EG macht uns zu Vegetariern

■ Fleischgroßmarkt sieht sich in seiner Existenz gefährdet/ Nur zwei von dreißig Zerlegebetrieben können die EG-Hygiene-Vorschriften erfüllen

Berlin. Der Fleischgroßmarkt in der Beusselstraße sieht seine Existenz gefährdet. Nur zwei der dreißig mittelständischen Zerlegebetriebe mit zusammen 1.200 Arbeitsplätzen könnten die ab dem Jahr 1993 geltenden EG-Hygiene-Vorschriften erfüllen, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Verwaltungsgenossenschaft Fleischgroßmarkt Berlin (BGM), Heinz Mühle, gestern. Den restlichen Betrieben müsse die Gesundheitsverwaltung die Zulassung entziehen, sofern nicht eine Fristverlängerung für die Umstellung möglich sei. Bisher gebe es diese nur für Schlachtbetriebe.

Ergebnislose Verhandlungen

Der Aufsichtsratsvorsitzende hielt dem Senat vor, für die eingetretene Situation durch dreieinhalbjährige ergebnislose Verhandlungen mitverantwortlich zu sein. Zuletzt sei über einen kompletten Neubau der Halle für 95 Millionen Mark gesprochen worden, wovon die öffentliche Hand 68 Millionen als Anschubfinanzierung leisten sollte. Später habe es geheißen, daß im Landesetat keine Mittel mehr vorhanden wären.

Fünf Fleischgroßmarktbetriebe wollten daraufhin auch ohne Zuschüsse bauen. Sie wären ausgezogen und hätten fast die Hälfte der heutigen Halle für die Modernisierung der anderen Firmen frei gemacht. Der Verwaltungsgenossenschaft Fleischgroßmarkt Berlin lehnte jedoch den Verkauf von Grund und Boden ab und bot Erbbaukonditionen. Grundlage für den Erbbauzins solle heute ein Bodenrichtwert von 800 Mark je Quadratmeter sein.

Dies seien 320 Prozent mehr als bei einem gleichlautenden Angebot des Berliner Fleischgroßmarktes vom Februar 1989, also vor der Bodenpreisexplosion durch die Vereinigung, kritisierte Mühle. Ein solcher Preis sei im Erbbaurecht nicht zu erwirtschaften.

Die Firmen wollten den ursprünglichen Preis oder einen »angemessenen Erbbauzins«, da sie die Verzögerungen und mithin die eingetretenen Preissteigerungen nicht zu verantworten hätten.

Mangel an Kühlungskapazität

Komme es zu keiner Nachfrist, würden die Zerlegebetriebe schließen müssen. Ihnen fehle es vor allem an ausreichender Kühlungskapazität. Firmenflächen seien durch Rollgitter und Maschendraht, nicht aber durch feste Mauern getrennt und verfügten über nicht ausreichende Hygieneeinrichtungen. Vermutlich würden dann ebenfalls der Schlachthof aufgegeben und Ausbildungsmöglichkeiten für tausend Veterinärstudenten entfallen.

Rudolf Speck vom Fleischerverband Berlin-Brandenburg bezeichnete die Beusselstraße mit 1,2 Milliarden Mark Jahresumsatz als einen der effizientesten Fleischgroßmärkte in Europa. In den Jahren 1988/89 wurden 60.000 Tonnen Fleisch umgesetzt, 1991 waren es 110.000 Tonnen.

Gäben die Zerlegebetriebe auf, würde der bisherige Anteil von einem Drittel Frischfleisch in Berlin zurückgehen. Portioniertes Fleisch müßte über lange Strecken angeliefert werden. Doch zur optimalen Versorgung gehöre, daß frisch geschlachtetes Fleisch aus dem Schlachthof auf kürzestem Wege in die Weiterverarbeitung und von dort aus in das Handwerk und den Handel gelange. dpa