“. Sein Vater spielte Hawaiigitarre in einer Tanzkapelle mit dem bizarren Namen „Felix Mendelssohn Band“.

Und einer schreibt alle Texte: Keith Reid, 20 Jahre alt. Er wird nie wieder in seinem erlernten Beruf als Schneider arbeiten.

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A Whiter Shade of Pale sei ein „gespenstisches Arkanum“, zu seiner Entschlüsselung „ein Doktortitel oder Drogen, am besten beides, nötig“, hat der amerikanische Soziologe Todd Gitlin geschrieben.

Procol Harum und die Worte. Der Name ist der blauen Burmakatze eines Freundes von Keith Reid entliehen. Küchenlatein, soviel ist klar. Was bedeutet es? „Something like beyond these things“, so die Band selber. Aber Harum ist eine feminine Form (Genitiv Plural des Demonstrativpronoms hic=dieser), Procol ist das Adverb procul (=in der Ferne), zu dem freilich ein Nomen nur im Ablativ treten kann. Ich ziehe die Schlußfolgerungen: der korrekte Name wäre „Procul His“, und das könnte auch „In der Ferne von diesen“ (den Frauen?) bedeuten. (Diese Hypothese wird unterstützt durch die Tatsache, daß das richtig eingesetzte falsche Pronomen „Horum“ gelautet hätte. Folgen wir nun dem Strukturalismus de Saussurescher Richtung unter Zuhilfenahme der Tiefenstruktur Noam Chomskys, ohne die Semantik osteuropäischer Prägung etwa Adam Schaffs aus dem Blick zu verlieren, hat das o von horum das u von procul ersetzt. wie das o von horum daraufhin durch ein a ersetzt werden konnte, hat sich mir bislang noch nicht erschlossen. Für Vorschläge aus dem Leserkreis der taz bin ich durchaus empfänglich.)

Bei der Band ist meine Theorie nicht sehr gut angekommen. „Far away from women? No, no, that's wrong, it's not okay.“

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Die Bezeichnung „Procol Harum“ ist allerdings eindeutig, verglichen mit den Gedichten von Keith Reid. „Impressionen, Gedanken und Anspielungen“, „unruhige Träume und verschlüsselte Bilder von Katastrophen“, „Visionen vom Untergang und vom Ende der Zeit“ erkannte der Rockjournalist Peter Urban, „wirre und verzweifelte Worte“ die Zeitschrift 'Rolling Stone‘.

„...und später, als der Müller seine Geschichte erzählte, bekam ihr Gesicht einen Schatten, der weißer war als bleich.“ ...die Anspielung auf ChaucersCanterbury Tales ist unstrittig.

So wie Reids Texte auf die literarische Tradition verweisen, zitiert Brooker klassische Musik, Bachs Air auf der G-Saite etwa und den Basso continuo einer Arie der Kantate, die Bach nach einem Text des Darmstädter Hofpoeten Georg Christian Lehms aus dem Jahre 1711 komponiert hatte: Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust.

Natürlich waren sie keine Rebellen, keine „street fighting men“ gewesen, erst recht keine „urban guerillas“. Die Revolution, für die Procol Harum stand, war die nach innen gerichtete einer psychedelischen Avantgardekunst, die aus der Lust eines Augenblickes entstanden war und binnen kürzester Frist kommerzialisiert wurde.

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Musik ist einem nichts, oder man hat sie erlebt.

Im Versuch über die Müdigkeit erzählt Peter Handke, wie erhaben das Erlebnis war, als er aus einer Musikbox Bob Dylans Sad eyed Lady of the Lowlands gehört habe. Dazu ist festzustellen: 1. Sad eyed Lady of the Lowlands ist nur in einer 11:20 Minuten langen Version auf einer ganzen Seite der Doppel-LP Blonde on Blonde, aber nie als Single veröffentlicht worden, kann demnach 2. nicht in einer Musikbox gespielt worden sein, wodurch 3. bewiesen ist, daß Musik einem etwas bedeuten kann, was man nicht erlebt hat, was 4. ein Kunstgriff sein kann.

Procol Harum: A Salty Dog (Mai 1969) ist ein Schulfest in R., Grand Hotel (März 1973) ist P., As Strong as Samson von der LP Exotic Birds an Fruit (April 1974) ist Schweben über der Erde und ist L.

Procol Harum ist: 1974 nach dem Krankenhaus und 1977, als schon war, was blieb.

Einmal habe ich Procol Harum und mich selber betrogen. Ich weiß das alles nicht mehr ganz genau. War es Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre? War es 'Bravo‘ oder 'OK‘, war es 'Underground‘ oder 'das da‘? Egal, irgendeine Zeitschrift machte eine Umfrage. „Nenne die Musik, bei der du am liebsten Liebe machst!“ hieß die Aufforderung, befand man sich doch in jenem Zeitalter, das später diejenigen, die ihre eigene Jugend stilisieren wollten, als das der sexuellen Befreiung bezeichnet haben. Jedenfalls nicht immer zu recht, wie ich gleich zeigen werde.

Ich erinnere, daß in der Hitliste Procol Harum dreimal vertreten war. A Whiter Shade of Pale — na klar, noch jetzt, anläßlich der Reunion, wird der „hohe Gebrauchswert des Stückes“ gepriesen, außerdem Homburg, A Salty Dog. Dreimal auch Leonhard Cohen — Suzanne, natürlich, So long, Marianne und Hey, That's no Way to Say Goodbye. Er war der eigentliche Sieger, denn seine der Liebe so förderlichen Stücke waren sogar auf einer einzigen LP erschienen, was den Gang zum Grammophon allenfalls zum Umdrehen der Platte erforderlich machte. Auch dabei, das ging damals nicht anders, und ich bitte, das als ersten Beweis dafür zu nehmen, daß es mit der sexuellen Befreiung so weit her auch nicht war: dieses Liebespaar aus Paris, der Mann ist vor kurzem gestorben. Einer der peinlichsten Augenblicke des vergangenen Jahres war die Vorstellung einer deutschen Version im Fernsehen.

Was gab es noch? Led Zeppelin — Whole lotta love. Das muß das Ding der Sadisten gewesen sein.

Und außerdem? Es fällt mir nicht mehr ein.

Ich habe jedenfalls Tommy James und die Shondells gewählt, Crimson and Clover, die LP-Version. Liebe habe ich damals nicht gemacht.

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Im März 1977 kommt das Album Something Magic heraus. Die Band, die mit einem mystischen Gedicht aufgebrochen war, ist mit dem Ökomärchen Der Wurm und der Baum in eine Sackgasse geraten. 18 Monate später wird bekannt, daß die Mitglieder von Procol Harum sich getrennt haben.

Nicht mehr weit weg von den Frauen? Endlich bei den Dingen?

Einer hatte es geahnt. Der Schriftsteller Bernhard Lassahn veröffentlicht 1979 sein Buch Du hast noch ein Jahr Garantie mit einer Widmung „Für Procol Harum, die sich aufgelöst haben. Das mußte ja so kommen.“

Auf dem Cover einer Best of-LP steht die Bilanz: „Dreizehn hervorragende Musiker, zehn erhabene Al

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ben, zehn Jahre voller Schaffenskraft, ...und dennoch kennt man sie eigentlich nur wegen der allerersten Sache, die sie gemacht haben. It's too strange.“

Worte für einen Grabstein.

So schien es. Vierzehn Jahre lang.

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Ich arbeite in der Innenstadt. Jeden Morgen finde ich mich Punkt 8Uhr an meinem Arbeitsplatz ein. Ich verlasse denselben Punkt 16Uhr30. In der Pause von 9Uhr bis 9Uhr15 nehme ich das Frühstück ein. Während der Mittagspause von 13Uhr bis 13Uhr30 esse ich nicht. Ich verlasse das Büro und durchstreife die Läden der näheren Umgebung.

Dabei bevorzuge ich Bücher- und Schallplattengeschäfte.

So hatte ich auch an einem regnerischen Mittag des vergangenen Herbstes den zu langen Mantel übergezogen, die Schuhe hatte ich in der Eile nicht richtig zugeschnürt, und ich war in die Fußgängerzone gegangen, um die Welt zu fliehen. Auf dem Weg hatte ich die Hosenaufschläge beschmutzt, und es war mir so vorgekommen, als hätten die Zeiger der Stadtuhr am Marktplatz sich rückwärts gedreht, bevor sie um 13Uhr6 übereinanderstanden und sich anscheinend gegenseitig verschlangen. Allerdings habe ich in meinem ganzen Leben keinen Homburg besessen.

Im Schallplattenladen dann das Übliche: Vielleicht gibt es was Neues von den Immaculate Fools oder den Mock Turtles, die Suche nach den nicht vorhandenen Platten von Improved Sound Limited (man hört, Wim Wenders habe sich von Axel Linstädt die Masterbänder der nie veröffentlichten Filmmusik von Im Lauf der Zeit für die Zusammenstellung einer CD zusenden lassen), zum Schluß routinemäßig ein Blick in die Fächer der Kinks (es heißt, Ray Davies fände keine Firma für eine bereits fertige Platte), von Hawkwind (die einzige Rock'n'Roll-Gruppe, die auch aus einem Soundcheck eine Live-LP machen kann) und von Procol Harum.

Ich hatte es immer geahnt, und an diesem Tage wird es zur Gewißheit. Auf dem Cover blaugetönt, von hinten zu sehen ein Mann mit einem Regenschirm: The Prodigal Stranger. Gary Brooker, Robin Trower und Mathew Fisher haben Procol Harum wiederbelebt. Das vierte Mitglied der Rhythm-and-Blues-Band „Paramounts“ aus dem Londoner Southend vom Anfang der sechziger Jahre ist nicht mehr dabei. Barrie James Wilson ist im Oktober 1990 in Eugene im US-Staat Oregon gestorben.

Keith Reid dichtet wieder. Das erste Stück des neuen Albums besagt, daß die Wahrheit nicht verblassen wird. Das ist nicht richtiger als die Feststellung, daß der Teufel aus Kansas kommt, aber einleuchtender.

Epilog

Die Gruppe tourt jetzt durch Deutschland. Ohne Robin Trower. John Kalinowski, der Procol Harum managt und den jeder nur „Kellogs“ nennt, erklärt: „It's, because he didn't want to come out to play.“ Und das sei wörtlich zu verstehen: das habe man als Kind doch manchmal erlebt, daß man einen Freund zum Spielen herausholen wollte, und der habe gerade keine Lust gehabt.

Als ich Kellogs gefragt habe, wer denn durch zehn Millionen verkaufte A Whiter Shade of Pale-Platten eigentlich reich geworden sei (ich fürchte, das ist eine verdammt deutsche Frage), wurde er ein wenig verlegen und sagte, das wisse er nun auch nicht.

Kellogs war früher einmal Roadie von Procol Harum. Auf der A Salty Dog-LP wird er zum Band-Mitglied ernannt: „The instruments played on this album were as follows: ...Kellogs: Bosun's Whistle and Refreshments“.

Ich habe vergessen, John Kalinowski zu fragen, wie er zu dem Spitznamen „Kellogs“ gekommen ist.

Procol Harum: The Prodigal Stranger. RCA, PD90589QB, PL90589SE, PK90589SE.

Tournee: 15.1. Augsburg, 17.1. Lichtenfels, 19.1. Friedrichshafen, 20.1. Mannheim, 21.1. Hamburg, 23.1. Hannover, 25.1. Düsseldorf, 26.1. Ludwigsburg, 27.1. Nürnberg, 28.1. Berlin.

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