: Alles endet mit einem Biermann
■ Polit-Bänkelbarde Wolf Biermann gastierte mit jiddischen Liedern und seiner Frau Eva-Maria Hagen
Das Schauspiel Biermann — es beginnt schon draußen vor der Tür. Da stehen frierend die (ewig?) Gestrigen, die vom Leben schon wieder Bestraften und versuchen, irgendwie doch noch eine Karte zu ergattern. Denn Biermann — ach, er ist schon seit Monaten ausverkauft. Gut betuchte Baskenmützenträger, Damen mit modischem Mozartzöpfchen, aber auch auffallend viele junge, noch ganz lebensferne Gesichter strömen ins warme Foyer. Hinein in die teuren Subventionspolster des ehrwürdigen Schiller Theaters, wo das Phänomen Biermann heute gastiert. Mit jiddischen Liedern, seiner Frau Eva-Maria Hagen und einem begnadeten Pianisten namens Siegfried Gerlich.
Das Spiel beginnt. Es beginnt als Konzert. Ein Mensch, den mir der Programmzettel als Arno Lustiger vorstellt, kommt auf die Bühne, setzt sich an ein kleines Souffleurs-Tischchen vorne am Eisernen und begrüßt uns ganz herzlich. So schnell, wie es manche vielleicht gerne hätten, gibt es den Biermann nämlich nicht. Da ist schließlich noch die argentinische Sefardin Jacinta. In der Welt unterwegs mit ihrer Gitarre und der vergangenen Liedkunst jener spanischstämmigen Juden, die — Ach! Es sind der Vertreibungen so viele! — 1492 per Edikt aus ihrer spanischen Heimat verjagt wurden.
Da steht sie nun perfekt ausgeleuchtet an der Bühnenrampe in edlem Schwarztuch mit mozardiensischen Weiß-Rüschen, und singt jiddische und sefardische Lieder.
Sie singt konzertant. Und das steht in krassem Gegensatz zu dem ursprünglichen Sentiment dieser überlieferten Gesangsstücke, die uns doch eigentlich die »unbekannten Lebenswelten des jüdischen Widerstandes« näherbringen sollten. Lieder aus dem Getto Wilna als klangvoller Kunstgenuß? Wie singt man ein Lied über den Getto-Kommandanten Wittenberg, der 1943 von den Nazis zu Tode gefoltert wurde? — Ach! Es ist des Elends so viel. Und Jacintas beeindruckend schöne Stimme, sie füllt zwar den Raum, aber füllt sie auch unsere Herzen?
Doch hinter dem Vorhang lauert bereits das Phänomen Biermann. Auf leisen Bequemschuh-Sohlen betritt er noch in Jacintas Abschiedsapplaus hinein bescheiden und lichtscheu die Bühne. Kalkuliert — ganz Profi! — exakt die Wirkung seines theatralen Erscheinens. Ein Blick nach rechts zu Arno, der immer noch argusäugig auf seinem Plätzchen verharrt, einer nach links zu seinem Pianisten Siggi — als wolle sich der bärtige Barde vergewissern, daß ihm die Bühne ab jetzt wirklich alleine gehört. Dann legt er los. »Sog nit kejnmol — Sag nie nicht« wiederholt noch einmal Jacintas letztes Lied. Auf deutsch und auf biermännisch. Da verändert sich die Bühne. Nicht nur, daß der Beleuchter etwas mehr Helle herausrücken muß, um das quirlige, hemdsärmelige Phänomen dort unten zu erfassen. Nein, kaum steht er da, wird aus der ehrwürdigen Schiller-Bühne ein rauchiges Hinterzimmer irgendwo auf dem Prenzlberg. Eng gedrängt sitzen die Baskenmützen und Mozartzöpfchen nun vor dem Schnauzbart mit Klampfe. »Mag sein/ daß ich irre« singt der gerade »S'sind nicht all meine Träume/ die roten/ mit all unsren Toten/ verreckt und verscharrt.«
Alles das klingt auffallend nach Hanns Eisler. Jeder habe da so seine Quellen, erklärt das Phänomen B. schnodderig. Und dann kommt endlich auch Eva auf die Bühne. Wir sind komplett. Nun kann es losgehen. Der Ritt durch die Kulturgeschichte auf dem Gitarrenhals des Wolf Biermann. Seine Qualität lag und liegt eben in jenen fulminanten Achssprüngen, mit denen er sein Publikum im Irrsinnstempo von Wohl nach Weh jagt. Immer auf der Suche nach dem Affekt der Betroffenheit, wiegt er uns auch schon mal über weite Strecken hinweg in trügerischer Gefühlssicherheit. Läßt Gattin Hagen die »lebenslustigen Menschenlieder« des Moerdechaj Gebirtig singen. Klein Abraham, der schnellste krumme Finger, Margeritten oder Tobt und tollt Ihr Kinder. Da hüpft die Musik in diesem überdimensionierten Kneipendunst, und Eva-Maria läßt wogend ihre Hüften kreisen. »Ich werd' Dich führen/ Schritt für Schritt« lockt sie und blickt lächelnd zu Wolferl, der mit verschränkten Armen so fröhlich dreinschaut, wie er es mit seinem Betroffenheitsgesicht eben hinkriegt. Da endlich schwindet der Argwohn, bricht das Eis im Publikum. Die »lebenslustigen Menschenlieder« des Nazi-Opfers Gebirtig finden Einlaß und leichtgläubig Anklang.
Aber ach! Kaum haben wir uns ein wenig zurückgelehnt, schon reißt der Lotse Biermann das Boot wieder herum. Erinnert uns an das Cabaret im Getto Wilna, in dem sich zuweilen auch die Nazi-Schergen höchstselbst ihre Zeit vertrieben. Es ist ein Abend der Brüche, weil die jüdische Geschichte eine Geschichte der Brüche ist. Und es ist ein Abend des Wolf Biermann, weil Biermann nur Biermann kann. Er habe die jiddischen Lieder, die ja eigentlich unübersetzbar seien, »ins Deutsche gezottelt«, weil Eva ihn so inständig gebeten habe. Nun klingen sie nicht nur jiddisch, sondern auch noch ganz schön biermännisch. Nicht ganz so biermännisch — und darum auch nicht ganz so schön wie die wahren Biermann-Stücke, die der Betroffenheitskönig am Ende des langen Abends noch zum besten gibt.
»Tous fini par des chansons«, sagen die revolutionserfahrenen Franzosen — alles endet mit einem Lied. Hier endet alles mit einem Biermann. Ob jiddisch oder Heine, ob Gorbatschow oder Bänkelgesang. Keine Vorlage, weder gedanklich noch musikalisch, ist vor ihm sicher. Den russichen Männerchor zu seinem Besserwisserlied Michael Gorbatschow imitiert er mannhaft á capella und wird dabei zum Abschied noch um einen Ton röhriger und noch kneipenmäßig-saftiger. Die Baskenmützen im verrauchten Hinterzimmer rücken noch ein wenig mehr zusammen, einige Damen zerren ergriffen an ihren Mozartzöpfchen. So kennen sie ihn, so lieben sie ihn. Biermann, der große Assimilator. Ob jiddisch oder sinti, Kulturgut oder Gorbatschow. Biermann hat zu allem etwas zu singen. Eben auch zum jiddischen Lied. Quod erat demonstrandum. Klaudia Brunst
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