SPD wankt weiter im Steuerstreit

Die bisherige Kompromißformel für die Erhöhung der Mehrwertsteuer stößt zwar bei der Bundes-SPD auf Ablehnung, in den sozialdemokratisch geführten Ländern ist das Nein aber immer unsicherer  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Vorläufig lehnen beide Seiten alles ab, aber im Steuerstreit zwischen Bundesregierung und der sozialdemokratisch geführten Bundesratsmehrheit wird in der nächsten Woche auf Kompromisse hingearbeitet.

Die Finanzminister der SPD-Länder wollen jetzt die Bundesbankgewinne in den Fonds Deutsche Einheit fließen lassen, statt die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Haushaltrechtlich nicht gedeckt und — wegen der Abhängigkeit vom Dollarkurs — nicht sinnvoll, signalisiert das Finanzministerium. Umgekehrt wollen die Sozialdemokraten nicht auf den Regierungsvorschlag einsteigen, den Länderanteil am Mehrwertsteueraufkommen zu erhöhen.

Aber die sozialdemokratische Front schwankt. Das Fazit so mancher sozialdemokratischen Großtat im letzten Jahr deutet sich auch im Streit um das Steuerpaket wieder an: Wenn die SPD den politischen Clinch mit der Bundesregierung wagt, wozu sie nicht im Übermaß neigt, dann folgt auf die großen Worte ein um sich greifendes Durcheinander in den eigenen Reihen. Schließlich endet die Sache mit kleinmütigem Einlenken. Das glasklare Nein der SPD zur Mehrwertsteuererhöhung, auf das der Parteivorsitzende und Kanzlerherausforderer Björn Engholm seine Mannschaft nach anfänglichen Widerständen eingeschworen hatte, tönt zwar noch nicht leiser, aber haltbar ist es nicht.

Der Vermittlungsausschuß, der im vergangenen Jahr ohne Ergebnisse platzte, tritt am nächsten Mittwoch in eine neue Runde, und diesmal liegt ein vermittelnder Vorschlag der Bundesregierung vor: der Anteil der Länder am Mehrwertsteueraufkommen soll von 35 auf mindestens 36 Prozent steigen. Das Angebot trifft — trotz der umgehenden Ablehnung — den sozialdemokratischen Nerv an einer empfindlichen Stelle. Denn von Anfang an war klar, daß auch sozialdemokratische Ministerpräsidenten mehr Geld brauchen. Gerhard Schröder aus Niedersachsen und die brandenburgischen Sozialdemokraten haben sich in keiner Phase des Tauziehens zwischen Bundesregierung und Bundesrat viel Mühe gegeben, ihre Widersprüche zur SPD-Haltung zu verbergen. Daß der nun offiziell vorliegende EG- Richtlinienentwurf die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 15 Prozent ab 1.Januar 1993 ohnehin erzwingt, wird ein übriges tun — diese Entwicklung war übrigens schon im letzten Jahr kalkulierbar und dürfte auch keinen Sozialdemokraten überrascht haben. Ob die SPD noch ohne Blessuren aus dem Vermittlungsverfahren herausgehen kann, ist also mehr als zweifelhaft. Die SPD-Spitze, vor allem Engholm und Lafontaine als Verhandlungsführer für die SPD- Länder, haben die Mehrwertsteuer zur Gretchenfrage des Verfahrens gemacht, in dem ein weit umfangreicheres Paket verhandelt wird. Finanzminister Theo Waigel will ein Prozent mehr, um die Unternehmenbesteuerung und die Familienentlastung zu finanzieren. Letztere ist per Verfassungsgerichtsurteil vom Gesetzgeber verlangt worden. Auch die deutsche Einheit ist nicht kostenfrei zu haben. Zum Interessengeflecht, daß der Vermittlungsausschuß bearbeitet, gehört zudem, daß infolge der deutschen Einheit die Strukturhilfe für die armen Westbundesländer vorfristig ausläuft — der Finanzbedarf eines armen Landes wie Niedersachsen ist auch aus diesem Grunde gewachsen.

Nicht nur aus sozialpolitischen Gründen, auch wegen der „konjunturellen Risiken“ (Lafontaine) lehnt die SPD eine erhöhte Mehrwertsteuer ab. Sie bestreitet aber keineswegs, daß mehr Geld in die Staatskassen muß. Bekanntlich war es Lafontaine, der Helmut Kohl immer wieder die unpopuläre Wahrheit vorgehalten hat, er belüge die Leute, wenn er behaupte, die Einheit würde nichts kosten. Die SPD hat schon im letzten Jahr vorgeschlagen, den Solidarzuschlag auf die Lohn- und Einkommenssteuer weiterzuführen und über diesen Weg die Finanzlage der öffentlichen Hand zu verbessern.

Der Streit um das Mehrwertsteuerprozent hat die anderen sozialdemokratischen Anliegen an das Steuerpaket fast völlig in den Hintergrund gedrängt. Nutznießer ist die Bundesregierung, denn die kritisierte Unternehmensentlastung in Kombination mit erhöhten Massensteuern zeugt nicht gerade von sozialer Ausgewogenheit. Und der Vorschlag der SPD, das Kindergeld für das erste Kind zu verdoppeln und nicht nur von 50 auf 70 DM zu erhöhen, wäre ein Kräftemessen wert gewesen. Wenn die SPD die Mehrwertsteuererhöhung als Grundsatzfrage des Vermittlungsausschusses nicht doch noch loswird, werden am Ende die SPD-Länder als die Bezwungenen dastehen. Vielleicht hat Lafontaine, der sich gern als Fachmann in Sachen Geld profiliert, noch eine Idee, wie er eine sozialdemokratische Botschaft an das Publikun bringt, die anders lautet als nur: Nein zur Mehrwertsteuererhöhung.