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Mr.Hyde mit Boxhandschuhen

In Indianapolis begann der Vergewaltigungsprozeß gegen Mike Tyson, den ehemaligen Boxweltmeister im Schwergewicht/ Als Höchststrafe drohen 63 Jahre Gefängnis  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) — „Egal, welchen Fall du bekommst, du solltest ihn einfach nur als einen Fall wie jeden anderen betrachten“, erklärte Richterin Patricia J. Gifford in ihrem Gerichtssaal in Marion County/Indiana tapfer einer Horde von 100 Journalisten. Doch allein die Tatsache, daß sie sich gezwungen sah, drei Tage vor Beginn eines Prozesses eine Pressekonferenz abzuhalten, zeigt, daß ihr das diesmal kaum gelingen wird. Es ist kein Prozeß wie jeder andere, den Mrs. Gifford seit Montag zu führen hat, sondern es handelt sich um den Vergewaltigungsprozeß gegen Michael Gerard Tyson, den ehemaligen Boxweltmeister im Schwergewicht.

Kurz nach den Hearings von Richter Clarence Thomas und dem Vergewaltigungsprozeß gegen William Kennedy-Smith bekommt die sensationsgierige US-amerikanische Öffentlichkeit wieder eine Sex-and- Crime-Affäre frei Haus geliefert. Mit dem Unterschied allerdings, daß die Tyson-Verhandlung zum Leidwesen vieler Bürger nicht live im Fernsehen übertragen wird, weil die Gesetze des Staates Indiana solches verbieten. Und mit dem Unterschied, daß es sich bei dem Angeklagten nicht um einen respektablen Vertreter des schwarzen Establishments oder den Abkömmling einer renommierten, wenn auch rufgeschädigten Familie handelt, sondern um den Prototyp jenes furchterregenden schwarzen Machos, der dem weißen Amerika Schauer über den Rücken jagt und tiefverwurzelte Abscheu auslöst. Der 25jährige Mike Tyson verkörpert den „schwarzen Mann“ in Reinkultur, den „800-Pfund-Gorilla“ (Dan Duva, Manager des amtierenden Weltmeisters Evander Holyfield): böse, gemein, brutal und lüstern, eine Figur, wie aus einem Handbuch des Ku- Klux-Klan entsprungen.

Vom Räuber zum „Bad Boy“ des Boxrings

„Er erzählte mir von den großen Boxern und davon, wie gemein sie waren“, erinnert sich Tyson an seinen Entdecker Cus d' Amato, der einst auch Floyd Patterson zum Champion machte. „Ich wollte wie sie sein“, sagt Tyson, „gemein, wild, bösartig.“ Dieses Image wurde von seinen Managern und ihm selbst so eifrig kultiviert, daß er ihm immer ähnlicher wurde. Der jugendliche Handtaschenräuber aus Brooklyn wurde zu „Iron Mike“, dem „Bad Boy“ des Boxrings, der seine Gegner nicht nur reihenweise in Grund und Boden schlug, sondern sie auch noch auf das Unflätigste beschimpfte. Seit Muhammad Ali hat ein Schwergewichts-Champ mit dem Mundwerk genauso schnell zu sein wie mit den Fäusten, doch wo der eloquente Ali feinsinnige Gedichte hervorsprudelte, fielen seinem schwerfälligen Nachfolger nur Sprüche darüber ein, wie sehr er es liebe, Kiefer und Nasenbeine brechen zu hören, und daß er seine Gegner in den Ringboden stampfen, zerstören, umbringen werde.

Auch außerhalb des Ringes spielte Tyson, der seinen Titel 1990 in Tokio sensationell gegen Buster Douglas verlor, gern den unbeherrschten Unhold, prügelte sich auf offener Straße mit rivalisierenden Boxern, schlug aufdringliche Fotografen nieder und präsentierte sich mit Vorliebe als brutaler Macho. Er möge es, Frauen Schmerzen zuzufügen, wenn er mit ihnen schlafe, soll er seinem Biographen Jose Torres gesagt haben. „Ich liebe es, wenn sie vor Schmerzen schreien, sie bluten zu sehen. Es bereitet mir Vergnügen.“ Sätze, die ihm nun zum Verhängnis werden könnten, wenn es darum geht, zu klären, was am 19.Juli 1991 in einem Zimmer des Canterbury Hotel von Indianapolis geschah.

„Miss Black America“ und der Stargast

Mike Tyson war als Stargast für die Wahl der „Miss Black America“ verpflichtet worden und wird von einer der Kandidatinnen, der 18jährigen Highschool-Absolventin Desirée Washington, beschuldigt, sie in der Nacht nach der Veranstaltung in seinem Zimmer vergewaltigt zu haben. Während der Boxer behauptet, die Frau sei freiwillig in sein Zimmer gekommen und nichts sei gegen ihren Willen geschehen, ist der Staatsanwalt von Marion County davon überzeugt, daß die junge Frau die Wahrheit sagt, und er erhob Anklage wegen „Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und erzwungenem Oralsex“ — Verbrechen, die in Indiana eine Höchststrafe von 63 Jahren Gefängnis bedeuten können.

„Jedesmal, wenn ich in die Nähe einer Frau komme, passiert etwas Unheimliches“, sagt Tyson. Seine juristische Vergangenheit läßt daran keinen Zweifel. 1988: zwei Gerichtsverfahren wegen sexueller Belästigung; 1990: Verfahren wegen sexueller Angriffe und Einschüchterung; Verurteilung wegen sexueller Handgreiflichkeiten. 1991 wurde er mit der 11-Millionen-Dollar-Klage einer Natalie Fears konfrontiert, die behauptete, daß ihr Sohn D'Amato, genannt nach dem Tyson-Entdecker, von dem Ex-Champion gezeugt worden sei. Freiwillig zahlte Tyson mehr als 100.000 Dollar und präsentierte seinen vermeintlichen Sohn sogar stolz der Presse. Vor einigen Tagen ergab ein Bluttest jedoch, daß er gar nicht der Vater des Kindes sein kann.

Durch das Boxen zu Ruhm und Reichtum gekommen, stets umgeben von Frauen, die ihm, wie Rose Trentmont von der „New York State Athletic Commission“ beobachtete, „wie hungrige Moskitos“ folgen, gab es für Mike Tyson in den letzten Jahren kaum noch Grenzen oder Beschränkungen. Einer Frau, die ihn zurückwies, schleuderte er empört entgegen: „Weißt Du nicht, wer ich bin? Ich bin der Schwergewichtsweltmeister. Berühmtheiten schwärmen um mich herum.“ Wie sollte ihm, dem schier unschlagbaren „Iron Mike“, der drei Dutzend Kontrahenten in den Ringstaub geschickt hatte, jemand etwas anhaben, ihm Einhalt gebieten, ihm etwas abschlagen können? Das Wort „Nein“ bedeutete für ihn nicht mehr als der Punch eines Fliegengewichtlers. Er wischte es beiseite. Dutzende von Klagen wegen sexueller Belästigung hat Tyson mittlerweile am Hals, und der Veranstalter des bewußten Schönheitswettbewerbs von Indianapolis nannte ihn einen „serienmäßigen Hinterngrabscher“.

Schlechte Karten für jemanden, der als Vergewaltiger angeklagt ist, und dem nicht nur jener Rassismus, der schon anderen Boxern von Jack Johnson bis Rubin „Hurricane“ Carter vor Gericht zum Verhängnis wurde, entgegenschlägt, sondern auch das Echo seines eigenen miserablen Rufes und das Unbehagen, das die Weißwaschung von Richter Thomas und William Kennedy- Smith in der US-amerikanischen Öffentlichkeit hinterlassen hat. Eine dritte Niederlage für die sexuell mißhandelte Frau in einem derart spektakulären Prozeß könnte, so wird befürchtet, viele Frauen davon abhalten, Vergewaltigungen anzuzeigen, und die ohnehin große Dunkelziffer weiter in die Höhe treiben.

Später Kampf gegen das Image des Bösewichts

„Wer mich kennt, weiß, daß ich kein schlechter Mensch bin“, kämpft Tyson mittlerweile gegen das früher sorgsam gepflegte Image des Bösewichts an. „Vielleicht gibt es zwei Tysons“, meint Biograph Torres, „einer, der sensibel und mitfühlend ist, und ein anderer, der den Anblick von Schmerzen und Verletzungen bei anderen genießt.“ Dr.Jekyll und Mr.Hyde mit Boxhandschuhen. Zu oft jedoch hat sich der brutale Hyde blicken lassen, und so zweifelt kaum jemand daran, daß Mike Tyson die ihm zur Last gelegten Verbrechen begangen hat — außer seinem Manager Don King, für den die Sache klar ist. Sein Schützling sei das Opfer einer falschen Anschuldigung, mit der die Klägerin bloß Berühmtheit erlangen wolle. „Eine Anklage, und schon sind sie im Talk-Show-Zirkus.“

Ähnlich dürfte Tysons Anwalt argumentieren, der 60 Jahre alte Vincent Fuller vom renommierten Washingtoner Anwaltsbüro Williams & Connolly, der die Verteidigung mit acht anderen Anwälten vorbereitet hat und 5.000 Dollar pro Prozeßtag kassiert. Kernpunkt der Verhandlung wird die Frage sein, die Don King flapsig in den Raum stellt: „Soll sie doch erklären, warum sie um zwei Uhr nachts in seinem Zimmer war.“ Desirée Washington habe klipp und klar „nein“ gesagt, das sei entscheidend, hält Staatsanwalt Greg Garrison dagegen und fragte bei der Geschworenen-Auswahl jeden Kandidaten: „Wenn eine Frau nein sagt, heißt das nein, oder nicht?“ Erst dann gab er sein Plazet.

An den ersten beiden Tagen des Prozesses, dessen Dauer auf zwei bis drei Wochen geschätzt wird, folgte Tyson sichtlich gelangweilt der langwierigen Prozedur der Geschworenenauswahl. Fünf der erforderlichen zwölf Geschworenen wurden am Montag vereidigt: eine Hausfrau, ein Lastwagenfahrer, ein T-Shirt-Bedrucker, ein Sozialarbeiter und ein Angestellter einer Autoreparaturwerkstatt. Tags drauf kamen eine Büroangestellte und ein Marketingmanager hinzu. Sie müssen entscheiden, ob Mike Tyson noch einmal um den Weltmeistertitel kämpfen darf oder ob ihn das Schicksal ereilt, das ihm der Texaner Tony Ayala prophezeite, einer der talentiertesten Boxer überhaupt, der 1983 zwanzigjährig wegen Vergewaltigung zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde: „Ich sehe viele Parallelen zwischen mir und Tyson. Seine brillante Karriere könnte enden wie meine Laufbahn.“

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