Mit dem Geigerzähler am Werkstor

Schrotthändler kontrollieren ihr Wirtschaftsgut auf radioaktive Verseuchung/ Meßverfahren angeblich unbefriedigend  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Seit mindestens zwei Jahren kontrollieren verschiedene mittelständische Schrotthändler ihr Wirtschaftsgut schon an den Werktoren mit dem Geigerzähler. Damals sei radioaktiver Schrott aufgetaucht und habe die Händler aufgescheucht, erinnert sich der Sprecher des Deutschen Schrottverbandes, Ulrich Leuning. Nach der Lockerung an den Grenzen nach Osteuropa „haben wir in einem Rundschreiben empfohlen, sich um diese Dinge zu kümmern. Und die großen Schrotthandelsbetriebe sind dazu übergegangen, Meßeinrichtungen aufzustellen.“

Auch die Rohstoffhandelshäuser der großen Stahlkonzerne machen sich Sorgen. Es sei einiges in Bewegung, berichtet ein Insider — doch das Ergebnis ist bislang mager. „Wir haben uns die bestehenden Meßverfahren angeschaut und festgestellt, daß sie nicht reichen“, so Rolf Willeke, Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Schrottrecyclingwirtschaft. Seit gut einem halben Jahr suche man nun konkret nach neuer Meßtechnik. Es gebe im Verband aber trotzdem Unternehmen, „die mit Geigerzähler sporadisch so etwas tun“.

Bernd Webersinke, Umweltbeauftragter der Hamburger Stahlwerke, beschreibt das Problem der Stahlkocher ganz plastisch: „Das Prüfergebnis dieser Kontrollsysteme ist miserabel. Sie sind also als effektive Eingangskontrolle nicht geeignet.“ Wenn eine radioaktive Quelle etwa durch fünf Meter anderen Schrott abgeschirmt sei, könne man die Quelle gar nicht orten, ohne die ganze Ladung umzukrempeln.

Das Dilemma ist ganz offensichtlich ein finanzielles. Den Schrott umzukrempeln ist der Industrie zu teuer. Die derzeitigen, preiswerten aber unzureichenden Kontrollen aber würden nur in falsche Sicherheit wiegen, legitimiert Webersinke die Industriephilosophie, in puncto Radioaktivitätsmessung erst einmal nichts zu tun, sobald der Schrott vorm Lager eingetroffen ist. Seine Firma hat einen anderen Weg gewählt.

Der Einkauf der Stahlkocher kümmere sich intensiv um seine Quellen. Die Leute führen auch schon mal zur Kontrolle an den Herkunftsort des Schrotts.

Die Hamburger Stahlkocher arbeiten mit Elektro-Lichtbogen- Öfen, die beim Stahlschmelzen einen hohen Schrottanteil benutzen. Der Löwenanteil des Schrotts stamme aus Deutschland, so Webersinke. Die Bundesrepublik sei mit 14 Millionen Tonnen Schrottanfall sogar Exportland. Nur 8 bis 9 Millionen Tonnen könnten in den heimischen Elektrostahlwerken und Gießereien wirklich eingesetzt werden. „Vereinzelt beziehen wir aber auch Schrott aus Osteuropa“, räumt der Umweltbeauftragte ein.

Auch große Schrotthandelshäuser wie Klöckner und Co oder Thyssen Sonnenberg scheuen die Kosten des Umkrempelns und versuchen sich über die genaue Auswahl ihrer Lieferanten zu schützen. „In gefährdeten Gebieten kaufen wir nicht“, verspricht Bernd Krüger von Klöckner. Auch besonders preisgünstige Lieferungen erregten Verdacht.

Klöckner bezieht Schrott auch aus den USA. In den angelsächsischen Ländern verfolgt die Industrie allerdings eine andere Sicherheitsphilosophie als in Deutschland. In den USA wird das Altmetall schon seit Jahren auf radioaktive Verseuchung kontrolliert, weiß ein Insider. Auch mehrere britische Stahlproduzenten installierten im vergangenen Jahr, zumindest an ihren Verladeeinrichtungen, Geigerzähler — immerhin eine generelle Kontrolle, so unzulänglich sie sein mag. Die Stahlkonzerne, unter ihnen Sheffield Forgemaster und United Engineering Steel, begründeten die Vorsicht explizit mit der Furcht vor radioaktivem osteuropäischem Schrott. Inzwischen sprachen die britischen Konzerne sogar Einsatzpläne mit den lokalen Katastrophenschutzbehörden ab, berichtete die 'Financial Times‘.

Die Gründe sind die gleichen: Osteuropäische Staaten hatten auch Briten Schrott sehr preiswert angeboten. Dabei war auch strahlendes Altmetall aufgetaucht. Insgesamt ist der Schrottpreis durch Ostdumping rapide gefallen — in der Bundesrepublik von 360 Mark für die Tonne auf 120 Mark. Die Branche habe keine fröhlichen Zeiten, wie ein Kenner es ausdrückte. Ein Grund für ungerade Geschäfte?

Die deutsche Stahlindustrie glaubt vorläufig auf Meßmaßnahmen wie in den USA und Großbritannien verzichten zu können. Generelle Kontrollen erst, wenn es wirklich sichere Verfahren gibt, ist die Losung. Materialwissenschaftler Roland Keck vom Verband der Eisen- und Hüttenleute in Düsseldorf soll für die Umsetzung sorgen. Keck über seinen Auftrag: „Es soll so preiswert sein, daß sich große Stahlwerke damit ausstatten können.“ Die 700.000 Mark für das Forschungsprojekt stammen von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Grundsätzlich gebe es die notwendigen Techniken, so Keck. Gegen Sabotage sei aber kein technisches Mittel gefeit. Bei allen Meßverfahren werde „ein erträgliches Maß an Unsicherheit übrigbleiben“, warnt Projektleiter Keck vor allzu großen Erwartungen.

Teure und relativ gute Systeme — die aber auch die Briten nicht anwenden — gibt es bereits, bestätigt Christian Küppers vom Darmstädter Öko-Institut. Er verweist auf Technik, die beim Abriß des AKW Niederaichbach genutzt wird. Bei kubikmetergroßen Metallblöcken könnten dabei selbst Belastungen von drei Bequerell pro Kilo festgestellt werden. Lastwagenladungen oder sperrige Stahlträger lassen sich aber auch so nicht kontrollieren. Ohne Umkrempeln gibt es also in keinem Fall sichere Meßergebnisse.