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Musik in Bilder umgesetzt

■ Von Zauberern, Tänzern, Artisten und Jongleuren — »Varieté« von Mauricio Kagel im Hebbel-Theater

Die Bühne besteht aus einem goldenen, glitzernden Rahmen und einem tiefroten Vorhang. Hinter diesem Vorhang befindet sich ein weiterer in Blau und schließlich noch einer in Grün. Mehr ist zu der Bühne von Mauricio Baló nicht zu sagen. Das Ensemble Modern aus Frankfurt, bekannt aufgrund der Vorliebe für moderne Komponisten, beginnt die Partitur des Concert — Spectacle für Artisten und Musiker lebendig und verspielt.

Ein Kind im Matrosenanzug betritt daraufhin die Bühne und versucht vergeblich, auf einem niedrig gehangenen Seil zu balancieren, wobei es immer wieder herunterfällt. Doch dann kommt der Vater und berauscht die staunenden Zuschaueraugen durch waghalsige Kunststücke: ein Kopfstand oder Salto mortale auf dem dünnen Draht in vier Meter Höhe. Beeindruckt, wagt das Kind nun auch einen Gang auf dem Seil und zeigt damit erfolgreich, daß die »Lotharas« aus zwei Artisten bestehen: Vater und Sohn.

Les Mandragores sind zwar zwei Frauen, die in ornamental verzierten und fluoreszierenden Kostümen ihre Körper den stärksten Prüfungen unterziehen: was sie an Verrenkungen der Wirbelsäule und des übrigen Körpers zeigen, ist ästhetisch schön — und auch durch die waghalsigen Konstellationen — faszinierend.

Mit Oliver Groszer betritt nun ein Jongleur die Bühne, der neben den üblichen Kunststücken mit fliegenden Bällen und wirbelnden Kegeln auch die Meisterleistung der Balance eines aufrecht stehenden Teelöffels auf der Stirn beherrscht. Zuvor wurde dieser vom Fuß dorthin befördert. Nachdem er beweist, daß ein durch die Luft fliegendes Streichholz eine Zigarette entzünden kann, verläßt er mit Applaus die Bühne.

Als nächstes zeigt Bablu Mallik die Kunst, das gesamte Tierreich mit seinen Händen als Schattenspiel hervorzuzaubern. Dies macht er mit Witz und Sinn für überzogene Situationen. So, wenn er ein Stilleben von zwei Hasen im Osternest kreiert, wobei das Nest aus seinem Haar besteht. Jeff Sheridan ist ein Zauberer, der nicht nur die Zuschauer dadurch verblüfft, daß er unendlich viele Spielkarten aus dem Nichts hervorbringt, sondern auch ein Kartenspiel schrumpfen lassen kann, bis es fast nicht mehr zu sehen ist.

Ein kleines Intermezzo der Kenia Acrobats sorgt für die Überleitung zu Les Bubb, einem Pantomimen, der gegen die unerwarteten Kräfte eines Luftballons ankämpft, bevor er merkt, daß alles, was er berührt, schwerelos wird und somit seinen Händen entgleitet. Zum Schluß zeigt Omar Pasha in seinem Schwarzen Theater die wahre Sensation der nicht sichtbaren Dinge und das Verschwinden der Realität durch Licht und Schatten.

Die Musik von Mauricio Kagel zu diesem 60minütigen Programm wechselt zwischen Melancholie und Dramatik und zeigt in der Kombination mit den Artisten eine beeindruckende Qualität von Feingefühl und Tiefe.

Unter der Regie von Werner Herzog (genau!, der vom Film) entsteht ein bescheidenes, aber abwechslungsreiches und durch die Leistung der Artisten überzeugendes Programm, das nostalgisch an Varieté- Vorstellungen früherer Jahre erinnert. Nicht ein großer technischer Apparat oder übersteigerte Sensationslust zeichnen diesen Abend aus, sondern eher die kleine Kunst des wohlerlernten Handwerks, das auch mit wenigen Mitteln die Zuschauer zu begeistern weiß.

Das Ensemble Modern unter der Leitung des Komponisten Mauricio Kagel persönlich (der mit dieser Produktion seinen 60. Geburtstag feiert) spielt locker und nuanciert.

Ein kleiner Theaterabend, der manche Großproduktion in den Schatten stellt. York Reich

Weitere Aufführungen: täglich bis zum 31. Januar, 20 Uhr, Hebbel- Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg 61.

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