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Der „Kronzeuge“ und viele Fragen

RAF-Zeuge Siegfried N. soll angeblich Informant des Hessischen Verfassungsschutzes gewesen sein/ Verfassungsschutz nahm rechtswidrig Polizeiaufgaben wahr/ Heute Sitzung im Kontrollausschuß  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — In der Startbahn-Frontstadt Mörfelden- Walldorf kennt ihn kein ehemals aktiver Startbahngegner. Und auch in der nach den Todeschüssen im Startbahnwald ausgedünnten autonomen Szene der Mainmetropole Frankfurt ist er offenbar eine unbekannte Größe: Siegfried „Siggi“ N. aus Bad Homburg — der „Kronzeuge“ der Bundesanwaltschaft ( BAW) im Mordfall Alfred Herrhausen. N. soll von 1982 bis 1986 für das hessische Landesamt für Verfassungsschutz auch Informationen aus der Anti- Startbahnbewegung beschafft haben. Doch welchen Informationswert, so fragen sich Ex-Startbahngegner, hatte ein Mann, der in keine der Szenen eingebunden war, die in den Jahren 1982 — 86 in der Bewegung die Meinungsführerschaft übernommen hatten?

Die Menschen aus Bad Homburg, die Siegfried „Siggi“ N. kannten, halten ihn für einen „verschlossenen, kontaktarmen, eigenbrödlerischen Menschen“, der mit dem Leben nicht zurecht gekommen sei: „Siggi war ein Nobody und deshalb für den Verfassungsschutz wahrscheinlich eine Nullnummer.“

Dennoch bestätigte der neue Leiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, gestern, daß Siegfried „Siggi“ N. vier Jahre lang Informat des Amtes gewesen sei und für den Verfassungsschutz die autonome Szene, die Anti-Startbahn-Bewegung und die RAF- Unterstützergruppen ausspioniert haben soll. Der Under-Cover- Agent N. sei im Jahre 1986 „wegen massiver persönlicher Probleme und Depressionen“ abgeschaltet. Doch mit diesen massiven persönlichen Problemen und mit Depressionen hatte N. schon seit Ende der 70er Jahre zu kämpfen. Und in Bad Homburg stellen sich die Ex-Bekannten von Siegfried N. aus der grünen Szene noch eine andere Frage: „Warum wurde der vier Jahre lang angeblich ausgezeichnet – funktionierende – N. ausgerechnet 1986 abgeschaltet, als sich an der Startbahn zunehmend gewaltbereite Gruppierungen tummelten?“ Nur ein knappes Jahr später wurden dann zwei Polizisten an der Startbahn erschossen.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag und Rechtsexperte seiner Partei, Rupert von Plottnitz, hält die ganze sogenannte RAF-Affaire für hochgradig aufklärungsbedürftig. Zunächst einmal, so von Plottnitz, sei der Frage nachzugehen, seit wann in der Bundesrepublik ein Geheimdienst für die Aufklärung von Straftaten und die Durchführung strafprozessualer Ermittlungen zuständig sei. Schließlich habe Generalbundesanwalt von Stahl die Überprüfung der von Siegfried N. dem hessischen Verfassungsschutz und nicht der dafür zuständigen Polizei überlassen.

„Die strikte Trennung von Polizei und Geheimdienst gehört gerade vor dem Hintergrund der einschlägigen Erfahrungen unter der Herrschaft des NS- Regimes zu den wichtigsten rechtsstaatlichen Errungenschaften der Bundesrepublik“, so Plottnitz. Falls der Generalbundesanwalt vom hessichen Verfassungsschutz nicht umgehend von dem Geständnis des „Kronzeugen“ informiert worden sein sollte, dann stelle sich die Frage anders: „Was brachte den hessischen Verfassungsschutz auf den Gedanken, ausgerechnet sich selbst für die weitere Befragung und Betreuung des „Kronzeugen“ für geeignet zu halten?“ Plottnitz hofft auf antwort in der heutigen Sitzung des parlamentarischen Kontrollgremiums für den Verfassungsschutz.

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