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Suchtfalle Spielautomat

■ betr.: "Vom 'Piff-Paff'-Cowboy zum Automatenkrieg", taz vom 24.1.92

betr.: „Vom ,Piff-Paff‘-Cowboy zum Automatenkrieg“,

taz vom 24.1.92

Die Klagen des Herrn Gauselmann in oben bezeichnetem Artikel über moralische Vorhaltungen und finanzielle Belastungen machen mich angesichts der Realitäten um die Spielsucht auf der einen, den Milliardenumsätzen auf der anderen Seite fassungslos. Das Wissen um Zusammenhänge zwischen Sucht und Spielautomaten sollte dazu benutzt werden, den Schaden zumindest zu begrenzen und eine Ausbreitung der Spiel-Sucht in den neuen Bundesländern (oder auch die angrenzenden Länder) zu verhindern. Ich denke, daß Therapie- und/oder Beratungsstellen, genug mit den bestehenden Suchterkrankungen (vorwiegend stoffgebundene und somit von den Krankenkassen anerkannte) zu tun haben — und auch bei weitem nicht die finanziellen und personellen Möglichkeiten haben, im selben Maße zu expandieren, wie die Spielautomaten-Industrie.

In meinen Augen unterscheidet einen Herrn Gauselmann und die vielen SpielhallenbetreiberInnen nichts von einem Dealer-System, das mit Rauschdrogen skrupellose Geschäfte macht — besonders in den „branchenüblichen“ Methoden unterscheiden sie sich kaum, außer daß alles im „Rahmen des Gesetzes“, oder als „nicht nachweisbar“ geschieht. So ist es durchaus üblich, eine freundschaftliche, ja familiäre Atmosphäre in den Spielhallen zu schaffen. Verdunkelte Fenster, Kunstlicht den ganzen Tag, schaffen eine zusätzliche Abgrenzung zwischen SpielerIn und Realität. Stammgäste werden durch die Spielhallen-Aufsicht, freundschaftlich begrüßt, Kaffee oder andere Getränke angeboten, zu späterer Stunde auch schon mal ein Imbiß. Wechseln SpielerInnen eine größere Summe (üblicherweise ab 50 DM) wird ein Bonus sofort ausbezahlt (zirka zehn bis 20 Prozent der gewechselten Summe). Aber von „Stätten der Begegnung fröhlicher junger Menschen“ kann trotz der „Bemühungen der Spielhallen-Aufsicht keine Rede sein — eine Kommunikation findet fast ausschließlich mit dem Spielautomaten statt — der Automat wird beschworen, gestreichelt oder auch schon mal geschlagen. Die Begegnung, sprich Kommunikation der SpielerInnen untereinander dient lediglich dem Austausch von Informationen, wann welcher Automat wieviel Gewinn „ausgespuckt“ hat, um die eigenen Gewinnchancen zu berechnen. Allerdings wird die Begegnung zwischen Automat und SpielerIn von den Spielhallen-BetreiberInnen gefördert, Stammgäste, die sich länger nicht sehen ließen, werden angerufen, „unter Freunden“ können Sonder- oder Freispiele (von den Spielhallen-BetreiberInnen ohne Probleme einzustellen) gewährt werden — auch eine „attraktive“ Spielhallen-Aufsicht kann als „Lockvogel“ eingesetzt werden, nicht nur in der Spielhalle selbst, sondern auch nach Dienstschluß, um SpielerInnen aus den Konkurrenz-Unternehmungen abzuwerben. Provision (in Form von Spielgeld und/oder Frei- beziehungsweise Sonderspielen) für neue Stammgäste sind keine Seltenheit.

Die Spielhallen-Aufsicht hat in erster Linie zu beaufsichtigen, wieviel Geld welche SpielerInnen einwechseln, wieviel Geld aus „Gewinnausschüttungen“ wieder zurückgewechselt wird — und die (seltenen) GewinnerInnen (wenn nötig) zum Weiterspielen zu animieren.

Für Stammgäste gibt es selbstverständlich auch Kredit — allerdings nur in „Fünfern“ zum Spielen — zum Leben gibt's kein Geld.

Auch wenn wissenschaftliche Untersuchungen (von der Spielautomaten-Industrie in Auftrag gegeben) das Spielen als „Sucht“ zu widerlegen versuchen, steht für seriöse (unabhängige) Untersuchungsprojekte zweifelsfrei fest, daß genau wie bei „stoffgebundenen Suchtformen“ die SpielerInnen-Karriere über eine anfängliche Gewöhnung zu einem vollkommenen Kontrollverlust über das eigene (Spiel-)Verhalten führt. Auch das Endstadium einer SpielerInnen- Karriere ist von dem von FixerInnen beispielsweise kaum zu unterscheiden: nämlich die Selbstzerstörung, einerseits körperlich (schwere Herzrhytmusstörungen, Magengeschwüre, Hauterkrankungen, u.a.) andererseits aber auch die Zerstörung der materiellen Lebensgrundlage durch Überschuldung und Beschaffungskriminalität (46,7 Prozent der AutomatenspielerInnen aus Selbsthilfegruppen beschafften sich nach eigenen Angaben das Geld zum Spiel auf illegale Weise). Auch soziale Beziehungen (Familie, Freundschaften, Beruf) werden durch die Spielsucht weitgehend zerstört — übrig bleibt nach jahrelanger SpielerInnen-Karriere oft nur noch die Spielhalle mit Tagträumereien und dort erzeugten rauschähnlichen Phantasien von Allmächtigkeit, Glück, Freundschaft und Bedeutsamkeit (durchaus vergleichbar mit Erlebnissen aus einem Kokain- Rausch). Auch die Zugriffsmöglichkeiten auf eine Droge spielen im Suchtverhalten eine Rolle. SpielerInnen, die auf täglichen Wegen (sei es zum Arbeitsplatz oder später zum Sozialamt) ständig mit einem Überangebot der Droge konfrontiert sind, können trotz bester Vorsätze nicht an den Spielhallen vorbeigehen. Ich muß beispielsweise auf dem Weg von der U-Bahn bis zu meiner Wohnungstür (zirka zwölf Minuten) an vier Spielhallen vorbeigehen — nicht zu vergessen die unzähligen Kneipen und Imbisse, in denen die Droge „Spielautomat“ angeboten wird.

Es ist richtig, daß nicht die Droge selbst (hier der Spielautomat) süchtig macht, sondern die Wirkung, die diese erzeugt — aber das Wissen um die Wirkung und das Geschäft, das mit diesem Wissen gemacht wird, macht schuldig — einen Herrn Gauselmann ebenso wie die Spielhallen- BetreiberInnen — auch wird das Wissen um Sucht- und/oder Zwangsverhalten, skrupellos dazu benutzt, um noch raffiniertere Spiele, mit unendlich vielen (scheinbaren) Gewinnmöglichkeiten und Anreizen zu schaffen, so daß aus den einstigen „Groschengräbern“ heute Spielsituationen entstehen, in denen in einer Stunde ein Vielfaches des Stundenlohnes der SpielerInnen verloren wird.

Ich lebe seit zwei Jahren mit einem Spieler zusammen, habe als „Spielhallen-Aufsicht“ gejobbt, bevor ich als „ungeeignet“ gefeuert wurde — ich weiß also, wovon ich rede. Uta Makaranond

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