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Den ersten beißen die Hunde

Britische Ärzte haben sieben Jahre lang Hundebisse und deren Folgen untersucht/ Hundehalter und ihre eigenen Familien sind die häufigsten Opfer/ Am liebsten beißen die Hunde zu Hause/ Die meisten beißenden Hunde werden sofort getötet  ■ Von Manfred Kriener

Wer wird am häufigsten von Hunden gebissen? Der Briefträger? Falsch. Der Jogger? Auch falsch. Das häufigste Opfer ist der Hundehalter und seine eigene Familie. Das haben die britischen Ärzte Shewell und Nancarrow herausgefunden. Zwischen 1982 und 1989 haben sie von Patienten der Abteilung für plastische Chirurgie am Wordsley-Krankenhaus in den West Midlands alle Informationen über Hundebisse zusammengetragen. Jetzt liegt ihre Bilanz über beißende Hunde und deren Opfer vor.

Der Bullterrier ist der aggressivste Spezi

Hunde beißen im Sommer wie im Winter, ihre Aggressivität kennt keine jahreszeitlichen Schwankungen. Sie machen auch keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Sie nehmen jedes Bein und Jacke wie Hose, egal, von wem getragen. Während sich das Geschlechterverhältnis bei den Opfern ziemlich genau bei 50:50 einpendelt, ist es bei den Tätern deutlich verschoben. 85 Prozent aller Hunde, die beißen, sind Rüden. Hier ist also besondere Vorsicht geboten und mit rüden Attacken zu rechnen.

Daß die Hunde beim Angriff häufig an ihrem Opfer hochspringen, wird von den beiden Autoren eindrucksvoll belegt: 86 Prozent ihrer Patienten hatten Bißverletzungen am Kopf und im Gesicht. Aufgeschlüsselt nach Rassen war der Bullterrier mit 15 Prozent aller Bisse die aggressivste Spezies. Auch andere Terrier- Arten packen auffallend oft zu. Mittelgroße Promenadenmischungen (10 Prozent), Schäferhunde (9 Prozent) und Labradore (8 Prozent) sind ebenfalls zu beachten. Relativ gutmütig scheint der Rottweiler zu sein (2 Prozent). Leider liegen keine Angaben zur unterschiedlichen Verbreitung der einzelnen Hunderassen vor, die man in Relation zur Biß- Häufigkeit setzen könnte. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, daß die Popularität von Kampfhunden und scharfen Wachhunden deutlich zunimmt.

Schlafende Hunde sollten nicht geweckt werden

Besonders häufig sind Kinder und Jugendliche von den Angriffen der Hunde betroffen. Sie gehen offenbar mit viel Gottvertrauen auf die Tiere zu, um sie zu streicheln oder um mit ihnen zu spielen. Mehr als die Hälfte aller angefallenen Opfer waren jünger als 15 Jahre.

Wer einmal von einem Hund gebissen wird, bleibt für längere Zeit nervös, wenn sich ein Hund nähert. Unter den Kindern berichteten 79 Prozent von bleibenden Ängsten, obwohl seit dem Hundebiß im Durchschnitt schon mehr als drei Jahre vergangen waren.

Wer einmal von einem Hund gebissen wurde, kennt aber auch die stereotype Reaktion des Hundehalters: „So was hat unser Fiffi sonst doch nie getan.“ Mit anderen Worten: Der Gebissene ist offenbar ein besonders provokanter Typ und deshalb selber schuld. Die beiden britischen Ärzte haben nun in ihrer Studie nach den Gründen für die plötzliche Aggressivität von Hunden geforscht. Knapp die Hälfte der Hundebisse wurden dabei als „nicht provoziert“ eingestuft, das Opfer war also völlig unschuldig. Darüber hinaus haben die beiden Ärzte drei Hauptmotive für den Angriff der Vierbeiner ausgemacht:

—Das Opfer „verletzt“ das Territorium des Hundes

—Das Opfer wird vom Hund als Bedrohung für sich oder seinen Halter empfunden

—Der Hund ist eifersüchtig

Daß man keine schlafenden Hunde wecken soll, ist eine sprichwörtliche Weisheit, die jetzt nochmals von den beiden Wissenschaftlern bestätigt wurde. Wer schnellen Schritts und sehr nahe auf schlafende oder am Boden liegende Hunde zugeht, ist besonders gefährdet, warnen Shewell und Nancarrow. Häufig beißen Hunde allerdings auch, wenn mit ihnen gespielt wird und sie dabei in einen nicht näher beschriebenen Zustand der „Übererregung“ geraten.

Einziger Trost dieser Untersuchung: Niemand wird öfter gebissen als die Hundehalter. Nicht weniger als 62 Prozent aller erwachsenen Opfer wurden von ihren eigenen Hunden angefallen. Aber auch die Familienangehörigen, Freunde und Bekannte gelten als Hochrisikogruppe. Bei den gebissenen Kindern gehörte der Hund in drei von vier Fällen der eigenen Familie, dem Nachbarn oder Bekannten, bei denen die Kids in der Regel ein und aus gingen. In neun von zehn Fällen beißen Hunde auf ihrem eigenen Territorium, selten auf der Straße, wenn sie Gassi geführt werden.

Den Hunden bekommt ihre Attacke in aller Regel ziemlich schlecht: Zwei Drittel der beißwütigen Tiere wurden anschließend getötet. Unter denjenigen Hunden, die überlebten und von ihren Eigentümern behalten wurden, haben innerhalb des Beobachtungszeitraums immerhin 18 Prozent ein zweites Mal zugebissen.

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