piwik no script img

Obszöner Befreiungsakt

■ Fahimeh Farsaies Roman thematisiert die systemische Verstrickung unserer Welt mit der Gewalt in Teheran

Daß im Iran noch heute Menschen wegen ihrer Überzeugungen oder auch nur wegen kleiner Vergehen gegen eine angeblich islamische Moral verhaftet und mißhandelt werden, verblaßt seit dem Golfkrieg mehr und mehr in unserem öffentlichen Bewußtsein. Der Iran wird nicht nur als politischer Verbündeter gegen den Irak gebraucht, sondern auch als Handelspartner.

Die in Köln lebende Exilschriftstellerin Fahimeh Farsaie, die selbst sowohl unter dem Regime des Schahs als auch dem der Ayatollahs verfolgt war, erinnert an die von uns so gerne im Munde geführten Menschenrechte anhand eines authentischen Falles: In ihrem Roman Vergiftete Zeit geht es um den in der Bundesrepublik ausgebildeten Nierenarzt Dr.Danesch, der vor zwei Jahren einer von Staatspräsident Rafsandschani verantworteten Hinrichtungswelle zum Opfer fiel. Daß seine Familie in einem verzweifelten Amtskrieg von der Bundesregierung vergeblich Hilfe erbat, gehört zu jenen Realitäten, die man als literarische Erfindungen für unwahrscheinlich halten würde. Dr.Danesch konnte nicht gerettet werden, weil sich Außenminister Genscher oder auch diverse Bundestagsdelegationen bei ihren Besuchen im Iran vor allem auf die Befreiung deutscher Geiseln konzentrierten. Auf uneigennütziges Eintreten für die Universalität der Menschenrechte läßt das nicht gerade schließen. Und offenbar mangelte es den Bonner Beamten auch an Taktgefühl: Der Brief an die Familie, in dem die Nachricht von der Hinrichtung mitgeteilt wird, endet nicht mit einer Beileidsbezeugung, sondern als ordentlicher „Formbrief“ mit „Freundlichen Grüßen“. Daß schließlich die Tochter Dr.Daneschs nach einem jahrlangen Amtskrieg mit diversen Parteien, Menschenrechtsorganisationen und der Bundesregierung mitten in Kölns Einkaufszone von einem Pasdar (einem Revolutionswächter) ermordet werden konnte, der in der Bundesrepublik eine Verwundung auskurierte, offenbart vollends die systemische Verstrickung unserer Welt mit der alltäglichen Gewalt in Teheran.

Das Tatsachenmaterial wird aber erst zu Literatur durch eine ungeheure Sprachleistung der Autorin. Als Vergleich fällt mir nur Elfriede Jelineks Sprachmarathon Lust ein. Während Jelinek allerdings pornographische Sprachextreme nutzte, um die sexuelle Nötigung der Frauen zu entlarven, inszeniert Fahimeh Farsaie regelrechte Sprachorgien, die die physische und psychische Gewalt minutiös erfassen. Das Hinabsteigen in die untersten, schmutzigsten Regionen der Sprache ist in den islamischen Kulturen, insbesondere in der Frauenliteratur, ein noch größerer Skandal als bei uns. Auf meine Frage nach dem Grund für diese Sprache, antwortete die Autorin: „Wenn Sie sagen, daß meine Darstellungsweise zu massiv ist, würde ich mich freuen; weil es mir gelungen wäre, eine besondere Eigenschaft des jetzt im Iran herrschenden Regimes zu zeigen: Machtausübung durch Gewalttätigkeit.“

Im Buch selbst findet sich vielleicht die genauere Antwort: Der Gebrauch der obszönen Sprache ist ein magischer Befreiungsakt. Die mißhandelte Ehefrau Dr.Daneschs beschimpft die Pasdaran plötzlich mit Worten, die sie nie zuvor im Leben in den Mund genommen hatte: „Im Klang jener Worte und im Lichtschatten jener verbotenen Vorstellungen ... sah sie eine unentdeckte Zauberkraft verborgen ... Sie konnte auch jetzt erst verstehen, weshalb die Menschen auf der Straße ihren Trost im täglichen, endlosen Kampf, ... im Gebrauch dieser Worte und Wendungen suchten.“

Das in Farsi verfaßte und für den hiesigen Markt übersetzte Buch hätte eine bessere Lektorierung, hier und da wohl auch eine Straffung gebraucht. Dennoch sei dem deutschen Leser der leidenschaftliche und immer wieder erstaunliche Enthüllungen präsentierende Text empfohlen. Sabine Kebir

Fahimeh Farsaie: Vergiftete Zeit. Der Fall des Dr.Danesch. Dipa- Verlag, Frankfurt 1991, 281Seiten, 39,80DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen