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Viel heiße Luft in Rio

Forum wichtiger Entscheidungen oder Öko-Zirkus? In Brasilien mehren sich die Zweifel über den Sinn der großen UNO-Umweltkonferenz, die im Juni in Rio de Janeiro stattfindet  ■ VON ASTRID PRANGE

Die Euphorie ist verflogen. Fünf Monate vor der UNO-Umweltkonferenz (UNCED) vom 1. bis 12.Juni in Rio de Janeiro haben die brasilianische Regierung und Umweltgruppen ihre Erwartungen zurückgeschraubt. Statt konkrete Beschlüsse zu fassen, werden die rund 70 erwarteten Staatschefs bei dem ökologischen Gipfeltreffen voraussichtlich lediglich eine Umweltcharta ohne rechtsverbindlichen Charakter unterzeichnen.

„Vor zwei Jahren waren unsere Erwartungen größer“, erklärt Neli Aparecida Mello, UNCED-Koordinatorin im Umweltministerium in Brasilia. Doch mittlerweile habe sich herausgestellt, daß insbesondere die Vereinigten Staaten „nicht das geringste Interesse daran haben, etwas zu ändern“.

Jorge Eduardo Durao, Vorsitzender der brasilianischen Vereinigung von Umweltgruppen und Bürgerinitiativen (Abong), befürchtet, daß die Industrienationen die wichtigsten Entscheidungen bereits vorher unter sich ausmachen. Trotz der gewaltigen Gegenkonferenz, zu der rund 10.000 Vertreter von regierungsunabhängigen Organisationen (NGO) aus aller Welt anreisen, macht er sich keine Illusionen. „Zwar reden alle davon, daß die Probleme heutzutage global sind und das Zeitalter der Nationalstaaten vorüber ist, doch die US-Amerikaner und Japaner denken nicht daran, ihre protektionistische Politik aufzugeben“, meint der Rechtsanwalt.

Die brasilianischen Parlamentarier scheint die Umweltkonferenz schlicht kalt zu lassen. Die Fachkommission, die das Thema in die Öffentlichkeit tragen und gleichzeitig die Unterzeichnung von Konventionen vorbereiten sollte, wurde im Dezember vergangenen Jahres mit zwölfmonatiger Verspätung einberufen. Fabio Feldman, Öko-Lobbyist im brasilianischen Parlament, verspricht sich von dem Ereignis höchstens eine „Beschleunigung der Entscheidungsprozesse“. „Es besteht die Gefahr, daß die ganze Sache in einen Öko-Zirkus ausartet“, meint der Abgeordnete. Bei einem Besuch des UNO-Generalsekretärs für die UNCED, Maurice Strong, hatte er kürzlich große Mühe, den Plenarsaal zu füllen.

Der Kanadier Maurice Strong vertritt die Ansicht, daß die Vermeidung der bevorstehenden Umweltkatastrophe vorrangig Aufgabe der Industrieländer sei. „Das bisherige Entwicklungsmodell ist so nicht haltbar. Die Industrieländer, die das System schufen und dadurch reich wurden, sind die einzigen, die über Mittel verfügen, es auch zu ändern“, erklärte er bei einer Pressekonferenz in Rio. Getreu seiner Auffassung wählte Strong den Industriellen Stephan Schmidheiny aus, um die Unternehmer bei der UNCED-Vorbereitung zu vertreten. Der Schweizer ist Vorsitzender des weltweiten Unternehmerverbandes für umweltverträgliches Wirtschaftswachstum (BCSD), dem in Brasilien Firmen wie die Zellulosefabrik „Aracruz“, der Bergbaukonzern „Vale do Doce“ sowie multinationale Konzerne wie „VW do Brasil“ oder „Mercedes Benz do Brasil“ angehören.

Strong wie Schmidheiny sind der Auffassung, daß sich der Kapitalismus mit ein paar Korrekturen durchaus in ein umweltverträgliches System verwandeln ließe. Dazu gehörten Maßnahmen wie die Öffnung der Märkte für Produkte aus der „Dritten Welt“ oder die Einführung von Umweltsteuern. Schmidheiny ist jedoch nicht gerade optimistisch, was die Konzessionsbereitschaft, insbesondere von US-Unternehmern, angeht: „Nicht die Europäer, sondern die Amerikaner sind das Problem, weil ihre Wirtschaft auf billigem Treibstoff basiert“, meint er. Die Japaner hingegen würden ihre Energievorräte bereits wesentlich effizienter nutzen.

Die Zauberformel vom „umweltverträglichen Wachstum“ stößt in der brasilianischen Öffentlichkeit aber auf Skepsis. Isabel Carvalno vom Brasilianischen Institut für Wirtschafts- und Sozialanalysen (IBASE), eine der über hundert brasilianischen NGOs, die an der Parallelkonferenz teilnehmen, deutet den Diskurs von Unternehmern, Regierungs- und UNO-Vertretern als Verteidigung in eigener Sache. „Obwohl Technologietransfer das Verursacherprinzip, Investitionen im Bereich der Biotechnologie oder die Umwandlung der Auslandsschulden in einen Fonds zur Erhaltung der Regenwälder wirklich zur Verringerung der Umweltzerstörung beitragen, handelt es sich bei diesen Maßnahmen dennoch mehr um den Schutz künftiger Märkte als um die Erhaltung der Natur“, erklärt die Forscherin.

Brasiliens Umweltminister José Lutzenberger will ebenfalls mehr in die Tiefe gehen: „Wir werden die wahren Ursachen der Zerstörung ans Licht bringen“, kündigte er in einem Interview mit der Zeitung 'Jornal do Brasil‘ aus Rio an. Die brasilianische Regierung hatte bereits mehrfach erklärt, daß sie das herrschende Wirtschaftsmodell für „ökologisch schädlich, sozial pervers und politisch ungerecht“ hält. Eben deshalb ginge die Zerstörung im Amazonasgebiet weiter, „genauso wie die Vernichtung von Wäldern in allen anderen Ländern der Welt auch“.

„Das Hauptthema ist die Armut. Jede Änderung am bisherigen System bedeutet für die Entwicklungsländer einen Fortschritt“, ergänzt Lutzenbergers Kollegin Neli Mello. Brasilien werde sich mit anderen Regenwaldländern wie Malaysia, Indonesien, China und Indien zusammentun. „Wir wollen die Wälder nutzen und schützen. Schließlich leben dort Menschen“, sagt sie. Die reine Erhaltung sowie sonstige „importierte Paketlösungen“ aus der „Ersten Welt“ lehne die brasilianische Regierung ab.

So wird sich bei der UNCED in Rio die Flut der vermeintlich guten Ratschläge wohl in Grenzen halten. „Die Industrieländer haben auch kein Konzept“, sagt der US-Amerikaner Warren Lindner vom World Wildlife Fund, der für die Organisation der Parallelkonferenz der NGOs verantwortlich ist. „Sie meinen, wenn sie ihren Hausmüll einsammeln, ist das Problem des Umweltschutzes gelöst.“

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